Frank Ullrich im Interview : "Ein falsches Signal"
Frank Ullrich, Vorsitzender des Sportausschusses, ist gegen die vom IOC geplante Wiederzulassung russischer Athleten. Eine Olympiabewerbung würde ihn freuen.
Herr Ullrich, das IOC hat die Tür für die Rückkehr russischer und belarussischer Sportler in den Weltsport geöffnet. Wie bewerten Sie persönlich als Sportpolitiker und ehemaliger Spitzensportler diesen Schritt?
Frank Ullrich: Die Empfehlung des IOC, russische und belarussische Athleten unter neutraler Flagge in die internationale Sportwelt wieder einzugliedern, ist verfrüht und ein falsches Signal. Das IOC hätte die Russland-Frage im Sinne der ukrainischen Sportler beantworten müssen. Angesichts der Entwicklung des russischen Angriffskrieges besteht aus meiner Sicht derzeit für das IOC keine Notwendigkeit, seine Empfehlung vom 28. Februar 2022 zurückzunehmen. Dem Krieg sind bislang mehr als 220 ukrainische Sportler zum Opfer gefallen. Über 50 beschädigte Sportstätten lassen keine Wettkampfvorbereitung zu.
Das IOC argumentiert mit den UN-Richtlinien zur Diskriminierung...
Frank Ullrich: Die Wiederzulassung russischer und belarussischer Athleten vom Diskriminierungsverbot abzuleiten, ist aus meiner Sicht zu kurz gegriffen. Mein Herz schlägt für den Sport, aber nicht unter der Prämisse, wenn Sportler für kriegspropagandistischen Zwecke instrumentalisiert und missbraucht werden. Im Hinblick auf die Wiederzulassungskriterien erwarte ich vom IOC eine strikte und transparente Einhaltung.
Biathlet, Olympiasieger und Weltmeister: Der ehemalige National- und Bundestrainer Frank Ullrich ist seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages und Vorsitzender des Sportausschusses.
Im Sportausschuss haben sich SPD, Union, Grüne und FDP in einer gemeinsamen Erklärung für den Ausschluss ausgesprochen. Ein Boykott der Olympischen Spiele in Paris 2024 wird aber abgelehnt. Ist das nicht ein bisschen halbherzig?
Frank Ullrich: Ich persönlich bin gegen einen Boykott Deutschlands. Wir haben mit Moskau und Los Angeles erlebt, dass diese Boykotte nichts gebracht haben und jeweils nur auf dem Rücken der Sportler ausgetragen wurden, wo viele heute noch darunter leiden.
Apropos Olympia. Wie steht es denn mit einer erneuten Bewerbung aus Deutschland für die Ausrichtung Olympischer Spiele. Wären Sie dafür?
Frank Ullrich: Definitiv! Ich halte es für absolut sinnvoll, sich zu bewerben. Sowohl im Koalitionsvertrag als auch im aktuellen Sportbericht der Bundesregierung findet eine mögliche Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele unter Beachtung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie der Einhaltung von Standards in allen Facetten der Nachhaltigkeit ein klares Bekenntnis.
Zuletzt ist die Bewerbung Münchens für die Winterspiele 2022 am Widerstand der Menschen vor Ort gescheitert. Wie kann das bei künftigen Bewerbungen verhindert werden?
Frank Ullrich: Aus meiner Sicht sind die Gründe der zurückliegenden gescheiterten Bewerbungen strukturell, politisch, personell und gesellschaftlich bedingt und zum Teil auch selbst verschuldet. Zukünftig müssen alle Institutionen von kommunaler Ebene bis zum Bund ineinandergreifen. Es braucht eine nationale Begeisterung für Olympische Spiele im eigenen Land sowie ein aktives Zusammenspiel aus Sport, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und den Medien. Geschlossenheit ist für eine erfolgreiche Bewerbung unabdingbar. Der Sport steht ganz im Zeichen der Teilhabe und Mitgestaltung. Demzufolge halte ich es für äußerst wichtig, dass die Gesellschaft beim Entstehungs- und Entscheidungsprozess mit eingebunden wird. Daher finde ich den Strategieprozess seitens des DOSB wegweisend. Zunächst sollten wir also das Heimspiel gewinnen und aufbauend eine Strategie für das Auswärtsspiel entwickeln, um das IOC für unser gemeinsames Vorhaben zu begeistern.
Über eine Fußball-EM oder WM in Deutschland freuen sich die Menschen. Der Ausrichtung Olympischer Spielen stehen sie indes eher ablehnend gegenüber. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?
Frank Ullrich: Die letzten Olympischen Spiele waren durch ausgeprägten Gigantismus, Menschenrechtsverletzungen und keine ökologische Nachhaltigkeit geprägt. Der Olympische Geist ist dadurch etwas verloren gegangen und die Begeisterung ebenfalls. Bundesweit betrachtet sind die meisten Mitglieder in einem Fußballverein organisiert. Fußball in Deutschland ist die populärste Sportart. Und demzufolge ist die EURO2024 auch ein Event, das gesamtgesellschaftlich inspiriert.
Kann es dennoch gelingen, die Olympiabegeisterung zu wecken?
Frank Ullrich: Die vergangenen sportlichen Highlights wie die European Championships, die Euro2022 im Basketball, die Doppel-WM in Oberhof haben eindrucksvoll unter Beweis gestellt: Wir können Sportgroßveranstaltung. Ich bin überzeugt, dass die Special Olympics World Games 2023 in Berlin, die EURO 2024 sowie die Handball EM 2024 in Deutschland dazu beitragen werden, mehr Menschen mitzunehmen und für den Sport in Verbindung mit der Olympischen Idee zu begeistern.
Für welchen Zeitraum sollten wir uns bewerben?
Frank Ullrich: Ich persönlich würde eine überregionale Bewerbung für den Zeitraum von 2030 bis 2040 begrüßen. Viele unserer Bundesländer verfügen über eine gute Sportstätteninfrastruktur. Rückenwind für eine Bewerbung als Region kommt auch aus der Olympic Agenda 2020. Das Bewerberinteresse für die Sommerspiele 2036 und 2040 bewegt sich im zweistelligen Bereich. Demzufolge sollte tiefgründig abgewogen werden, ob man für die Sommer- oder Winterspiele seinen Hut in den Ring wirft.
Der Bund hat zwischen 2018 und 2021 etwa 2,3 Milliarden Euro an Steuergeldern für die Spitzensportförderung zur Verfügung gestellt. Insbesondere bei den Olympischen Sommerspielen war die Medaillenbilanz jedoch enttäuschend. Jetzt wird die 2016 begonnene Spitzensportreform reformiert. Der DOSB ist überzeugt, dass damit die benötigte Kehrtwende gelingen kann. Sie auch?
Frank Ullrich: Die Erwartungshaltung ist hoch. Ich bin optimistisch, dass durch das gemeinsam erarbeitete Grobkonzept von DOSB und BMI eine Trendwende erzielt werden kann. Für mich ist es wichtig, die Ausrichtung des Spitzensportes neu zu definieren. Es bedarf klarer Ziele und konkreter Vorstellungen.
Das BMI fordert, doping-, manipulations-, korruptions- und gewaltfreien Sport zu gewährleisten. "Nur ein fairer und regelkonformer Sport verdient die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand", heißt es im Sportbericht. Legen wir uns im internationalen Vergleich, wo es am Ende doch nur ums Gewinnen geht, mit unseren Ansprüchen zu viele Fesseln an?
Frank Ullrich: Ein fairer und regelkonformer Sport sollte immer die Basis bilden. Dabei ist die Integrität des Sports das höchste Gut, sowohl national auch international.
Der Breitensport bildet ja die Basis für Erfolge im Spitzensport. Erst die Corona-Maßnahmen und jetzt die Kostensteigerungen durch Inflation und Energiekrise machen den Vereinen zu schaffen. Zudem hat sich der ohnehin schon vorhandene Bewegungsmangel in der Bevölkerung in den letzten Jahren verstärkt. Was kann der Bund tun, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken?
Frank Ullrich: Das Restart-Programm ist ein guter Anfang, um Deutschland nach der Pandemie wieder in Bewegung zu bringen. Ich würde mir eine Verstetigung und kontinuierliche Weiterentwicklung wünschen. In diesem Zusammenhang nimmt der Entwicklungsplan eine zentrale Rolle ein.
Was macht der ehemalige Spitzen-Biathlet Frank Ullrich eigentlich, um fit zu bleiben?
Frank Ullrich: Da schon allein das politische Pensum sehr sportlich ist, bleibt leider wenig Zeit für die eigene Fitness. Ich bin sehr froh, dass sich mein Ausschussbüro in der 5. Etage befindet. Deshalb sind Fahrstühle für mich tabu und das Treppentraining erinnert mich an frühere Trainingseinheiten an unserer Skisprungschanze im Kanzlersgrund.