Öffentliche Gesundheitsdienst : Nicht krisenfest
Lange Zeit hat der Öffentliche Gesundheitsdienst in den Kommunen kaum Beachtung gefunden. Nun soll er wieder gestärkt werden, aber der Weg ist noch lang.
Über viele Jahre hat der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) in den Kommunen kaum größere Beachtung gefunden. Ein verzweigtes Angebot an fachspezifischen Dienstleistungen, die in der Öffentlichkeit wenig bekannt waren und auch in der Politik als nachrangig betrachtet wurden. Manche Experten sprechen davon, dass der ÖGD systematisch "kaputt gespart" worden sei.
In der Coronakrise haben auch Soldaten in Gesundheitsämtern ausgeholfen - wie hier in Berlin.
Als die Corona-Pandemie Anfang 2020 auch über Deutschland hereinbrach, änderte sich die Perspektive auf den ÖGD schnell. Plötzlich waren die Gesundheitsämter gefordert, Infizierte zu ermitteln, Infektionsherde zu erkennen und Infektionsketten nachzuvollziehen. Dabei stießen die Ämter, die personell und technisch rückständig aufgestellt waren, auf praktisch unlösbare Probleme. Ärzte, Verwaltungsfachleute und Techniker mühten sich, den Berg an Arbeit irgendwie abzutragen, waren angesichts der Masse an Infektionen aber chancenlos, mit ihrer Meldekette "vor die Pandemie" zu kommen.
Es dauerte nicht lange, bis in der Politik ein Umdenken einsetzte mit der Erkenntnis, dass der ÖGD als drittes Standbein neben der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung mehr Akzeptanz, digitale Ausrüstung und vor allem mehr Personal braucht, um in dieser nationalen Gesundheitskrise sowie auch künftig angemessen und effektiv reagieren zu können. Daraus resultierte Ende September 2020 ein Beschluss von Bund und Ländern, den ÖGD mit einem Pakt zu stärken. Der Bund sagte vier Milliarden Euro bis 2026 zu, um insbesondere die Gesundheitsämter besser auszustatten.
Mindestens 1.500 neue, unbefristete Vollzeitstellen für Fachpersonal
In dem Pakt heißt es: "Bund und Länder unterstreichen die herausragende Bedeutung des ÖGD für einen wirksamen Schutz der Gesundheit der Bevölkerung." Vereinbart wurden konkrete Ziele, darunter ein Personalaufbau. So sollen die Länder bis Ende 2021 mindestens 1.500 neue, unbefristete Vollzeitstellen für Ärzte, weiteres Fachpersonal und Verwaltungspersonal im ÖGD schaffen, bis Ende 2022 mindestens weitere 3.500 Vollzeitstellen, insgesamt also 5.000 Stellen.
Die Länder sollen auch dafür sorgen, dass die Ärzte im ÖGD besser bezahlt werden. Ärzte in den Ämtern verdienen deutlich weniger als Mediziner im Krankenhaus. Eine andere Baustelle ist die technische Ausstattung, die hinter den digitalen Möglichkeiten zurückbleibt. Die ARD berichtete noch im Februar 2021 von völlig überforderten Gesundheitsämtern und Laboren, die "mit Excel-Listen und selbstgebastelter Software", mit Faxen und Zettelwirtschaft versuchten, in der Krise den Überblick zu behalten.
Nach Darstellung des Bundesgesundheitsministeriums spielt die Digitalisierung "eine besonders wichtige Rolle bei der Modernisierung und Stärkung des ÖGD". Über ein Förderprogramm des Bundes in Höhe von 800 Millionen Euro soll der digitale Ausbau des ÖGD unterstützt werden. Das Ziel: der "Aufbau einheitlicher Systeme und Tools".
Digitale Vernetzung der Ämter nötig
Die Hoffnung ruht nun auf kryptischen Kürzeln wie DEMIS, SORMAS und SurfNet, Software-Systeme, mit deren Hilfe die Ämter digital vernetzt werden, um alle relevanten Informationen in der Epidemie schnell und sicher erheben, abgleichen und weiterleiten zu können. Laut ÖGD-Pakt sollen die Länder "dafür Sorge tragen, dass der ÖGD digital zukunftsfähig wird". Von besonderer Bedeutung ist den Angaben zufolge das Deutsche Elektronische Melde- und Informationssystem (DEMIS), dessen Aufbau beim Robert-Koch Institut (RKI) vom Bund finanziert wird. DEMIS ermöglicht laut RKI "eine durchgängig elektronische Informationsverarbeitung" zwischen Ärzten, Laboren, Gesundheitsämtern und anderen Behörden. Im ÖGD-Pakt ist festgelegt, dass diese gemeinsame Kommunikationsplattform bis Ende 2022 allen Gesundheitsbehörden in Bund und Ländern zur Verfügung stehen soll. Wie das RKI aktuell mitteilte, ist die Nutzung von DEMIS seit 2021 für Gesundheitsämter und Labore zum Absetzen von Corona-Erregernachweisen verpflichtend. DEMIS werde derzeit flächendeckend in allen Gesundheitsämtern sowie in rund 500 Laboren genutzt. Das System werde kontinuierlich ausgebaut.
Daneben wird SORMAS genutzt, ein ergänzendes System für das Kontaktpersonenmanagement, das ursprünglich vom Helmholtz-Zentrum im Kampf gegen Ebola entwickelt worden war und derzeit in 347 der knapp 400 Gesundheitsämter installiert ist. Das System soll die Kontaktnachverfolgung vereinfachen und die Ämter entlasten. So sollen Ausbrüche früh erkannt und ausgewertet werden können.
Die Tücken liegen dabei wie immer im Detail. So beklagte der Beamtenbund (DBB) im April 2021, wer bei SORMAS eine digitale Datenakte anlegen wolle, müsse den Namen der infizierten Person an 16 verschiedenen Stellen eingeben. Das ernüchternde Fazit von DBB-Chef Ulrich Silberbach lautete: "Das hat nichts mit smarter Digitalisierung zu tun."
Die Probleme mit den Mehrfacheingaben im System sollen inzwischen behoben sein. Das Helmholtz-Zentrum teilte mit, SORMAS sei in den vergangenen Monaten "einer intensiven Überarbeitung unterzogen worden". Im Zuge dessen sei auch "die Erweiterung der Nutzerfreundlichkeit forciert" worden.
Konzept einer staatlichen Gesundheitsbehörde hat lange Tradition
Schließlich wird seit 2001 in den Gesundheitsämtern die Software SurvNet eingesetzt, um laut RKI "alle relevanten Sachverhalte zu erfassen und zu verwalten", die gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG) gemeldet werden. Die Software werde derzeit von mehr als 60 Prozent der Gesundheitsämter zum Fall- und Kontaktpersonenmanagement aller meldepflichtigen Infektionskrankheiten eingesetzt. Zudem nutzten alle zuständigen Landesbehörden und das RKI die Software. Um Doppelarbeit zu vermeiden, sollen DEMIS, SORMAS und SurvNet miteinander interagieren.
Das Konzept einer staatlichen Gesundheitsbehörde kam schon im 18. Jahrhundert auf und wurde von Reichskanzler Otto von Bismarck weiterverfolgt, der sich eine Behörde zur Unterstützung bei der "Aufsicht über die medizinal- und veterinärpolizeilichen Aufgaben" vorstellte. 1876 wurde in Berlin das Kaiserliche Gesundheitsamt gegründet. Heute umfasst der ÖGD Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, darunter große Institute wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das RKI bis hin zu kommunalen Gesundheitsämtern mit manchmal weniger als 20 Angestellten.
Fülle an Aufgaben
Die Aufgaben der Gesundheitsämter sind vielfältig und reichen weit über das Management von Epidemien hinaus. Die Ämter befassen sich mit Hygienefragen, Umweltmedizin, Schuleingangstests, Kindergesundheit, Suchtberatung, Auslandsreiseimpfungen, Hilfen für Schwangere, Behinderte oder psychisch Kranke sowie Politikberatung. Bei Epidemien kommt den Ämtern eine zentrale Rolle zu. Dort wird über die konkreten Schritte zur Eindämmung von Infektionen entschieden, so etwa bei einem Masernausbruch in Köln 2018 oder bei einem Ausbruch von Hepatitis-A in Berlin 2017. Um die Bedeutung der Gesundheitsämter hervorzuheben, rief das RKI am 19. März 2019 erstmals den "Tag des Gesundheitsamtes" aus, da war die Corona-Pandemie noch nicht in Sicht.
Mittlerweile ist klar, dass die Gesundheitsämter für einen Gesundheitsnotstand der Corona-Größenordnung besser aufgestellt sein müssen. Der ÖGD werde "in der Breite seinem Potenzial als Träger der Gesundheitsförderung im kommunalen Kontext noch nicht gerecht", heißt es einem Übersichtsartikel der BZgA. Die Gründe für das "Entwicklungsdefizit" sieht die Behörde auch im "Funktionsverlust des ÖGD in der Nachkriegszeit" sowie in den Stellenkürzungen.
Angespannte Lage verdeutlicht Notwendigkeit krisenfester Strukturen
Der Präsident des Landkreistages, Reinhard Sager, forderte im Sommer 2021 mit Blick auf den ÖGD: "Wir brauchen krisenfeste Strukturen in Bund, Ländern und Kommunen." Der Landrat aus dem Kreis Ostholstein erklärte nun, bei der Digitalisierung gebe es Fortschritte, die aber im Wesentlichen vom IT-Rahmen im jeweiligen Land und im Bund abhingen.
Ein Problem sieht Sager in der Nachhaltigkeit. "Wir haben dem Pakt im Einvernehmen mit Bund und Ländern nur unter der Maßgabe zugestimmt, dass die zusätzlichen Personalstellen wie auch die IT-Ausstattung von den Ländern dauerhaft und damit auch über das Ende des Pakts für den ÖGD 2025 hinaus vollständig finanziert werden."
Ähnliche Bedenken formuliert die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Ute Teichert, die von einer weiterhin sehr angespannten Lage spricht. Einige Gesundheitsämter hätten mit Blick auf eine vollständige Kontaktnachverfolgung bereits resigniert. Die Ämter seien mit der Masse an Fällen überfordert. Teichert stellte fest: "Wir haben in der Pandemie keine Strukturen geschaffen, um diese Spitzen aufzufangen. Stattdessen hangeln wir uns weiterhin von Spitze zu Spitze."
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie hat die Politik Freiheiten eingeschränkt. Zu stark, finden viele.
Der Bundestag hat angesichts der vierten Welle erneut das Infektionsschutzgesetz geändert - trotz einer Impfquote von rund 68 Prozent.
Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, fordert eine bessere Vorbereitung auf mögliche neue Pandemien.
Es sei vorübergehend Hilfspersonal in die Gesundheitsämter gekommen und wieder abgezogen worden. Manche Ärzte im ÖGD arbeiteten am Limit. Auch die Bezahlung habe sich nicht gebessert. "Das ist einer der Knackpunkte." Die Gesundheitsämter würden im Werben um Nachwuchs "ziemlich abgehängt".
Es sei dringend nötig, den ÖGD auszubauen, nicht nur wegen der Pandemie, sondern weil er wesentliche Aufgaben für die Gesundheit der Bevölkerung erfülle. Wenn Teichert an Öffnungen und Veranstaltungen in der kalten Jahreszeit denkt, dann wird der Ärztin aus Düsseldorf ganz mulmig. Sie räumte ein: "Ich mache mir große Sorgen, weil die Pandemie nicht vorbei ist."