Editorial : Risiken abwägen
Es gibt gute Gründe dafür, dass der Staat eine Impfung nicht erzwingen kann. Das darf aber nicht dazu führen, die eigene Verantwortung an die Politik zu delegieren.
Die Zahlen sprechen für sich: 90 Prozent der Intensivpatienten mit Covid-19 sind nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht oder nur unvollständig geimpft. Bei vollständig Geimpften ist die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, um etwa 90 Prozent geringer als bei nicht geimpften Personen - so beschreiben es die Wissenschaftler des Robert-Koch Instituts.
Trotz solcher Pro-Argumente ist die Impfbereitschaft in Deutschland niedriger als zum Beispiel in Ländern wie Frankreich, Italien, Spanien und Portugal, den Niederlanden oder in Skandinavien. Daran hat sich auch unter dem Eindruck der nun wieder stark steigenden Infektionszahlen kaum etwas geändert. Auch die schrittweise zunehmenden Einschränkungen für Ungeimpfte haben nicht dazu geführt, dass sich mehr von ihnen für die Immunisierung entscheiden.
Nebenwirkungen: Hinweise sind angebracht
Es gibt viele gute Gründe dafür, dass der Staat eine Impfung nicht erzwingt. Aber man darf daran erinnern, dass jeder nicht nur für sich selbst Verantwortung trägt, sondern auch für andere. Wer sich impfen lässt, trägt das Virus nachweislich weniger weiter als Ungeimpfte. Jeden aus dieser Gruppe als Impfgegner zu bezeichnen, verbietet sich. Für manchen spielt die Sorge vor Nebenwirkungen eine Rolle. Aber auch hier sind Hinweise angebracht: Allergische Reaktionen, Atemwegsverengung, Nieren- und Leberversagen - all das findet sich auf dem Beipackzettel eines vermeintlich harmlosen Schmerzmittels wie Paracetamol. Und das bekommt jeder Erwachsene rezeptfrei in der nächsten Apotheke.
Stichwort Spätfolgen: Nicht nur, dass die Fachwelt hier vehement widerspricht - Nebenwirkungen von Impfungen treten nicht erst viele Monate später auf, sondern innerhalb von Tagen oder Wochen. Auch werden mRNA-Impfstoffe (dazu zählen die Wirkstoffe von Biontech und Moderna) bereits seit mehreren Jahren in klinischen Studien am Menschen getestet, wenngleich bisher mit kleinerem Probandenkreis.
Ja, es ist wahr: "Die" Politik in Bund und Ländern hat in den vergangenen Pandemie-Monaten nicht alles richtig gemacht, anfangs bei der Beschaffung von Impfstoffen und Masken, bei der Ausstattung von Pflege- und Altenheimen mit Testmöglichkeiten. Für manchen ist hier Vertrauen erschüttert worden. Das kann aber kein Grund sein, eigene Verantwortung an "die" Politik zu delegieren.