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Gastkommentare : Braucht die EU eigene Streitkräfte? Ein Pro und Contra

Braucht es eine europäische Armee? "Ja", sagt Gastkommentator Christian Kerl. Besser wäre es, die europäische Stimme in der Nato zu stärken, sagt Ulrike Winkelmann.

08.08.2022
True 2024-08-02T09:10:31.7200Z
3 Min

Pro

Eine europäische Armee ist langfristig unverzichtbar

Foto: Privat
Christian Kerl
arbeitet bei der "Funke Mediengruppe" in Brüssel.
Foto: Privat

Wenn sich das vereinte Europa im 21. Jahrhundert global behaupten will, braucht es eigene Streitkräfte. Nicht kurzfristig - aber als Teil einer nach außen handlungsfähigen Union ist eine europäische Armee, schnell und verlässlich einsetzbar, auf lange Sicht unverzichtbar. Die heute 27 Armeen in der EU sind zu teuer und ineffizient, ihr gemeinsamer Einsatz ist zu kompliziert: Die EU-Staaten geben jährlich über 200 Milliarden Euro für Verteidigung aus, trotzdem sind die Fähigkeitslücken groß, wie das Afghanistan-Desaster gezeigt hat.

Die Pesco-Initiative, die ersatzweise die Zusammenarbeit der nationalen Armeen verbessern soll, bringt nur lähmend langsame Mini-Fortschritte. Mit einer eigenen, modernen Armee jedoch könnte die EU ihren geopolitischen Anspruch glaubhaft unterlegen und zugleich die Nato, die wichtig bleibt, bei Einsätzen in der Nachbarschaft entlasten. Sicher, für die EU-Staaten wäre es ein einschneidender Verzicht auf Souveränität. Aber ohne nationale Souveränitätseinbußen kann das vereinte Europa seine globalen Ambitionen sowieso nicht einlösen. Wenn Soldaten ihren Eid auf die EU schwören und die EU-Flagge auf der Uniform tragen - das wäre ein Schub für das vereinte Europa und ein Signal an die Welt.

Die Hürden sind hoch, nur schrittweise ist das Ziel erreichbar: Die geplante Eingreiftruppe aus Soldaten der nationalen Streitkräfte könnte die Vorstufe sein, danach wäre eine Cyber-Brigade mit EU-Soldaten die Keimzelle für die neue Truppe. Sie könnte als anfangs 28. Armee zum Beispiel auch ein gemeinsames Raketenabwehrsystem betreiben. Das alles wird dauern. Aber wichtig ist zu wissen, wo man hinwill. Die EU braucht wieder Mut zu großen Zielen.

Contra

Europa hat eine Schutzmacht: die Nato

Foto: Kathrin Windhorst
Ulrike Winkelmann
arbeitet bei "die tageszeitung" in Berlin.
Foto: Kathrin Windhorst

Natürlich klang die Idee einer europäischen Armee immer gut. Sicherlich wäre eine solche Armee auch die richtige Verkörperung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Eine EU-Streitmacht wäre zudem viel günstiger als die Addition der Nationalstreitmächte. Nur ist der Punkt überschritten, an dem es sich noch lohnen würde, diesen Plan zu verfolgen. Er frisst nur noch Zeit, Kraft und Nerven und gehört abgestellt.

Mit Putins Angriffskrieg ist recht deutlich geworden, dass Europa genau eine Schutzmacht hat: die Nato. Die Nato ist so attraktiv, dass immer neue Staaten hineindrängen, und sie hat Strukturen, die von Nicht-Nato-Staaten respektiert werden. Nun ist auch die Nato schon bürokratisch genug - so wie jedes überstaatliche Gebilde sich stets in einen Suppenkessel widerstreitender Interessen und Verwaltungsauswüchse verwandelt. Irgendwann einmal mag es sinnvoll erschienen sein, einen zweiten, europäischen Kessel daneben zu stellen und zu schauen, wie er sich ebenfalls füllt. Inzwischen aber wirkt das unangemessen - um nicht zu sagen verrückt.

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Eine Nationalarmee wie etwa die Bundeswehr schafft es schlicht nicht, zwei solcher Systeme adäquat zu bedienen. Die Bundeswehr ist ja schon mit sich selbst überfordert. Wer meint, es sei innerhalb den nächsten hundert Jahre möglich, eine EU-Armee aufzubauen, schaue sich bitte an, was für unendliche Mühen notwendig waren und sind, um eine einzige EU-Battlegroup aufzustellen. Stattdessen gäbe es zur Profilierung einer europäischen Sicherheitspolitik ein lohnendes Ziel: Eine Stärkung der europäischen Stimme innerhalb der Nato. Das wäre in der Tat dringend nötig.