Interview mit PEI-Präsident Klaus Cichutek : "Wir müssen auf jeden Fall Vorsorge treffen"
Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, fordert eine bessere Vorbereitung auf mögliche neue Pandemien.
Herr Cichutek, das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist zuständig für Impfstoffe. Was heißt das konkret?
Klaus Cichutek: Das Paul-Ehrlich-Institut begleitet die Entwicklung von Impfstoffen und biomedizinischen Arzneimitteln von der ersten Entdeckung und Konzeptentwicklung über klinische Prüfungen bis hin zur Zulassung und danach. Wenn von der Zulassung durch die europäische Arzneimittelagentur EMA die Rede ist, steht auch das PEI dahinter. Die EMA ist ein Netzwerk der Arzneimittelbehörden der EU, deren Experten die Stellungnahmen der EMA erarbeiten. Weiterhin prüft das PEI jede Charge eines Impfstoffs, bevor sie auf den Markt kommen darf. Wichtig ist zudem die Pharmakovigilanz, die Erkenntnisse zu sehr seltenen Nebenwirkungen liefert.
Professor Klaus Cichutek ist Virologe, Biochemiker und Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts.
War eine so erfolgreiche Impfstoff-Entwicklung gegen das neue Coronavirus zu erwarten?
Klaus Cichutek: Die schnelle Impfstoff-Entwicklung ist das Ergebnis effektiver Arbeit weltweit und guter Vorarbeiten. Wir haben bei der Forschung an den Coronaviren SARS und MERS frühzeitig wichtige Erkenntnisse gewonnen. Die Forschung des PEI hat dazu beigetragen, das potenziell schützende Erreger-Antigen zu bestimmen, also den Erreger-Bestandteil, der in einem Impfstoff die Immunantwort auslöst und so die Infektionskrankheit verhindern kann. Das ist das Spike-Protein. Die mRNA- und Vektor-Technologie war wichtig, um Impfstoffe schnell herzustellen. Dass wir so sichere und hochwirksame Impfstoffe in so kurzer Zeit verfügbar haben würden, war aber nicht vorauszusehen.
Welches Potenzial hat die mRNA-Technologie?
Klaus Cichutek: Wir erwarten, dass neue Impfstoffe entwickelt werden können. Zum anderen können wir uns vorstellen, dass bei Therapeutika mit RNA-Verfahren Kurzzeitanwendungen ähnlich wie bei der Gentherapie möglich werden. Denkbar wäre, dass Antikörper, die in der Krebstherapie oder bei Rheuma erfolgreich sind, nicht mehr außerhalb des Körpers hergestellt werden, sondern die RNA mit den entsprechenden Bauplänen als Therapeutikum angewendet wird, sodass die Körperzellen des Menschen die Antikörper selbst herstellen.
Es gibt mehrere zugelassene Corona-Impfstoffe. Sind die alle gleich gut?
Klaus Cichutek: Alle in der EU zugelassenen Covid-Impfstoffe sind gut, weil sie einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Analyse unterzogen werden und der Nutzen jeweils deutlich gegenüber den Risiken überwiegt. Allerdings ist es sinnvoll, sich neben der Zulassung und Fachinformationen auch nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) zu richten, die besondere Eigenschaften und die Sicherheitsdaten des PEI berücksichtigt. Im Moment werden bevorzugt die zugelassenen mRNA-Impfstoffe empfohlen.
Wie sinnvoll sind Überkreuzimpfungen mit verschiedenen Impfstoffen?
Klaus Cichutek: Umfangreiche Daten aus Großbritannien, Israel, den USA und auch aus Deutschland zeigen, dass die heterologe Impfung hohe Antikörperkonzentrationen erzeugen und damit zu einem verbesserten Schutz führen kann.
Sind Impfungen für kleine Kinder problematisch?
Klaus Cichutek: Viele grundlegende Impfungen werden ja gerade bei kleinen Kindern vorgenommen, weil diese besonders anfällig sind für Infektionskrankheiten. Aber Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Insofern sind besondere klinische Prüfungen auch an Kindern nötig, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen auch in dieser Altersgruppe festzustellen. Der Covid-Impfstoff von Biontech/Pfizer wird in den USA und Israel für kleine Kinder mit einem Drittel der mRNA-Menge pro Dosis genutzt.
Impf-Skeptiker befürchten langfristige Nebenwirkungen von Corona-Impfstoffen, etwa Unfruchtbarkeit. Ist die Sorge berechtigt?
Klaus Cichutek: Dafür liegen uns keine Hinweise vor. Wir haben ja mittlerweile Erkenntnisse durch Millionen von Corona-Impfungen. Es hat sich gezeigt, dass schwere Nebenwirkungen sehr selten sind. Wir befinden uns hier im Bereich von unter zehn Fällen pro 100.000 Impfungen. Es gibt im dem Zusammenhang vollständige Transparenz.
Was tun Sie, wenn der Verdacht besteht, dass ein Impfstoff nicht sicher ist?
Klaus Cichutek: Wir gehen auch nach der Zulassung den Verdachtsfallmeldungen zu Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach. Bei schwerwiegenden Meldungen prüfen wir, ob andere Gründe wie etwa Vorerkrankungen für eine Reaktion verantwortlich sein können. Dann untersuchen wir, ob ein vom Impfstoff aufgelöster Mechanismus zugrunde liegen könnte. Notfalls kann die Zulassung zurückgenommen werden, die Marktrücknahme einzelner Chargen kann veranlasst werden, Warnhinweise können in Fach- und Gebrauchsinformationen aufgenommen werden. In der Frühphase der Covid-Impfungen haben wir mit einem Vektorimpfstoff das vermehrte Auftreten von Thrombosen mit Thrombozytopenie festgestellt. Damals haben wir eine vorübergehende Aussetzung der Impfungen veranlasst, um die Häufigkeit und Schwere dieser Fälle zu ermitteln.
Wie gehen Sie mit sogenannten Impfdurchbrüchen um?
Klaus Cichutek: Wir prüfen, ob die Wirksamkeit der Impfstoffe weiterhin hoch ist, also eine Erkrankung an Covid-19 effektiv verhindert werden kann. Außerdem geht es um die Dauer der Wirksamkeit. Wir wissen, dass bei einigen Menschen die Wirksamkeit des Impfstoffs gegenüber der Delta-Variante nach fünf bis sechs Monaten abnimmt. Entsprechend sind Drittimpfungen von der Stiko empfohlen worden.
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Gibt es Virusvarianten, die Ihnen derzeit besondere Sorgen machen?
Klaus Cichutek: Derzeit steht die Delta-Variante im Fokus. Wir können dieser Variante mit Auffrischungsimpfungen begegnen. Zum Glück können wir auf neue Corona-Virusvarianten schnell reagieren. Die mRNA- und Vektor-Impfstoffe bieten einen großen Vorteil, weil schnell neue Impfstoffe konstruiert werden können, die noch besser gegen Varianten schützen und in kurzer Zeit in großer Zahl produziert werden können.
Ihr US-Kollege Fauci hat eine internationale Offensive gegen Coronaviren gefordert. Stimmen Sie zu?
Klaus Cichutek: Es ist sinnvoll, dass wir uns in Zukunft in den sogenannten interpandemischen Phasen besser darauf vorbereiten, dass neue Erreger auftreten könnten. Corona-Viren spielen dabei eine Rolle. Wir haben beim PEI ein neues Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI) eröffnet. Dort soll mit Blick auf mögliche neue, pandemische Erreger dafür gesorgt werden, dass wir künftig noch schneller auf Pandemien reagieren können.
Pandemien dieser Größenordnung sind selten. Müssen wir uns trotzdem darauf einstellen, dass uns in absehbarer Zeit ein neues Virus lahmlegt?
Klaus Cichutek: Wir müssen auf jeden Fall Vorsorge treffen, um besser gerüstet zu sein. Nicht nur Corona-Viren, auch Influenza-Viren haben pandemisches Potenzial. Wir haben Erfahrungen gesammelt mit der Spanischen Grippe, der Hongkong-Grippe, der russischen Grippe, der Schweinegrippe und der SARS-Pandemie 2002/2003. Wir haben auch die Ebola-Epidemie in Westafrika und MERS sehr genau beobachtet.
Seit Ausbruch der Pandemie sind Sie als Experte gefragt und gefordert. Ist das Belastung oder Anerkennung?
Klaus Cichutek: Das ist keine Belastung, es ist unser Job. Wir sind froh, dass wir der Gesellschaft helfen können, mit der Corona-Pandemie hoffentlich bald noch besser umzugehen.