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Geheimdienst-Spitzen im Bundestag : MAD-Präsidentin: "Sicherheit ist heute nicht selbstverständlich"

Die Spitzen der Nachrichtendienste berichten vor dem Geheimdienstkontrollgremium über extremistische Bedrohungen. Auch die Lage im Nahen Osten ist Thema.

19.10.2023
2024-01-30T13:24:54.3600Z
3 Min
Foto: Deutscher Bundestag / Sebastian Rau / photothek

Die Präsidenten der Nachrichtendienste, Thomas Haldenwang vom Bundesamt für Verfassungsschutz (links), Bruno Kahl vom Bundesnachrichtendienst (rechts) und Martina Rosenberg vom Militärischen Abschirmdienst im Parlamentarischen Kontrollgremium.

Die angespannte Situation im Nahen Osten nach den Hamas-Angriffen auf Israel sorgt auch die Spitzen der Nachrichtendienste des Bundes. "Der Terror der Hamas im Nahen Osten stellt eine weitere Zäsur dar, die Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland haben kann", sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, bei der alljährlichen öffentlichen Anhörung vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags vergangenen Montag. Der Verfassungsschutz warne schon lange vor den Gefahren, die von den zunehmenden antisemitischen und antiisraelischen Aktivitäten innerhalb der verschiedenen Beobachtungsbereiche des Amtes ausgingen, und habe diese genau im Blick, sagte Haldenwang in Anwesenheit der Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), Martina Rosenberg, und des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl.

Der Verfassungsschutzchef nannte die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigten Verbote gegenüber der Hamas und dem Verein Samidoun eine "logische Konsequenz unserer Erkenntnislage". Mit allen zur Verfügung stehenden Kapazitäten arbeite seine Behörde nun daran, die Umsetzung der Maßnahmen schnellstmöglich zu gewährleisten. Aus seiner Sicht gibt es auch noch weitere Organisationen, die für Verbote in Betracht kämen.

Verfassungsschutz: Abstrakt hohe Gefahr für Menschen jüdischen Glaubens

Zur Sicherheit von Juden in Deutschland angesichts pro-palästinensischer Demonstrationen auf deutschen Straßen befragt, wollte Haldenwang zwar nicht von einer konkreten Gefährdung reden. Es gebe aber eine "abstrakt hohe Gefahr für Menschen jüdischen Glaubens", räumte er ein.

Für den Extremismus seien multidimensionale Krisen ein Aufputschmittel, sagte der Verfassungsschutzchef. Zudem gebe es eine "Entgrenzung verfassungsfeindlichen Gedankengutes in die Breite der Gesellschaft". Rechtsextremisten versuchten ihre Agenda "in die bürgerliche Mitte zu eskalieren", sagte Haldenwang. Dabei gewinne der Themenkomplex Migration und Asyl zunehmend an Bedeutung. Extremistische Denk- und Sprachmuster würden sich in die Gesellschaft einnisten. "Die Einstiegsschwelle in den Extremismus ist gefährlich abgeflacht", befand der BfV-Präsident.

Terrorabwehr bei dschihadistischem Islamismus prioritäre Daueraufgabe

Seine Behörde bewerte die Gefahr schwerer Gewalttaten von Linksextremisten gegen Personen ebenfalls als ernst. "Auch wenn die Schwelle zum Linksterrorismus noch nicht überschritten wurde, ist die Entstehung neuer linksterroristischer Strukturen wahrscheinlicher geworden", sagte er.


„Die Einstiegsschwelle in den Extremismus ist gefährlich abgeflacht.“
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV)

Im Feld des dschihadistischen Islamismus sei die Terrorabwehr eine prioritäre Daueraufgabe geworden, so der BfV-Präsident. Die relative Ruhe in diesem Bereich sei der harten Arbeit und der Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden zu verdanken.

Für MAD-Präsidentin Rosenberg zeigen die terroristischen Angriffe auf Israel einmal mehr, "dass Sicherheit heute nicht selbstverständlich ist". Der Militärische Abschirmdienst richte aufgrund der sich verändernden Sicherheitslage, insbesondere infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, seine Aufgaben verstärkt auf die Herausforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung aus. Nach wie vor stehe die Bundeswehr mit all ihren militärischen Fähigkeiten im besonderen Fokus ausländischer Nachrichtendienste - zuallererst jener aus Russland und China, sagte Rosenberg.

Nachrichtendienstliche Ansprachen frühzeitig erkennen

Zu beobachten sei ein breit gefächerter Ansatz an hybriden Maßnahmen im Cyber- und Informationsraum. Dabei verliere aber die klassische Spionage nicht an Bedeutung. Als problematisch bewertete sie, dass sich ehemalige Bundeswehrpiloten als Ausbilder in China verdingen. Das berge die Gefahr in sich, dass geschützte Taktiken der Nato durch chinesische Stellen aufgeklärt werden.

Prävention, so Rosenberg, sei das beste Abwehrmittel. Bundeswehrangehörige sollten durch Präventionsarbeit in die Lage versetzt werden, nachrichtendienstliche Ansprachen frühzeitig zu erkennen und sicherheitsbewusst zu reagieren, sagte sie.

Die Auswirkungen des neuen Krieges im Nahen Osten auf die Stabilität der Region seien noch nicht abzusehen, befand BND-Präsident Kahl. Sollte die Lage weiter eskalieren, drohe ein Flächenbrand mit Auswirkungen, "die weit über den Nahen und Mittleren Osten hinausreichen werden". Der BND trage wesentlich dazu bei, die Integrierte Sicherheit der Bundesrepublik zu gewährleisten sowie die Resilienz des öffentlichen Lebens wie auch der demokratischen Strukturen zu stärken, sagte Kahl. Neben globalen Großkonflikten würden regionale Krisenherde ebenso aufgeklärt wie der internationale Terrorismus, Folgen des Klimawandels oder Risiken aus dem Cyber-Raum. "Wir liefern die nötigen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, damit Deutschland die Zeitenwende erfolgreich meistern kann", sagte der BND-Chef.