Zahl der Petitionen gesunken : Schluss mit dem Kummerkasten-Image
11.667 Petitionen haben den Petitionsausschuss im Jahr 2021 erreicht. Die Debatte über sinkende Petitionszahlen ist im Gang, die Abgeordneten sehen Reformbedarf.
Ortstermine gehören eigentlich zum Repertoire des Petitionsausschusses. Mehrmals pro Jahr machen die Abgeordneten von der Möglichkeit Gebrauch, sich vor Ort ein Bild davon zu machen, ob und gegebenenfalls wie die Forderung aus einer Petition zu erfüllen ist. So war es im Jahr 2021 auch im Zuge der Befassung mit einer Eingabe geplant, die auf eine Erhöhung der vorhandenen Lärmschutzwand entlang der Grenze eines Grundstücks des Petenten zur Bundesautobahn A 30 in Nordrhein-Westfalen abzielt.
Corona verhindert Besuch vor Ort
Die Corona-Einschränkungen ließen eine solche Reise jedoch nicht zu. Der Petitionsausschuss zeigte sich aber flexibel und ging neue Wege: Erstmals fand ein Ortstermin per Drohne statt. Die Foto- und Videoaufnahmen wurden danach mit Vertretern des Verkehrsministeriums und der Autobahn GmbH des Bundes sowie des Petenten erörtert. Im Ergebnis erkannte auch das Ministerium die erhebliche Lärmbelastung und den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf an.
Darüber und über ähnliche Fälle informiert der Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses, den der Bundestag vergangene Woche beraten hat. 11.667 Petitionen haben den Ausschuss der Vorlage zufolge in Berichtsjahr 2021 erreicht - 2.647 weniger als noch 2020. Ein Viertel der Eingaben betraf den Geschäftsbereich des Gesundheitsministeriums.
Schnittstelle zwischen Bundestag und Bürgern
"Das Jahr 2021 war neben der andauernden Corona-Pandemie auch vom Wechsel der Wahlperiode geprägt", konstatierte denn auch die Ausschussvorsitzende Martina Stamm-Fibich (SPD) während der Debatte. Sie betonte auch die besondere Rolle des Ausschusses als Schnittstelle zwischen Bundestag und Bürgern. Vielfach stelle der Ausschuss für die Menschen die letzte Möglichkeit dar, um Hilfe und Unterstützung zu erfahren.
Zur Frage, warum die Zahl der Petitionen an den Bundestag gesunken ist, gab es verschiedene Erklärungsansätze. Für Andreas Mattfeldt (CDU) ist das auch ein Zeichen der Zufriedenheit mit der Bundesregierung, der im Berichtsjahr 2021 die Union angehört habe.
Ina Latendorf ( Linke) indes glaubt nicht, "dass alle zufrieden sind und es keine Probleme in Deutschland gibt". Festzustellen sei, dass es nur bei etwa vier Prozent der Petitionen ein wirklich unterstützendes Votum des Ausschusses gegeben habe. Man müsse sich daher fragen, "ob eine an den Bundestag gerichtete Petition einen Mehrwert für die Bürger hat"
Konkurrenz durch private Plattformen
Axel Echeverria (SPD) verwies auf private Petitionsplattformen, bei denen 50.000 Mitzeichnungen keine Seltenheit seien. "Bei uns waren es im Jahr 2021 ganze fünf Petitionen", so der SPD-Abgeordnete. Damit seien nur 0,8 Prozent der 636 öffentlichen Petitionen auch öffentlich beraten worden. Das zeige den Reformbedarf. Petition einzureichen müsse leichter werden. Es müsse zudem auch einfacher werden, sie zu veröffentlichen und mitzuzeichnen, forderte er. "Ansonsten bleibt der Petitionsausschuss ein Kummerkasten, was mir zu wenig ist", sagte Echeverria.
Vorwürfe an die Union
Aus Sicht von Corinna Rüffer (Grüne) hat der Ausschuss sein großes politisches Potenzial in den letzten Jahren nicht genutzt. Grund für die nicht erfolgte Weiterentwicklung sei die "jahrelange Unionsmehrheit". CDU und CSU hätten sich geweigert, "das Instrument als politisches Instrument auch zu nutzen" und das Petitionswesen dementsprechend zu stärken. Die Ampel-Koalition sei nun dabei, eine neue Kultur im Ausschuss zu etablieren und das Petitionsrecht transparenter, barrierefreier und für alle zugänglich zu machen.
Unionsmann Mattfeldt sprach hingegen von einem Stotterstart der Ampel. In 13 Jahren Mitarbeit im Petitionsausschuss habe er zudem noch nie erlebt, dass eine Petition gestoppt worden sei, weil sie einer Regierungsfraktion nicht gepasst habe, sagte er. Dabei sei es um die Forderung nach einem neuen Wolfs-Management gegangen, die der Ausschuss mit dem höchstmöglichen Votum an die Bundesregierung habe überweisen wollen. "Soviel zu ihrer Kultur des Neuanfangs", sagte Mattfeldt.
FDP: Petitionsausschuss zwingt zu Kompromissen
Todtenhausen (FDP) räumte ein, dass die Koalition bei der Arbeit im Petitionsausschuss zu Kompromissen gezwungen werde, "die sie im Koalitionsvertrag eigentlich gar nicht ausgehandelt hat". Spätestens bei der Vorstellung des nächsten Jahresberichtes werde sich zeigen, wie gut das gelungen ist. Er erwarte hervorragende Ergebnisse, da es bislang sehr gut funktioniere, sagte Todtenhausen.
Dirk Brandes (AfD) sprach sich für Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild in wichtigen Fragen für Deutschland und Europa aus. "Wir möchten mehr direkte Demokratie wagen", sagte er. Zugleich gelte es, die bestehenden Grundsätze des Ausschusses zu überarbeiten. Derzeit sei es so, dass die Ausschussmehrheit eine Petition nur unterstütze, "wenn das Ziel der Petition ohnehin im Koalitionsvertrag vereinbart wurde". Regierungskritische Positionen hätten keine Chance.