Die Wegbereiter des Grundgesetzes : An der Wiege der Verfassung
Wer waren die Frauen und Männer, die 1948 und 1949 das Grundgesetz formulierten? Sechs Wegbereiter des demokratischen Neuanfangs im Kurzporträt.
Inhalt
Theodor Heuss: Mit Sinn für Symbolik
Nationalökonom, Chefredakteur, Geschäftsführer des Werkbunds, Bezirks- und Stadtverordneter in Berlin, Reichstagsabgeordneter, Publizist und Dozent für Politik, Kultusminister: Für viele Mitstreiter im Parlamentarischen Rat passen Begriffe wie Bildungsbürger und "homo politicus", auf den 1884 in Brackenheim bei Heilbronn Geborenen passen sie im Besonderen.
Heuss wird vom Landtag Württemberg-Baden entsandt, im Rat ist er Fraktionsführer der FDP und nimmt häufig die Vermittlerrolle zwischen Konservativen und Sozialdemokraten ein. O-Ton Heuss, über sich selbst: "Waagscheisser". Besonders wichtig sind ihm Grundrechte, vor allem die individuellen Freiheitsrechte. Und er bringt etwas Wichtiges ein: Sinn für Symbolik, die Bedeutung der Präambel, ein Verständnis für die Akzeptanz eines Verfassungstextes, der nicht nur abstrakt sein soll, sondern auch einen "Gefühlswert" haben darf.
Das Grundgesetz als reines Provisorium, so wie es dem geschätzten Kollegen Carlo Schmid vorschwebt, lehnt Heuss ab. Die Nationalfarben: Selbstverständlich Schwarz-Rot-Gold. Der Name des neuen Staates: Bundesrepublik Deutschland. Die Demokratie: repräsentativ, nicht präsidial, nicht plebiszitär. Später, als erster Bundespräsident, wirft er sich ins Zeug für eine neue Nationalhymne - dringt damit aber nicht durch.
Heuss hat im Parlamentarischen Rat davon gesprochen, dass die Deutschen am 8. Mai 1945 "erlöst und vernichtet" in einem gewesen seien. Er selbst schrieb während der Nazi-Herrschaft teils unter Pseudonym für Zeitungen und an Biographien, war gleichwohl gefährdet, zur Fahndung ausgeschrieben. Doch eines wurde ihm in der Nachkriegszeit auch vorgeworfen: Dem Ermächtigungsgesetz der Nazis hatte er 1933 als liberaler Abgeordneter, anders als die SPD, zugestimmt. Unter Gewaltandrohung der anwesenden SA und SS. Und aus Fraktionsdisziplin, gegen die eigene Überzeugung, wie Heuss später betonte.
Elisabeth Selbert: Kämpferin für gleiche Chancen
"Frauen und Männer sind gleichberechtigt", heißt es im Grundgesetz. Dass dieser Satz als unveräußerliches Grundrecht dort verankert steht, ist vor allem Verdienst der promovierten Juristin aus Kassel. Zunächst stößt die Formulierung, die Selbert mit ihrer Mitstreiterin Frieda Nadig im Parlamentarischen Rat eingebracht hat, auf wenig Gegenliebe - übrigens auch in den eigenen Reihen unter Sozialdemokraten. Selbert wendet sich trickreich an Presse und Öffentlichkeit und mobilisiert eine Beschwerdeflut, der sich der Rat am Ende beugt.
Mit der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und der aktiven parlamentarischen Teilhabe von Frauen hatte sich die 1896 in Kassel geborene Selbert bereits in der Weimarer Zeit als Delegierte der SPD-Frauenkonferenz beschäftigt. Als junge Frau und Mutter holte sie ab 1925 das Abitur nach, studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Marburg und Göttingen, kandidierte noch im März 1933 erfolglos für den Reichstag. Als Anwältin brachte sie ihre Familie durch dunkle Zeiten: Ihren Ehemann Adam, SPD-Kommunalpolitiker, entließen die Nazis als "Staatsfeind" und nahmen ihn in KZ-"Schutzhaft".
Mitglied des Parlamentarischen Rates wurde Selbert 1948 gegen den Willen ihres hessischen Landesverbandes auf Initiative des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher mit einem Mandat des Niedersächsischen Landtags. Ihre späteren Bemühungen um ein Bundestagsmandat und bei der Wahl in hohe Richterämter scheiterten. Ende der 1950er Jahre zog sie sich aus allen politischen Ämtern zurück und widmete sich ihrem Anwaltsberuf in ihrer auf Familienrecht spezialisierten Kanzlei, die sie noch bis 1980 ins hohe Alter betrieb.
1983, drei Jahre vor ihrem Tod, stiftet Hessens Landesregierung den Elisabeth-Selbert-Preis "in Anerkennung hervorragender Leistungen für die Verankerung und Weiterentwicklung von Chancengleichheit von Frauen und Männern".
Konrad Adenauer: Anfang einer Ära
Wenn es nach ihm geht, dann soll neben dem Bundestag ein unabhängiger Senat anstelle eines Bundesrates treten, auch soll der Bundestag nach einem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden: Dem vom Nordrhein-Westfälischen Landtag entsandten Chef der CDU in der britischen Zone schwebt eine stabile und starke Bundesregierung vor, ohne allzu großen Einfluss der Ministerpräsidenten der Länder. Dass es anders kommt, heißt nicht, dass Adenauer wenig Einfluss im Parlamentarischen Rat hat, im Gegenteil.
Der Jurist, 1876 in Köln geboren, 1917 bis 1933 Oberbürgermeister, Macher und Modernisierer seiner Heimatstadt und glaubwürdiger Gegner der Nationalsozialisten, war 1931 bis 1933 auch Präsident des Preußischen Staatsrats. Im verfassungsgebenden Rat wird er nun 1948 Präsident. Ein eher machtloses, repräsentatives Amt, wie die politische Konkurrenz zunächst glaubt. Doch Adenauer weiß die Bühne für sich zu nutzen. Er avanciert zum Gesicht des Rates gegenüber der Öffentlichkeit und wichtigsten Ansprechpartner der Alliierten. In den Worten des Sozialdemokraten Carlo Schmid wird er so "erster Mann des zu schaffenden Staates, noch ehe es ihn gab". Adenauer setzt das nicht allein durch, tut aber mit viel Geschick das Seine, dass Bonn, in dessen Nähe er wohnt und dessen Wahlkreis er später bis 1967 direkt vertreten wird, zur Bundeshauptstadt aufsteigt.
Adenauer wird von 1949 bis 1963 als erster Bundeskanzler den jungen Staat prägen: Währungsreform und "Wirtschaftswunder", vor allem aber Westbindung, deutsch-französische Aussöhnung und die europäische Einigung sind wichtige Weichenstellungen. Auch die Gründung der CDU als überkonfessionelle christliche orientierte Sammlungspartei nach 1945 war für Adenauer eine der Lehren von Weimar: Die Dualität zweier großer Volksparteien von Union und SPD stabilisiert die junge Bundesrepublik.
Carlo Schmid: Humanist und Übersetzer
"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht", heißt es in Artikel 16 des Grundgesetzes schnörkellos, "Die Todesstrafe ist abgeschafft" in Artikel 102. Laut Artikel 4 darf niemand "gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden". In vielen Punkten trägt das Grundgesetz auch die Handschrift des promovierten Staatsrechtlers, der 1948 vom Landtag von Württemberg-Hohenzollern in den Parlamentarischen Rat gewählt worden ist und dort rasch Führungspositionen einnimmt: Vorsitzender der SPD-Fraktion, Vorsitzender des Hauptausschusses, Mitglied im interfraktionellen Fünfer- und Siebenerausschuss, die die Beratungen am Laufen halten, wenn die Verhandlungen in Stocken geraten.
In seiner Partei gilt er als Reformer, der 1959 maßgeblich beim Godesberger Programm mitschreibt, mit dem die SPD die Westbindung der jungen Bundesrepublik bejaht. Bei der Bundespräsidentenwahl im Juli 1959 unterliegt Schmid als Kandidat der SPD gegen Heinrich Lübke von der CDU. Im gleichen Jahr kurzzeitig Kanzlerkandidat seiner Partei, überlässt er dann später doch jüngeren wie Willy Brandt die Bühne. Als man die Bundesbürger 1965 befragt, halten diese Schmid für den idealen deutschen Politiker.
Der 1896 in Frankreich geborene Sohn eines Deutschen und einer Französin gilt als Grandseigneur und "homme de lettres", er ist europäischer Vordenker, ein früher Fürsprecher deutsch-französischer Aussöhnung. Später, nach Ämtern als Bundesminister und Bundestagsvizepräsident, tritt er als Übersetzer von Baudelaire, Calderon und Machiavelli in Erscheinung.
Seit 1987 fördert die Carlo-Schmid-Stiftung Personen und Organisationen, die sich für die Weiterentwicklung des demokratischen und sozialen Rechtsstaats, für die liberale politische Kultur in Deutschland und die europäischen Verständigung einsetzen.
Paul Löbe: Mann des Ausgleichs
Als Vertreter Berlins nimmt er wegen des Sonderstatus der Stadt am Parlamentarischen Rat nur mit beratender Stimme an den Sitzungen des Ausschusses für das Besatzungsstatut teil. Seine Stimme hat gleichwohl besonderes Gewicht. Das liegt ganz gewiss nicht nur daran, dass er im Berliner "Telegraf" regelmäßig über den Stand der Arbeiten am Grundgesetz berichtet. 1920-1924 und 1925-1932 saß Löbe als Präsident dem Reichstag vor, 1919 war er als Vizepräsident der Weimarer Nationalversammlung an der Ausarbeitung der demokratischen Reichsverfassung beteiligt.
Der Werdegang des 1875 im schlesischen Liegnitz Geborenen trägt eine makellos sozialdemokratische Handschrift: Volksschule, Geselle und Wanderschaft, Schriftsetzer, Redakteur, Politiker. Zusätzlich am Revers, gewissermaßen als Orden republikanischer Gesinnung, Haft- und Geldstrafen, die ihm Majestätsbeleidigungen unter Wilhelm Zwo als jungen Schriftleiter der "Breslauer Volkswacht" eingetragen haben. Dabei gilt Löbe nicht als aufbrausend, im Gegenteil, geschätzt wird er im Reichstag der Weimarer Zeit für Konzilianz und Vermittlung zwischen den politischen Lagern. Die Offerte, sich nach dem Tod des Sozialdemokraten Friedrich Ebert um das Amt des Reichspräsidenten zu bewerben, schlägt Löbe 1925 aus: Das solle jemand machen, der "aus härterem Holz" als er gemacht sei. 1933 zunächst in KZ-Haft, kommt Löbe 1935 als Korrektor im Wissenschafts-Verlag Walter de Gruyter unter, Kontakte zur Widerstandsgruppe Goerdeler-Leuschner werden ihm 1944 mit Glück nicht zum Verhängnis. Die konstituierende Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. September 1949 eröffnet Löbe als Alterspräsident.
2001 wird im Berliner Regierungsviertel auf der Westseite der Spree das "Paul-Löbe-Haus" mit den Ausschuss-Sitzungssälen und Abgeordnetenbüros eröffnet.
Hermann Höpker-Aschoff: Liberaler Finanzreformer
Als ehemaliger Preußischer Finanzminister der liberalen Deutschen Demokratischen Partei in Weimarer Zeit gilt der vom Nordrhein-Westfälischen Landtag Entsandte als Finanzfachmann: Im Parlamentarischen Rat drückt der promovierte Jurist und Volkswirt der Finanzverfassung des zu beschließenden Grundgesetzes einen Stempel auf (Abschnitt X - "Das Finanzwesen") - mit einer starken und bundeseinheitlichen Finanzverwaltung zum Beispiel und einer Bundesbank, die frei von Weisungen aus der Politik agieren soll.
Höpker-Aschoff ist an den Verhandlungen des Rates mit den Westalliierten beteiligt, sorgt im interfraktionellen Fünfer- und Siebenerausschuss für den Fortgang der Gespräche. So unbestritten seine finanzpolitische Expertise ist, der 1883 in Herford Geborene ist dennoch nicht unumstritten. Ab 1940 war er in leitender Position in der sogenannten Haupttreuhandstelle Ost tätig, die polnische und osteuropäische Vermögen beschlagnahmte und verwaltete. Höpker-Aschoff war somit Teil der nationalsozialistischen Unterwerfungspolitik in den besetzten osteuropäischen Gebieten ("eingegliederte Ostgebiete"). Als er 1946 erster Finanzminister des neu gegründeten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen im Kabinett des Zentrum-Politikers Rudolf Amelunxen werden soll, verhindern das die britischen Besatzungsbehörden.
1949 wird Höpke-Aschoff für die FDP auf der nordrhein-westfälischen Landesliste in den ersten Deutschen Bundestag gewählt und dort Vorsitzender des Finanz- und Steuerausschusses. Nach Konstituierung des Bundesverfassungsgerichtshofes in Karlsruhe wird er im September 1951 vom Wahlmännerausschuss des Bundestages zum ersten Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Ersten Senats gewählt.
Die Biographien der Mitglieder des Parlamentarischen Rates können auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung nachgelesen werden.