Gesundheit : Versorgung mit wichtigen Medikamenten soll sicherer werden
Die Arzneimittelreform bietet Apotheken mehr Handlungsspielraum bei Lieferengpässen. Auch soll es Modellprojekte für das sogenannte Drug-Checking geben.
Nach der Versorgungskrise des vergangenen Winters, als wichtige Medikamente nicht mehr lieferbar waren, soll nun eine Arzneimittelreform auch langfristig mehr Sicherheit bringen. Die Opposition sowie viele Fachleute aus der Pharmabranche bezweifeln allerdings, dass mit dem in der vergangenen Woche beschlossenen Gesetzentwurf systematische Probleme des globalen Arzneimittelhandels beseitigt werden können. Für den Gesetzentwurf stimmten am Freitag die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und FDP, die Opposition aus Union, Linken und AfD votierte geschlossen dagegen.
Erhöhte Bevorratung
Die Reform sieht Änderungen bei Festbeträgen, Rabattverträgen und Kinderarzneimitteln vor. Die Wirkstoffproduktion in der EU wird durch neue Regelungen gestärkt, die Verfügbarkeit neuer Reserveantibiotika soll sich verbessern durch finanzielle Anreize zugunsten der Pharmaindustrie. Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln soll zudem mit neuen Austauschregeln für Apotheken und weniger Bürokratie verbessert werden. Geplant sind auch eine verbindliche mehrmonatige Lagerhaltung von rabattierten Arzneimitteln und ein Frühwarnsystem zur Erkennung drohender Lieferengpässe.
Die Versorgungskrise des vergangenen Winters bei Medikamenten soll sich nicht wiederholen.
In den Ausschussberatungen wurde der Gesetzentwurf noch an zahlreichen Stellen geändert und um sogenannte fachfremde Punkte ergänzt. Der Gesundheitsausschuss billigte insgesamt 31 Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen.
So wird die sogenannte Retaxation, die bei Formfehlern auf Rezepten dazu führt, dass Krankenkassen nicht zahlen, zugunsten der Apotheken angepasst. Ferner sollen auch Krebsmedikamente (Onkologika) in die neue Richtlinie für eine erhöhte Bevorratung aufgenommen werden, um einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung bei Lieferengpässen oder Mehrbedarfen entgegenzuwirken.
Länder sollen Drug-Checking-Projekte anbieten dürfen
Zudem werden rechtliche Rahmenbedingungen für Modellvorhaben zum sogenannten Drug-Checking in den Ländern geschaffen. Beim Drug-Checking werden Drogen auf ihre Inhaltsstoffe hin untersucht. Nutzer sollen so vor gefährlichen Substanzen, die Drogen beigemischt sein können, besser geschützt werden. Die in der Corona-Pandemie eingeführte Sonderregelung zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach telefonischer Anamnese soll auch künftig möglich sein.
In der Schlussabstimmung sprachen Redner der Koalition von einer wichtigen Reform, mit der aber nicht sofort alle Probleme zu lösen seien. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erinnerte daran, dass die Arzneimittel-Lieferengpässe schon seit Jahren aufträten. Derzeit fehlten rund 450 Wirkstoffe. Er räumte ein: "Das ist eine unhaltbare Situation mittlerweile." Es seien auch sehr wichtige Medikamente wie Krebsmittel, Antibiotika und Medikamente für Kinder teils nicht lieferbar. Dies werde nun ursächlich bekämpft. Die Neuregelungen seien wichtig, um die Arzneimittelsicherheit in Deutschland und in Europa wieder herzustellen.
CDU spricht von "Placebo-Entwurf"
Georg Kippels (CDU) kritisierte, statt eines großen Wurfs sei die Reform eine große Enttäuschung. Die Regelungen erinnerten an ein Placebo, also ein Scheinmedikament, weil sie nicht wirkten. Nötig sei eine weitreichendere und grundlegendere Reform der Rabattverträge. Die Retaxation bei Apotheken werde zwar korrigiert, aber nicht für alle Fallgestaltungen abgeschafft. Die Bevorratung setze voraus, dass ausreichend produziert werde, oft fehle es jedoch an den Kapazitäten oder die Produktion lohne sich für die Unternehmen nicht.
Paula Piechotta (Grüne) wies den Placebo-Vergleich zurück. Sie betonte, die Reform beinhalte viele "Wirkstoffe" und nannte als Beispiele die ausgeweitete Bevorratung, die verstetigten Austauschmöglichkeiten von Arzneimitteln in Apotheken oder die Anreize für eine Produktion in Europa. Mit Hilfe der Reform könne künftig mit Lieferengpässen besser umgegangen werden.
Nach Ansicht von Jörg Schneider (AfD) deuten die Lieferengpässe auf grundsätzliche Probleme im Gesundheitssystem hin. Allein die Vielzahl der Rabattverträge sei ein "Irrsinn". Er sprach von "halbgaren" Vorschlägen der Bundesregierung und von einem übereilten Verfahren, das fehleranfällig sei. Die AfD werde die Regierung an den Ergebnissen der Reform messen.
Kritik an Rabattverträgen
Lars Lindemann (FDP) räumte ein, dass die Beratungen teils sehr kontrovers verlaufen seien. Das Thema Lieferengpässe sei so kurzfristig auch nicht zu lösen. Es werde weitere Schritte geben müssen. Er forderte gute ökonomische und politische Rahmenbedingungen im Pharmasektor.
Ates Gürpinar (Linke) rügte die Rabattverträge, die mit dafür verantwortlich seien, dass sich Oligopole und Monopole bilden. In der Folge hänge die ausreichende Versorgung womöglich von der Lieferkette eines einzelnen Herstellers ab. Besser seien realistische Festbeträge. Es sei nicht zu tolerieren, wenn lebensrettende Arzneimittel nicht produziert würden, weil es sich nicht lohne.