Parlamentarisches Profil : Die Durchstarterin: Marja-Liisa Völlers
Marja-Liisa Völlers (SPD) macht seit dem 24. Februar 2022 eigentlich nur noch Verteidigungspolitik. Sie sagt: Es braucht eine strategische Neuausrichtung der Nato.
Dass sie ihren Vornamen nach einer finnischen Skilangläuferin erhalten hat, verwundert. Schließlich verläuft der politische Lebensweg von Marja-Liisa Völlers derart, dass man dabei eher an Siebenmeilenstiefel als an Langlaufski denken muss. Es ist acht Uhr in der Früh, sie nimmt einen Schluck Kaffee, ein bis zwei Liter trinkt sie davon fast jeden Tag. "Eines meiner größten Laster", sagt sie. 2009 trat Völlers in die SPD ein, online am Abend der verlorenen Bundestagswahl, 2015 saß sie im Unterbezirksvorstand im Landkreis Nienburg/Weser, 2017 wurde sie dort Vorsitzende - und im selben Jahr zog sie in den Bundestag ein.
Seit 2017 sitzt Marja-Liisa Völlers (SPD) im Bundestag. Anfangs in der Bildungspolitik tätig, kam sie über die Bundeswehrstandorte in ihrem niedersächsischen Wahlkreis zur Verteidigungspolitik.
Dort startete sie als Bildungspolitikerin, doch wurde die 37-Jährige wie alle vom Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine überrascht und macht seit dem 24. Februar eigentlich nur noch Verteidigungspolitik. Sie sitzt nicht nur im Ausschuss und ist Vizeleiterin der Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik ihrer Fraktion, sondern sie leitete auch die deutsche Delegation bei der Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der Nato in Vilnius. Anstelle der litauischen Hauptstadt war eigentlich Kiew als Tagungsort vorgesehen, aber das war vor dem Krieg.
Raus aus kleinlichen industriepolitischen Debatten hin zu lösungsorientiertem Ansatz
Was entgegnet die Niedersächsin jenen, die in diesem Krieg mitten in Europa etwas "Systemisches" sehen, eine Mitschuld der Nato? "Für mich als ausgebildete Historikerin ist das eine sehr verkürzte Wahrnehmung der Geschichte", sagt sie. Immerhin bestätige das Verhalten des russischen Präsidenten Wladimir Putin die historischen Erfahrungen, die osteuropäische Länder mit Russland früher gemacht hätten. "Die wollen in die Nato, weil sie um ihre Freiheit fürchten. Eine Mitschuld als umworbene Organisation kann ich wirklich nicht erkennen."
Denkt man an die Nato, entstehen Bilder von Spitzentreffen vieler Staatschefs in Brüssel, von Generälen im Obersten Hauptquartier in Mons. Aber für Völlers ist die Parlamentarische Versammlung alles andere als nur ein Feigenblatt. "Wir sind ja alles demokratische Staaten mit aktiven Parlamenten", sagt sie. "Dann müssen die Debatten der Nato auch dort geführt werden." Durch direkte Gespräche mit ihren Amtskollegen würden die Befindlichkeiten der jeweiligen Staaten anders gespiegelt, "deutlich authentischer". Der Überfall Russlands macht in ihren Augen eine strategische Neuausrichtung der Nato notwendig. "Wer macht in der Nato was? Diese Frage ist zu stellen. Wir sollten raus aus eher kleinlichen industriepolitischen Debatten und hin zu einem lösungsorientierten Ansatz."
Über Bundeswehrstandorte im Wahlkreis zur Verteidigungspolitik gekommen
Dass Völlers in die SPD gehen würde, schien klar. Schon ihre Großeltern wählten die Sozialdemokraten. Im Lehramtsstudium für Geschichte und Englisch an der Uni Bielefeld entdeckte sie ihre Leidenschaft für Reformpädagogik. Es folgten nach dem Referendariat fünf Jahre als Studienrätin an einer Gesamtschule in Stadthagen, nahe ihrer Heimatstadt Bückeburg. Überhaupt die Heimat - sie scheint es ihr angetan zu haben. "Ich hatte die Region nur fürs Studium verlassen." Zur Verteidigungspolitik kam die Lehrerin, weil in ihrem Wahlkreis Nienburg II - Schaumburg Bundeswehrstandorte sind.
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Ihr Büro ist pragmatisch eingerichtet, ein Kalender, ein Plakat mit den Köpfen aller Abgeordneten, hinter dem Schreibtisch ein Foto von Willy Brandt. Der Kalender dürfte voll sein: Allein 13 Mitgliedschaften und stellvertretende Mitgliedschaften hat Völlers in Gruppen und Ausschüssen des Bundestags und der Fraktion. Hinzu kommen Mitgliedschaften im Kreistag und im Rat der Stadt Rehburg-Loccum und zwei Ehrenämter in der SPD. "Ich hab aber auch einiges abgegeben", sagt sie, "im Ortsrat bin ich nicht mehr." Völlers räumt ein: "Das ist der Preis, den man zahlt." Der Tag habe ja nur 24 Stunden. Ihrem alten Hobby Tischtennis, das sie seit ihrem sechsten Lebensjahr im Verein spielte, frönte sie das letzte Mal vor vier Jahren. "Aber das passt schon. Als Lehrerin habe ich gelernt, Termine zu ökonomisieren." Sie lacht. Und geht in den nächsten.