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Bundestag beschließt Bürgergeld : Der Zeitplan wackelt

Das Parlament hat das Bürgergeld-Gesetz verabschiedet. Nun kommt es auf den Bundesrat an.

14.11.2022
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4 Min
Foto: picture-alliance/Zoonar/Andres Victorero

Eigentlich soll das Gesetz zum 1. Januar 2023 in Kraft treten und damit auch die Erhöhung der Regelsätze. Doch den Bundesrat wird das Bürgergeld nicht so einfach passieren.

Alle Augen richten sich nun auf den Bundesrat. Zwar hatte der Bundestag am vergangenen Donnerstag nach einem heftigen Schlagabtausch den Gesetzentwurf (20/3873; 20/4360) der Bundesregierung für ein Bürgergeld-Gesetz verabschiedet. Aber die nötige Zustimmung der Länderkammer scheint angesichts des massiven Widerstands der Union aussichtslos. Stimmt der Bundesrat dem Gesetz nicht zu, landet es im Vermittlungsausschuss und dann wäre schon ziemlich viel Tempo nötig, um das Gesetz noch so rechtzeitig zu verabschieden, dass wenigstens die Erhöhung der Regelsätze zum 1. Januar kommen kann. Die Betroffenen bräuchten diesen Inflationsausgleich aber dringend, hieß es unisono während der Debatte im Bundestag.

In der namentlichen Abstimmung votierten bei 679 abgegebenen Stimmen 385 Abgeordnete für den Entwurf, 261 dagegen und 33 Abgeordnete enthielten sich. Während die Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP der CDU/CSU-Fraktion vorwarfen, mit ihrer Kritik die Grenze üblicher und berechtigter Oppositionskritik überschritten zu haben und "fake news" zu Sanktionen und Schonvermögen zu verbreiten, kritisierten Union und AfD die Regierung scharf genau wegen dieser Punkte. Die Linke warf der Regierung vor, Hartz IV mit dem Bürgergeld nicht zu überwinden, es bleibe Armut per Gesetz.

Mit dem Bürgergeld möchte die Ampel-Regierung "Hartz IV hinter sich lassen". Geplant sind unter anderem eine "Kooperation auf Augenhöhe" zwischen Arbeitssuchenden und Jobcenter-Mitarbeitern, die Einführung einer zweijährigen Karenzzeit, in der das Vermögen und die Angemessenheit der Wohnung nicht überprüft werden soll, und die Stärkung von Weiterbildung durch finanzielle Anreize. Außerdem soll der Soziale Arbeitsmarkt entfristet und Sanktionen abgemildert werden. Abgeschafft werden soll auch der "Vermittlungsvorrang in Arbeit". Stattdessen sollen Geringqualifizierte auf dem Weg zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung unterstützt werden.

Nachträglich geändert wurden unter anderem Regelungen zur Erstattung der Heizkosten während der Karenzzeit: Diese werden nun nicht mehr in tatsächlicher, sondern nur in angemessener Höhe anerkannt. Künftig sollen Leistungsberechtigte nicht mehr nur über eine einfache Erklärung bestätigen, dass ihr Vermögen die Grenzwerte für das Schonvermögen nicht überschreitet, es ist eine Selbstauskunft nötig. Das begleitende Coaching für langzeitarbeitslose Menschen nach Start einer Arbeitsaufnahme wird auf neun Monate erweitert und auf junge Menschen, die eine Ausbildung beginnen, ausgeweitet. Die Hinzuverdienstregeln für Schüler und Studierende werden nochmals verbessert: Bis zu drei Monate nach Schulabschluss sollen die großzügigeren Regeln für Minijob-Verdienste nun gelten, außerdem werden die Freibeträge dynamisiert.

Einstieg in den Arbeitsmarkt

In der Debatte verteidigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) das Bürgergeld: "Wir schaffen die Chance, dass Menschen nicht in Hilfstätigkeiten vermittelt werden müssen, sondern einen dauerhaften Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen. Wir bauen überflüssige Bürokratie in den Jobcentern ab, damit diese sich wieder auf das Wesentliche, die Vermittlung und Beratung, konzentrieren können."

Britta Haßelmann (Grüne) griff Unionsfraktionschef Friedrich Merz scharf an. "Er schürt Sozialneid ohne Ende, aber hier im Parlament kneift er." Man könne nicht erwarten, dass jemand, der im Privatjet zu Partys fliege, die Situation einer Alleinerziehenden mit wenig Geld nachvollziehen könne. "Aber was ich erwarte, ist Respekt vor der Lebenslage eines jeden Menschen und den haben Sie nicht."

Johannes Vogel (FDP) betonte: "Es macht einen Unterschied, ob man ein alternatives politisches Urteil fällt oder ob man alternative Fakten erfindet." Zu denen gehöre unter anderem die Behauptung von Friedrich Merz, mit dem Bürgergeld werde eine sechsmonatige sanktionsfreie Karenzzeit eingeführt. "Es gibt keine sanktionsfreie Zeit im Bürgergeld! Wer etwas anderes behauptet, verbreitet fake news." Völlig "schizophren" werde es, wenn die Union behaupte, Arbeit lohne sich nicht mehr. "Das ist in jedem einzelnen Fall falsch."

Martin Rosemann (SPD) sagte: "Das Bürgergeld ist mit seinem Fokus auf Qualifizierung und Weiterbildung die Antwort auf den Fachkräftemangel." Das habe die Union offenbar nicht verstanden und führe stattdessen lieber die Debatten von vor 20 Jahren weiter. "Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass sich der Arbeitsmarkt geändert hat", sagte er in deren Richtung.

Hermann Gröhe (CDU) warf der Koalition "ideologische Verbohrtheit" vor, weil sie kritische Stimmen aus den Kommunen, die das Gesetz umsetzen müssen, ignoriere. So werde eine Zustimmung des Bundesrates schwierig. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, die Union verzögere die Regelsatzerhöhung zum 1. Januar. "Sie haben die Gelegenheit, mit uns ins Gespräch zu kommen, verstreichen lassen."

Norbert Kleinwächter (AfD) kritisierte: "Das Bürgergeld hilft nicht denen, die arbeiten, sondern denen, die nicht arbeiten wollen." Ein Risiko müsse ein Bürgergeld-Bezieher nicht eingehen, sagte er und meinte damit die großzügigeren Regeln zum Schonvermögen und Sanktionen. Das gesellschaftliche Grundprinzip des Geben und Nehmens werde ausgehebelt, deshalb sei das Bürgergeld "eine Beleidigung des Sozialstaats".

Dietmar Bartsch (Die Linke) kritisierte die Koalition dafür, nicht schon im Sommer die Regelsätze erhöht und den nun entstandenen Zeitdruck selbst erzeugt zu haben. "Das ist keine Koalition des Fortschritts. Das ist eine Schnarchkoalition: Immer zu spät und zu wenig. Bei den Energiepreisen - Deckelung viel zu spät! Erhöhung der Regelsätze - Inflation verpennt!" Es gebe zwar Fortschritte beim Bürgergeld, letztlich aber seien die Regelsätze immer noch viel zu niedrig. "53 Euro mehr? Was für ein Käse."