Editorial : Prinzip Hoffnung
Die Politik will gestalten. Aber eine Reform wie die Bürgergeld-Reform ist keine Routine.
Bei allem Streit in der Debatte zum Bürgergeld: Gut, dass sie geführt wurde. Die Politik ist fest entschlossen, zu gestalten. Trotz aller Krisen und mit einem großen Wurf. Der zuständige Bundesminister, Hubertus Heil (SPD), nennt das Bürgergeld die "größte Sozialreform seit 20 Jahren". Der Anspruch wäre vermessen, eine so angekündigte Reform ohne kritische Diskussion auf den Weg bringen zu können. Reformen wie diese sind keine Routine. Über den richtigen Weg in der Grundsicherung der Zukunft darf gestritten werden, es muss Kritik geben.
Konträre Sichtweisen zu Solidarität und Gerechtigkeit
Seit der großen Arbeitsmarktreform der Agenda 2010 elektrisiert Hartz IV das Land und auch die Diskussion über das neue Bürgergeld wird ziemlich aufgeladen geführt. Es geht schlicht um sehr konträre Sichtweisen, wie sich Solidarität in der Gesellschaft mit Gerechtigkeit verbinden lässt. Und es geht um sehr unterschiedliche Sichtweisen darauf, ein würdevolles Leben auch ohne Arbeit zu garantieren und gleichzeitig allen Betroffenen möglichst schnell einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit zu verschaffen.
Bemerkenswert ist, dass im Bundestag in einem Punkt große Einigkeit herrscht: Es ist richtig, die Regelleistungen deutlich zu erhöhen. Und kaum in der Kritik steht auch der neue Ansatz, mit dem die Regelsätze nicht mehr der Inflation hinterherlaufen. Künftig werden sie nicht als Reaktion auf die Inflation im Nachhinein, sondern vorausschauend an die Teuerungsraten angepasst. Wer heute Hartz IV bezieht oder künftig das Bürgergeld, hat im Regelfall keine Reserven, die Inflation erst einmal vorzufinanzieren.
Koalition und Opposition liefern sich hitzige Wortgefechte um die Sozialreform.
Grünenpolitiker Wolfgang Strengmann-Kuhn fordert eine neue Art der Berechnung der Regelsätze in der Grundsicherung. Das sei trotz des Inflationsausgleichs nötig.
Ist das Bürgergeld ein umetikettiertes Hartz IV? Ein Pro und Contra von Margaret Heckel und Eva Quadbeck.
Emotional wird die Debatte vor allem in der Gerechtigkeitsfrage. Wie viel Mitwirkung darf die Gesellschaft von Mitbürgern verlangen, deren Lebensunterhalt sie übernimmt? Sanktionen heißt das Reizwort. Ganz nüchtern hat das Bundesverfassungsgericht 2019 entschieden, dass Sanktionen grundsätzlich zulässig sind, allerdings müssen diese begrenzt sein. Das neue Bürgergeld will auf Druck weitestgehend verzichten. Die Hoffnung dahinter ist, dass die Menschen sich ohne Druck stärker auf die Arbeitssuche konzentrieren und Langzeitarbeitslose ohne Berufsausbildung vor allem auch auf Qualifizierung. Diese Hoffnung teilt nicht jeder. Wenn sie aber nicht trügt, könnte sich dieses Vertrauen für die Gesellschaft auszahlen, als Beitrag zur Fachkräftesicherung.