Antiziganismus : Bundestag mahnt Aufarbeitung des Unrechts an Sinti und Roma an
Das nach 1945 in Deutschland an Sinti und Roma begangene Unrecht soll nach dem Willen des Bundestages von einer Kommission aufgearbeitet werden.
Die Bundesregierung soll nach dem Willen des Bundestages eine Kommission "zur Aufarbeitung des an Sinti und Roma begangenen Unrechts in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR" für die Zeit nach 1945 bis in die Gegenwart einrichten. Auch soll sie das Gedenken an die durch das NS-Regime ermordeten Sinti und Roma wachhalten, heißt es in einer von SPD, Union, Grünen und FDP sowie dem Abgeordneten Stefan Seidler (SSW) vorgelegten Entschließung, die das Parlament am Donnerstag bei Enthaltung und einer Gegenstimme der AfD-Fraktion verabschiedete. In der Entschließung zum "Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus: Perspektivwechsel - Nachholende Gerechtigkeit - Partizipation" verurteilt der Bundestag jede Form von Antiziganismus, würdigt die Arbeit der im Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zusammengeschlossenen Verbände und fordert die Regierung unter anderem auf, den Abschluss eines Staatsvertrages anzustreben.
Rasche Entschädigung wird gefordert
In der Debatte wertete Simona Koß (SPD) die Entschließung als "Meilenstein in der Aufarbeitung und Bekämpfung des Antiziganismus". Der Bundestag erkenne das Unrecht an, das Sinti und Roma in der NS-Zeit und in beiden deutschen Staaten nach 1945 angetan worden sei. Durch Verfolgung und Pogrome bis hin zur Massenvernichtung der Sinti und Roma in der NS-Zeit seien bis zu einer halben Million Menschen umgebracht worden. Heute seien Roma und Sinti eine anerkannte Minderheit in Deutschland, doch ihre Organisationen berichteten alle "von Stigmatisierung, von Diskriminierung, von Ausgrenzung und teilweise auch von Übergriffen".
Christoph de Vries (CDU) mahnte, die Entschädigung der wenigen heute noch lebenden Opfer des NS-Völkermords müsse jetzt rasch und unbürokratisch erfolgen. Auch sei es richtig, dass das Unrecht aufgearbeitet wird, das den Sinti und Roma in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik, aber auch in der DDR widerfahren sei. Mit Blick auf den angestrebten Staatsvertrag fügte de Vries hinzu, dabei vor allem den Zentralrat als Partner zu sehen. Es solle aber auch eine vertragliche Zusammenarbeit mit den anderen Minderheitsorganisationen geben.
Filiz Polat (Grüne) betonte, Sinti und Roma hätten "während des Holocaust und der nach 1945 fortgeführten rassistischen Sondererfassung, ihrer zweiten Verfolgung, unermessliches Leid erfahren müssen". Ihrer Diskriminierung "in nahezu allen Lebensbereichen" werde mit der Entschließung endlich die notwendige Bedeutung zugemessen. Sinti und Roma seien seit mehr als 600 Jahren "ein wichtiger Bestandteil der europäischen Kulturgeschichte und damit auch eine tragende Säule unserer pluralen Gesellschaft".
Kommission zur "Zweiten Verfolgung" soll kommen
Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) verwies auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes von 1956, mit dem den Sinti und Roma im Nachkriegsdeutschland die Schuld an der Verfolgung vor 1943 selbst zugeschrieben worden sei. Bis 1982 habe man bewusst mit diesem Unrecht gelebt, bis die damalige sozialliberale Bundesregierung den Holocaust an bis zu 500.000 Sinti und Roma endlich offiziell anerkannt habe. Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, kündigte an, nächstes Jahr eine "Wahrheitskommission" zur Aufarbeitung der "Zweiten Verfolgung" von Sinti und Roma zu berufen.
Markus Frohnmaier (AfD) kritisierte dagegen, die Antiziganismusforschung sei in erster Linie "eine Ideologiemaschine für linke Sozialwissenschaftler". Es sei richtig, die historischen Verbrechen objektiv wissenschaftlich zu erforschen, aber "völlig absurd, unsere heutige Gesellschaft als einen Hort der Unterdrückung, Diskriminierung und Gewalt zu diffamieren".