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Resilienz gegen Rechtspopulismus: Die Ampel-Fraktionen wollen das Bundesverfassungsgericht besser vor Verfassungsfeinden schützen.

Wehrhafte Demokratie : Braucht das Verfassungsgericht mehr Schutz?

Verfassungsgerichte geraten weltweit unter Druck. Jetzt diskutiert auch Deutschland darüber, wie man das Gericht vor Verfassungsfeinden schützen kann.

26.03.2024
2024-03-22T17:18:20.3600Z
6 Min

Ist das Bundesverfassungsgericht  (BVerfG) ausreichend vor feindlicher Übernahme geschützt? Diese Frage treibt die Republik derzeit um. In der Ampel gibt es Überlegungen, das höchste Gericht in Deutschland durch eine Grundgesetzänderung stärker vor möglichen Entmachtungsversuchen zu schützen. Woher rührt die plötzliche Sorge?

Bisher ist es so: Das Bundesverfassungsgericht ist im Grundgesetz in Artikel 93 und 94 geregelt. Damit ist es als Institution geschützt, weil das Grundgesetz nur mit Zwei-Drittel-Mehrheiten geändert werden kann.

Bundesverfassungsgerichtsgesetz lässt sich mit einfacher Mehrheit ändern

Es gibt jedoch ein großes Aber. Wichtige Vorschriften zur Organisation des Gerichts, wie zum Beispiel die Wahl der Richter und Richterinnen, die auf zwölf Jahre befristete Amtszeit und der Ausschluss einer Wiederwahl, sind in einem einfachen Gesetz, dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), enthalten und können mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag geändert werden.

Auch die Organisation, wie zum Beispiel das Zwei-Drittel-Erfordernis bei der Wahl neuer Karlsruher Verfassungsrichterinnen und -richter oder dass es zwei Senate mit jeweils acht Richterinnen und Richtern gibt und nicht etwa zwölf in nur einem Senat, der womöglich  mit regierungstreuen Mitgliedern aufgefüllt werden könnte, was neue Merhrheiten mit sich bringen könnten  - auch diese Regeln stehen so nur im BVerfGG und könnten mit einfacher Mehrheit verändert werden. 


„Seit ungefähr 15 Jahren erleben wir den Rückbau und Bedeutungsverlust der Verfassungsgerichte in vielen Ländern. “
Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts

Warum kommt die Diskussion gerade jetzt auf? Da ist zum einen das Erstarken populistischer Parteien im Bund. Sollten sie eine parlamentarische Mehrheit bekommen, könnten sie das Verfassungsgericht als zentrale Kontrollinstanz vergleichsweise leicht ausschalten, so die Befürchtung, die auch durch das Rechtsextremen-Treffen in Potsdam im November vergangenen Jahres genährt wurde. Dort soll es unter anderem auch darum gegangen sein, wie sich die Legitimität des Verfassungsgerichts untergraben lasse.

Und da ist zum anderen der Blick ins Ausland, der zeigt, wie schnell das in der Praxis gehen kann.  Die Idee des demokratischen Verfassungsstaats sei weltweit unter Druck geraten, schrieb der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, in einem Beitrag für die „Zeit“. „Seit ungefähr 15 Jahren erleben wir den Rückbau und Bedeutungsverlust der Verfassungsgerichte in vielen Ländern“, stellte Voßkuhle fest und benannte die markantesten Beispiele.

Ungarn und Polen sind mahnende Beispiele

Den Anfang machte Ungarn. Nach dem Wahlsieg Viktor Orbans 2010 wurde zunächst die Zahl der Richter von elf auf 15 erhöht und, nachdem das Gericht mit regierungstreuen Richtern besetzt worden war, wurde deren Amtszeit von drei auf zwölf Jahre verlängert.

Ähnliches fand in Polen nach der Machtübernahme der nationalkonservativen PiS in 2015 statt. Nachdem zunächst das später abgewählte Parlament im Oktober fünf neue Richter berufen hatte, wählte das neu konstituierte Parlament im Dezember fünf PiS-Kandidaten auf die Richterposten. Dann verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das unter anderem vorsah, dass Verfahren chronologisch nach Eingang und nicht nach Wichtigkeit zu bearbeiten seien. Auch so sind Gerichte lahmzulegen.

Und selbst der Supreme Court der USA hat an Autorität verloren. Beginnend mit der Reagan-Administration habe die Republikanische Partei das im Kern moderate Gericht durch ihre Personalpolitik in eine zutiefst konservative Institution verwandelt, schreibt Voßkuhle. Nun stünde es sechs zu drei für die Konservativen, und das werde angesichts lebenslanger Amtszeiten noch viele Jahre so bleiben.

Das Bundesverfassungsgericht

 ⚖️Das höchste deutsche Gericht: Das Bundesverfassungsgericht hat seit seiner Gründung im Jahr 1951 seinen Sitz in Karlsruhe. Dort arbeiten 16 Richter und Richterinnen. Präsident ist aktuell Stephan Harbarth.

🎓Hüter der Verfassung: Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es, darauf zu achten darauf, dass die Gesetze in Deutschland den Regeln der Verfassung entsprechen. Es ist Letztinterpret des Grundgesetzes. Auch Organstreitigkeiten fallen in seine Zuständigkeit.

👍Gericht verfügt über breite Akzeptanz: Das Verfassungsgericht genießt großes Vertrauen in der Bevölkerung. Seine Urteile, Beschlüsse und Verlautbarungen stoßen weitgehend auf Akzeptanz. 



Union erteilt politischer Diskussion vorerst eine Absage

Die politische Diskussion, die nach dem Willen von Justizminister Marco Buschmann (FDP), „lagerübergreifend“ geführt werden sollte, ist unterdessen ins Stocken geraten. Zunächst hatte sich die Union offen für entsprechende Gespräche gezeigt. "Wir teilen die Sorge der parteipolitischen Einflussnahme auf die Justiz und insbesondere das Bundesverfassungsgericht", sagte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Andrea Lindholz (CSU) im Januar. Doch inzwischen erteilte die Union den Plänen eine Absage. Vorerst jedenfalls. Nach Abwägung von Vor- und Nachteilen sehe man derzeit keine zwingende Notwendigkeit für eine Verfassungsänderung, so Lindholz Ende Februar. Ohne Mithilfe der Union wäre die beabsichtigte Verfassungsänderung, die eine Zweidrittelmehrheit erfordert, allerdings nicht möglich.

Der Abbruch der Gespräche stieß bei der Ampel denn auch auf Unverständnis und Empörung. Minister Buschmann sagte, „gerade im Jahr des 75. Geburtstages des Grundgesetzes wäre es ein wichtiges Zeichen gewesen, die Abwehrkräfte unserer Demokratie und des Rechtsstaats zu stärken“. Er zeigte sich für weitere Gespräche mit der Union offen.

SPD warnt vor wahltaktischen Spielchen

Grünen-Politiker Konstantin von Notz nannte die Entscheidung der Union fahrlässig und kritisierte CDU-Chef Friedrich Merz. "Während Millionen Menschen in unserem Land für unseren Rechtsstaat und seine Wehrhaftigkeit auf die Straße gehen, krieg es Friedrich Merz noch immer nicht hin, über seinen Schatten zu springen.“

Die Vorsitzende der Justizministerkonferenz, Niedersachsens Ressortchefin Kathrin Wahlmann (SPD), nannte den Abbruch der Gespräche "äußerst irritierend": Der Wochenzeitung „Das Parlament“ sagte sie: „Das Bundesverfassungsgericht ist Kernbestandteil unserer verfassungsmäßigen Ordnung. Es darf nicht zum Spielball wahltaktischer Spielchen werden.“

In den Ländern ist man weiter als im Bund. Die Justizministerinnen und -minister haben sich schon im Frühjahr 2023 darauf verständigt, Änderungen im Bundes- und Landesrechts zu prüfen, "um eine mögliche Schwächung des Rechtsstaats zu verhindern". Ende 2023 setzte die Justizministerkonferenz eine Arbeitsgruppe ein, mit dem Ziel, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen.

Parteiübergreifendene Einigkeit

Ende Januar demonstrierten die Justizministerinnen und -minister in einer gemeinsamen Presseerklärung der Länder Bayern, Hamburg und Niedersachsen parteiübergreifende Einigkeit. Man müsse jedem "Vorstoß, die Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen und die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken, entschieden entgegentreten", sagte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU). Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) betonte: "Die Länder sind bereit, mit einem konkreten Gesetzentwurf ihren Beitrag zu einer fundierten Debatte zu leisten." Niedersachsens Justizministerin Wahlmann (SPD), mahnte: "Ohne eine unabhängige Justiz als Garantin des Rechtsstaats ist die Demokratie in akuter Gefahr, einen schnellen Tod zu sterben. Das dürfen wir nicht zulassen."

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Das Bundesverfassungsgericht grundgesetzlich besser zu schützen, gehört für die Verfechter der Idee zur "wehrhaften Demokratie".

Aus dem  – noch vorläufigen – Entwurf der Länder-Justizministerinnen und -minister, aus dem die „Legal Tribune Online“ (LTO) zitiert, geht unter anderem hervor, dass es Überlegungen gibt, zentrale Vorgaben zur Wahl und Stellung der Mitglieder des Gerichts aus dem BVerfGG in die Verfassung zu heben. Das umfasse insbesondere das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Mitglieder durch Bundestag und Bundesrat, die Festschreibung der Amtszeit auf zwölf Jahre, die Festlegung der Altersgrenze sowie den Ausschluss der erneuten Wählbarkeit.

Im Gespräch soll demnach auch ein neuer Mechanismus zur Vermeidung dauerhafter Blockaden bei der Richterwahl sein. Als Szenario wird befürchtet, dass schon ein Drittel der Stimmen im Bundestag oder Bundesrat ausreichen würden, um mit einer Sperrminorität die Arbeitsfähigkeit des BVerfG zu beeinträchtigen. Dann könnte die Nachfolgerwahl blockiert werden. 

Als Lösung solcher Blockadefälle könnte neu geregelt werden, dass der Bundesrat für den Bundestag und umgekehrt der Bundestag für den Bundesrat das Wahlrecht ausübt. 

Vorschlag: Bundesrat soll zustimmen müssen

Als weitere Sicherung könnte dem Entwurf zufolge zudem bestimmt werden, dass Änderungen im Bundesgesetz zur gerichtlichen Verfassung und zum Verfahren des Gerichts künftig grundsätzlich der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.

Wie auch immer der Gesetzentwurf am Ende aussehen werde - über das Ziel, das Verfassungsgericht vor Verfassungsfeinden zu schützen, sollte zwischen allen Demokratinnen und Demokraten in Bund und Ländern Einigkeit herrschen, sagte Wahlmann dem „Parlament“ Die von der Justizministerkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe zum wehrhaften Rechtsstaat sieht sie als geeigneten Ort, "aus einem breiten demokratischen Konsens heraus konkrete Vorschläge für Gesetzesänderungen" zu entwickeln.

Der vorliegende, nicht finale Entwurf soll nun weiter beraten werden. Sie gehe davon aus, "dass wir die Ergebnisse des Nachdenkens auf Länderseite in den kommenden Monaten auch auf Bundesebene umsetzen werden“, sagte Wahlmann. Das setze aber ein Mitwirken aller demokratischen Parteien voraus. Damit spielt die Landesministerin den Ball ins Feld der Union zurück. Vielleicht nimmt die ihn nochmal auf: CDU-Chef Merz erklärte sich unterdessen offen für eine weitere Diskussion - wenn es Vorschläge gebe, "die dazu wirklich geeignet sind". Seiner Ansicht nach gebe es aber aktuell keine ernsthaften Angriffe auf das Bundesverfassungsgericht.