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Christos Pantazis im Interview : "Ich mache mir große Sorgen"

Der SPD-Gesundheitspolitiker und Arzt, Christos Pantazis, warnt nach der gescheiterten Impfpflicht vor einer Corona-Welle im Herbst.

11.04.2022
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5 Min

Herr Pantazis, die Corona-Impfpflicht ist gescheitert. Sind Sie sehr enttäuscht?

Christos Pantazis: Enttäuscht bin ich vor allem über die parteipolitische Instrumentalisierung der Debatte durch die Unionsfraktion. Es ging offenbar nur darum, der Ampel, dem Bundeskanzler und dem Gesundheitsminister mal ordentlich vors Schienenbein zu treten. Diese medizin-ethische Frage eignet sich aber nicht für parteipolitische Inszenierungen. Ein solches Verhalten ist dem Parlament gegenüber verantwortungslos - und auch gegenüber der Bevölkerung.

Foto: picture alliance/Flashpic/Jens Krick

"Wir kommen nur aus der pandemischen Wellenbewegung in eine endemische Lage, wenn wir die Impflücke signifikant schließen", sagt SPD-Gesundheitspolitiker und Mediziner Christos Pantazis.

Wenn die Ampel mit ihrer Mehrheit eine vom Kanzler und dem Gesundheitsminister gewollte Impfpflicht nicht durchsetzen kann, stellt ihr das aber auch kein gutes Zeugnis aus, oder?

Christos Pantazis: Diese Einschätzung teile ich nicht. Es ist ja nicht so, dass die Koalition einem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht gefolgt sei.

Das stimmt. Aber den gab es doch wohl deshalb nicht, weil ihn Gesundheitsminister Lauterbach gar nicht durch das Kabinett bekommen hätte.

Christos Pantazis: Nein. Wir haben uns ganz bewusst für das Verfahren mit Initiativen verschiedener Gruppen entschieden. Es geht schließlich bei der Frage um eine Gewissensentscheidung in einer medizin-ethischen Grundfrage - wie bei der Sterbehilfe oder der Organspende. Ich finde, dass eine Impfnachweispflicht in diese Kategorie gehört - anders als die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Ich habe von Anfang an befürwortet, das als eine Gewissensentscheidung durchführen zu lassen. Auch weil es in allen Fraktionen Abgeordnete gibt, die das so oder so sehen.

Unionsfraktionschef Merz bewertet das offenbar anders...

Christos Pantazis: Es gab unter den demokratischen Fraktionen immer einen Grundkonsens bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Mit dem Wechsel der Partei- und Fraktionsführung bei der Union wurde aber dieser Grundkonsens torpediert und letztendlich aufgekündigt. Statt Gewissensentscheidung wird nun Fraktionsdisziplin angeordnet.

Sie persönlich unterstützen eine Impfpflicht ab 18, haben schlussendlich für den Kompromissvorschlag einer Impfpflicht ab 60 gestimmt. Warum?

Christos Pantazis: Ich war anfangs kein Freund einer Impfpflicht, bin dann aber schrittweise zu der Einsicht gekommen, dass diese in Anbetracht der geringen Impfquote in Deutschland, vor allem bei den Älteren, benötigt wird. Als Arzt habe ich mich bei der Entscheidung von der Wissenschaft leiten lassen. Wir kommen nur aus der pandemischen Wellenbewegung in eine endemische Lage, wenn wir die Impflücke signifikant schließen. Jetzt mache ich mir große Sorgen mit Blick auf den Herbst.

 


„Das Ausmaß dieser Desinformation in den Sozialen Medien finde ich bedrohlich.“
Christos Pantazis (SPD)

Weshalb gehen Sie davon aus, dass die Lage im Herbst bedrohlich wird?

Christos Pantazis: Eine Pandemie läuft immer wellenförmig. Schon im letzten Herbst folgte auf einen relativ entspannten Sommer die harte Delta-Welle. Wir können nicht davon ausgehen, dass bei der nächsten Variante die Krankheitslast niedrig ist, wie jetzt bei Omikron. Eine neuere Variante könnte beispielsweise tiefere Bereiche der Lunge erreichen. Das wäre für die Krankheitslast fatal. Die Wissenschaftler rechnen ganz fest mit einer nächsten Welle. Das kann dann auch eine Deltakron-Variante sein - also mit hoher Krankheitslast und hoher Infektiösität.

Derzeit haben wir aber trotz hoher Inzidenzen nicht so viele schwere Fälle. War der Zeitpunkt für die Entscheidung über eine Impfpflicht ungeeignet?

Christos Pantazis: Im Augenblick ist das Bewusstsein dafür offenbar nicht vorhanden, weil Omikron eine niedrige Krankheitslast hat - im Vergleich zur Delta-Variante. Das macht die Gesellschaft und auch Teile der Politik sorgloser. Aber die Belastung des Krankenhaussektors besteht weiterhin - zwar nicht auf den Intensivstationen, aber auf den Normalstationen. Es ist aktuell immer noch so, dass Operationen verschoben werden müssen. Dieses Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der Lage habe ich teilweise vermisst.

Hat Minister Lauterbach mit seinem Verzicht auf eine Zwangsisolation für Corona-Infizierte - auch wenn er dies inzwischen revidiert hat - auch dazu beigetragen, dass Corona derzeit nicht allzu problematisch eingeschätzt wird?

Christos Pantazis: Ich sehe diesen Zusammenhang nicht. Es ist eher so, dass die geringere Krankheitslast und die entspannte Situation auf den Intensivstationen zu dem Eindruck führen, die Pandemie sei vorbei. Dem ist aber nicht so. Außerdem darf man nicht vergessen, dass weiterhin Basisschutzmaßnahmen sowie die Hotspot-Regelung des Infektionsschutzgesetzes gelten. Auch deshalb kommt es nicht zu einer Überlastung.

Sie haben auf die Impfquote von 76 Prozent verwiesen. Warum liegt die nicht höher?

Christos Pantazis: Ich führe das auf Ängste zurück, die durch eine massive Desinformation genährt werden. Hierzu kann der Totimpfstoff Novavax exemplarisch herangezogen werden. Obwohl dieser Impfstoff jetzt da ist, wird er aber nur zögerlich abgefragt. Das Ausmaß dieser Desinformation hierzu in den Sozialen Medien finde ich bedrohlich.

Foto: Photothek
Christos Pantazis
Christos Pantazis (SPD) ist seit 2021 Mitglied des Bundestages. Der promovierte Neurochirurg aus Braunschweig gehört dem Gesundheitsausschuss an.
Foto: Photothek

Gehört zur Desinformation auch der Verweis der Impfgegner auf die nicht ausreichende Impfwirkung, weil Infektion und Weitergabe des Virus auch nach Impfung nicht ausgeschlossen sind?

Christos Pantazis: Hier liegt ein Kommunikationsproblem vor. Eine Impfung schützt per se nicht vor Infektion. Das haben die Menschen falsch verstanden und es wurde wohl auch falsch kommuniziert. Eine Impfung ist wie ein Sicherheitsgurt im Auto. Der verhindert auch nicht den Unfall, aber er grenzt mögliche Schäden ein. Es gibt viel Aufklärungsbedarf, weshalb wir auch eine Beratungspflicht im Kompromissantrag vorgesehen hatten. Darin sind im Übrigen auch Elemente des Unionsvorschlages eingeflossen: Beispielsweise das Impfregister oder auch die stufenweise Einführung einer Impfpflicht. Wir sind der Union in diesen Fragen sehr weit entgegengekommen.

Die Union bemängelt aber, dass ihre Gesprächsangebote nicht angenommen worden seien.

Christos Pantazis: Ich bitte Sie, vier Monate lang sind wir auf die Unionsfraktion zugegangen. Bei uns hat sich der Eindruck verstärkt, dass die Impfpflichtdebatte parteipolitisch instrumentalisiert werden soll. Das ist im höchsten Maße verantwortungslos und hat dem Ansehen dieses Hohen Hauses schweren Schaden zugefügt.

Die erste Runde im Bemühen um eine Impfpflicht haben Sie verloren. Wird es einen neuen Versuch geben?

Christos Pantazis: Nicht ich habe verloren. Das Parlament, aber auch die Bevölkerung hat verloren, wenn wir ungeschützt in eine Herbstwelle gehen.

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Wird die SPD-Fraktion dennoch an einer neuen Kompromisslösung arbeiten?

Christos Pantazis: Im Augenblick überwiegt die Enttäuschung über das Verhalten der Unionsfraktion. Aber im Interesse der Sache sind wir weiterhin für einen Kompromiss offen.

Kommen wir abschließend noch zum geplanten Pflege-Bonus. Was versprechen Sie sich davon?

Christos Pantazis: In den vergangenen zwei Jahren war das Pflegepersonal in den Krankenhäusern sowie in der Langzeitpflege extremen Belastungen ausgesetzt. Dort wurde Großartiges geleistet. Dafür gilt es Danke zu sagen. Tausend Millionen Euro stellen einen Bonus dar, den wir der Pflege schlicht schulden.

An den strukturellen Problemen in der Pflege ändert sich dadurch aber langfristig nichts.

Christos Pantazis: Der Bonus ist ja nur ein erster Schritt. Wir brauchen strukturelle Änderungen in der Pflege - bei den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung. Das ist dringlicher denn je. Darauf hat sich die Fortschrittskoalition für die kommenden Jahre verständigt.