Gastkommentare : Bleiberecht: Mehr Chance als Risiko? Ein Pro und Contra
Geraten die Kommunen durch das Chancen-Aufenthaltsrecht noch näher an die Belastungsgrenze oder werden hier Einwanderung und Fachkräftemangel zusammengedacht?
Pro
Mit Chancen-Aufenthaltsrecht ist ein Anfang gemacht
Die alten Reflexe zucken noch. Geäußert wird die Angst vor einer Verramschung der deutschen Staatsbürgerschaft und einer Einwanderung in die Sozialsysteme. Aber diesmal sind es leise Töne, gemessen an früheren Debatten. Das jetzt von der Koalition verabschiedete Chancen-Aufenthaltsrecht soll den Weg bereiten für eine grundlegende Reform des Einwanderungsrechtes. Endlich werden die beiden Großthemen Einwanderung und Fachkräftemangel zusammengedacht.
Verstanden wurde, dass Abschiebungen gut integrierter, aber abgelehnter Asylbewerber, die weder straffällig wurden noch falsche Identitätsangaben gemacht haben, irrsinnig sind. Auch soll langjährig geduldeten Ausländern ermöglicht werden, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten. Berufserfahrungen sollen wichtiger werden als oft nur schwer vergleichbare Abschlüsse. All das ist erfrischend unideologisch, vor allem aber pragmatisch.
Denn da ist der dramatische Fachkräftemangel, im Handwerk, bei der Pflege oder der Gastronomie: Alle Initiativen, den Bedarf allein durch gezielte Zuwanderung zu decken, blieben unzureichend. Gering Qualifizierte werden ebenso gebraucht wie Hightech-Spezialisten. Für die, die als Ausländer bereits hier leben, bedarf es einer großen Qualifizierungs- und Integrationsoffensive. Für die anderen muss dieses Land attraktiver werden.
Die Zeit der Dogmen ist vorbei. Jeder Arbeitsplatz, der besetzt ist, bedeutet Steuereinnahmen und Einzahlungen in die Sozialversicherungen. Es muss alles getan werden, damit Migranten, die zum Teil seit vielen Jahren in Deutschland leben, sowohl in den Arbeitsmarkt als auch in die Gesellschaft integriert werden. Mit dem Chancen-Aufenthaltsrecht ist ein Anfang gemacht.
Contra
Die konkreten Folgen des Gesetzes nicht ignorieren
Wer würde es nicht begrüßen, wenn jemand Möglichkeiten erhält, die er vorher noch nicht hatte? Der Name "Chancen-Aufenthaltsrecht" reiht sich gefühlt ein in viele Gesetzesvorhaben, die gerade von der SPD schon mit wohllautenden Begriffen versehen wurden. Doch auch diesmal klingt das Projekt besser, als es ist.
Seine Risiken sind nicht zu leugnen - trotz der guten Absicht, Ausländern, die seit fünf Jahren geduldet sind, ein 18-monatiges Aufenthaltsrecht zu gewähren. In dieser Zeit sollen sie besondere Integrationsleistungen erbringen. Jene übrigens, die eigentlich ausreisepflichtig sind, von denen einige laut Behörden zu Identitätsverweigerern zählen.
Abseits des humanitären Aspekts, der wichtig ist, dürfen die konkreten Folgen des Gesetzes nicht ignoriert werden. Es handelt sich um Personen, bei dem die Ämter zum Ergebnis kamen, dass ihnen weder Asyl noch Flüchtlingsschutz zusteht. Die Neuregelung könnte also eine Ermutigung sein und dazu führen, dass der Sinn des Asylrechts ausgehöhlt wird. Das kann keiner wollen; auch wer vom hehren Ziel angetrieben wird, Integration und Migrationssteuerung kombinieren zu wollen.
Zudem ist zu fragen, ob das deutsche System mit seinem Regelungsdickicht nicht schon genug Chancen bietet, den Betroffenen aufenthaltsrechtliche Sicherheit zu geben. Die Kommunen dürfte ein weiteres Instrument indes noch näher an die Belastungsgrenze bringen. Übrigens bietet die Gesetzeslage auch reichlich Wege, für das Verlassen des Landes zu sorgen, wenn dies der Rechtslage entspricht. Aber auf die von der Ampel versprochene Rückführungsoffensive zur Bekämpfung illegaler Migration wartet man noch vergeblich.