Konsequenzen aus der EU-Wahl : Union fordert die Abschaffung des Bürgergeldes
Die Grünen vermissen eine klare Haltung bei CDU/CSU. Das BSW fordert ein Ende der Schuldenbremse und die AfD lobt ihr Grundsicherungsmodell als "spitze".
Die Aufarbeitung der Europawahl-Ergebnisse hat diese Woche auch im Bundestag begonnen. Mit einem Thema, das vielleicht vielen nicht als erstes dazu einfällt. Aber für die Unionsfraktion ist klar: Eine Lehre aus ihrem guten Abschneiden beziehungsweise der klaren Watsche für die Ampel-Bundesregierung ist: Das Bürgergeld muss weg. So lautete zumindest sinngemäß der Titel der von ihr beantragten Aktuellen Stunde, die im Bundestag am Donnerstagnachmittag stattfand. Aktuelle Stunden sind stets eine gute Gelegenheit, politischen Kontrahenten einfach mal ordentlich eins mitzugeben. Da es nicht die erste Grundsatzdebatte zum Thema Bürgergeld war, zeigten sich alle Seiten einigermaßen routiniert, aber trotzdem leidenschaftlich, in Angriff und Verteidigung.
CDU/CSU und AfD ist das Bürgergeld schon lange ein Ärgernis. Beide Parteien haben deshalb alternative Konzepte erarbeitet, mit einem stärkeren Fokus auf das Fordern.
Den Anfang machte für die Unionsfraktion Carsten Linnemann, den bei seiner Kritik vor allem die Zahl der Menschen, die in Beschäftigung vermittelt werden, umtrieb. So rechnete er vor, dass in den 16 Jahren von 2006 bis 2022 die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsbezieher um 1,5 Millionen gesunken sei. Aber: "Dann kam das Bürgergeld, und das war der Wendepunkt zum Negativen." Heute seien 200.000 Menschen mehr im Bürgergeld-Bezug als zum Start 2022, auch weil das Prinzip des Forderns und Förderns nicht mehr gelte.
Die Union will den Vermittlungsvorrang in Arbeit wieder einführen
Es müsse aber klar sein, "wer arbeiten kann, muss arbeiten gehen, ansonsten gibt es keine Sozialleistungen. Wir brauchen eine 'neue Grundsicherung, die den Vermittlungsvorrang in Arbeit wieder einführt", sagte Linnemann unter Verweis auf das gleichnamige Konzept seiner Partei. Das Bürgergeld sei "die schlechteste Sozialstaatsreform der letzten 20 Jahre", so sein Resümee.
Annika Klose (SPD) fragte ihn daraufhin: "Ist das wirklich ihr Ernst? Glauben Sie wirklich, dass die Bürger die Union bei der EU-Wahl wegen ihres Konzeptchens der neuen Grundsicherung gewählt haben?" Wie später Grüne und FDP-Abgeordnete, wies auch die Sozialdemokratin darauf hin, dass die Union der Einführung des Bürgergeldes im Vermittlungsausschuss zugestimmt habe. "Das Bürgergeld ist keine soziale Hängematte: Dreh- und Angelpunkt sind die Qualifizierung und Weiterbildung von Menschen. Es ist auch kein bedingungsloses Grundeinkommen. Hören Sie endlich auf, Menschen, die wenig haben, gegen Menschen, die gar nichts haben, gegeneinander auszuspielen. Damit machen Sie das Geschäft derjenigen, die hier ganz rechts außen sitzen", empörte sich Klose.
Die AfD lobt ihr Modell für eine Grundsicherung als "einsame Spitze"
Norbert Kleinwächter (AfD) erwiderte in Richtung Koalitionsfraktionen: "Warum regieren Sie eigentlich noch? Es ist wirklich Zeit für einen Rücktritt", denn diese Regierung könne die Probleme des Landes nicht mehr lösen. Das Bürgergeld sei "eine Katastrophe. Wir haben von Anfang an gesagt, es wird viel zu teuer, Sie haben es eingeführt, und jetzt haben wir den Schlammassel." Kleinwächter lobte das AfD-Modell einer "aktivierenden Grundsicherung" als "einsame Spitze. Wir werden die Leute in Arbeit bringen, weil wir auch Bürgerarbeit einführen. Gleichzeitig stellen wir sicher, dass illegale Migranten keinen Zugang mehr zur Grundsicherung haben. Wir werden das System entlasten", sagte er.
Andreas Audretsch (Grüne) warf der Union vor, keine klare Haltung zu haben. So beziehe sie unter anderem in der Frage der Realisierung des Lohnabstandsgebotes nicht klar Position. "Sie sagen zum Beispiel nie, dass Sie die Regelsätze senken wollen, weil Sie genau wissen, was das bedeutet." Wenn man über Lohnabstand rede, dann gehöre dazu auch, über anständige Löhne zu reden. "Und da sind Sie ein Totalausfall. Auch da sind Sie nicht in der Lage, eine Position zu formulieren. Sie haben keine Antworten, weil Sie nur darauf aus sind, Unfrieden in die Gesellschaft zu tragen", sagte Audretsch.
Auch die FDP ist mit dem Bürgergeld nicht zufrieden
Jens Teutrine (FDP) betonte, "auch wir sind nicht zufrieden, wenn weniger Menschen in Arbeit vermittelt werden, weil wir den Wert der Arbeit kennen". Deshalb fordere seine Partei Korrekturen beim Bürgergeld. "Deshalb erwarten wir eine Nullrunde, denn es kann nicht sein, dass Sozialleistungen immer weiter steigen, das schwächt die Erwerbsanreize und die Leistungsgerechtigkeit", sagte der Liberale. Aber einfach nur mehr Härte und mehr Steuergerechtigkeit zu fordern, reiche auch nicht aus, um mehr Menschen in Arbeit zu bringen, ergänzte er und lobte in diesem Zusammenhang die höheren Hinzuverdienstgrenzen im Bürgergeld.
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Die AfD-Fraktion erntet deutlichen Widerspruch für ihren Antrag zum Umbau von Bürgergeld und Sozialhilfe. Letztere müsse mehr Menschen versorgen, so die AfD.
Die Regierung erntet Kritik für die Erhöhung des Bürgergeldes. Minister Heil kontert, Arbeit mache immer den Unterschied und spricht von falschen Behauptungen.
Janine Wissler (Die Linke) attackierte die Union scharf: "Sie stellen Bürgergeld-Beziehende als faul da. Aber schauen wir uns die Fakten doch mal an: Von den rund 5,5 Millionen Menschen im Bürgergeld sind zwei Millionen Kinder und Jugendliche." Etwa 1,5 Millionen seien in einer Maßnahme, Ausbildung oder pflegten Angehörige, viele seien chronisch krank. Mehr als 20 Prozent seien Aufstocker, weil ihr Lohn nicht zum Leben reicht. Arbeitgeber sparten so Lohnkosten auf Kosten der Allgemeinheit. "Das ist Sozialleistungsmissbrauch."
Alexander Ulrich (Gruppe BSW) sagte an die Union gerichtet: "Wenn Sie mit Arbeitnehmern reden, merken Sie, deren Grundproblem ist nicht das Bürgergeld, sondern die Deindustrialisierung durch diese Bundesregierung." Die Antwort darauf seien Investitionen und die Auflösung der Schuldenbremse und nicht Diskussionen über das Ende des Bürgergeldes.