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Resolution zur Berlin-Blockade : Nur einmal "Nein"

Berlin und die Deutschlandpolitik waren kein Thema für den Parlamentarischen Rat. Doch Adenauer setzte das Thema nach der Berlin-Blockade auf die Tagesordnung.

11.04.2023
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Foto: picture-alliance/dpa

Massen-Kundgebung mit 350.000 Menschen am 9. September 1948: Bürgermeister Ernst Reuter forderte Beistand für die von den Sowjets abgeriegelte Stadt.

Nur eine Gegenstimme - mehr musste der Sitzungsleiter nicht registrieren. Konrad Adenauer, Präsident des Parlamentarischen Rates, hatte am 15. September 1948 zur Abstimmung über eine Erklärung aller Fraktionen der Versammlung aufgerufen. "Ich bitte diejenigen, die diesem Antrag stattgeben wollen, die Hand zu erheben", sagte Adenauer an diesem Mittwoch gegen 18 Uhr und fügte, nachdem er einen Blick auf die Arme vor sich geworfen hatte, hinzu: "Ich danke Ihnen." Parlamentarischem Brauch folgend machte der Vorsitzende der CDU in der britischen Zone die Gegenprobe: "Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, die Hand zu erheben." Wieder der Blick ins Plenum, dann das Fazit: "Ich stelle fest, dass gegen eine Stimme die Resolution die Zustimmung des ganzen Hauses gefunden hat."

Die Stenografen hielten nicht fest, wer mit Nein gestimmt hatte, doch es konnte nur Hugo Paul gewesen sein, das eine an diesem Tag anwesende Mitglied der zweiköpfigen KPD-Gruppe. Er hatte schon zu Beginn der Sitzung kurz vor 17 Uhr mit einem Geschäftsordnungsantrag versucht, die Resolution von der Tagesordnung absetzen zu lassen, der natürlich abgelehnt wurde, und danach als einziger der sechs Redner den fraktionsübergreifenden Text kritisiert.

Fadenscheinige Gründe der  sowjetischen Besatzungsmacht

Worum ging es am 15. September 1948 in der Aula der Pädagogischen Akademie zu Bonn am Rhein? Seit der vorletzten Juni-Woche blockierte die sowjetische Besatzungsmacht mit fadenscheinigen Gründen alle Transporte aus den drei westlichen Zonen Deutschlands zu den drei westlichen Sektoren der Stadt Berlin. Angeblich sollten alle Gleis- und Straßenverbindungen sowie Wasserwege zugleich unpassierbar geworden sein; zudem war - welch Zufall! - auch die Stromversorgung für rund zwei Drittel der früheren Reichshauptstadt aus Kraftwerken vor allem in Sachsen-Anhalt unterbrochen. Obwohl jeder wusste, dass der so künstlich erzeugte Mangel die rund zwei Millionen Menschen von Frohnau über Spandau bis Rudow zu Geiseln machen sollte, um den Abzug der Westalliierten aus ihren Sektoren zu erzwingen, hielten die Sowjets eisern an ihrer Version fest: eine Verkettung unglücklicher Umstände.

US-Militärgouverneur Lucius D. Clay hatte nicht lang gefackelt und umgehend eine Versorgung der Teilstadt aus der Luft angeordnet; sie kam überraschend schnell in Gang. Während Blockade und Luftbrücke schon liefen, konstituierte sich am 1. September der Parlamentarische Rat in Bonn als verfassungsgebende Versammlung des künftigen westdeutschen Teilstaates. Doch um Berlin sollten sich die 65 stimmberechtigten Mitglieder ausdrücklich nicht kümmern. Die Westalliierten hatten den Parlamentarischen Rat als Gremium aus Vertretern der Landtage der elf Länder der drei westlichen Zonen - Baden-Württemberg bestand noch aus drei Ländern, das Saarland gehörte nicht dazu - konzipiert, die fünf Länder Ostdeutschlands in der sowjetischen Zone waren am Rhein jedoch nicht vertreten.

Foto: picture-alliance /dpa

West-Berliner Jungen, die auf einem Trümmerberg stehen, winken 1948 einem US-amerikanischen "Rosinenbomber", der Versorgungsgüter nach West-Berlin bringt.

Und Berlin? Eigentlich nach dem Willen der westalliierten Gouverneure auch nicht. Doch Ernst Reuter, der 1947 gewählte, aber von den Sowjets abgelehnte und daher aus westlicher Sicht mit hoher Glaubwürdigkeit ausgestattete Oberbürgermeister der Stadt hatte als Gast bei einer Sitzung der elf Ministerpräsidenten geschickt durchgesetzt, dass die Stadt immerhin mit fünf beratenden Mitgliedern ohne Stimmrecht am Parlamentarischen Rat beteiligt sein durfte.

Nach diesem Zugeständnis an den politischen Kopf der blockierten westlichen Sektoren wollten die Westalliierten aber die Arbeit der Versammlung nicht weiter durch die Berlin-Frage belastet sehen. Um Außen- und Deutschlandpolitik hatte sich der Parlamentarische Rat nicht zu kümmern, das war allein Sache der Siegermächte. Doch Adenauer scherte sich nicht darum. Er berief am 14. September 1948 ungewöhnlich kurzfristig für den folgenden Nachmittag eine Plenarsitzung des Rates zum Thema Berlin ein. Kaum hatten die Westalliierten davon erfahren, versuchten sie zu intervenieren. Doch weil sie der Versammlung ausdrücklich zugesagt hatten, frei und unbehelligt beraten zu dürfen, konnten sie die Sitzung nicht selbst verhindern.

Trotzdem fuhren drei Verbindungsoffiziere am Vormittag des 15. September von Frankfurt nach Bonn, um auf Adenauer einzuwirken. Doch sie wurden aufgehalten, unter anderem mussten sie eine Dreiviertelstunde auf eine Rheinfähre warten. Zufall? Eher unwahrscheinlich, aber nie aufgeklärt. Als sie endlich eintrafen, fiel der Empfang "ausgesprochen kühl" aus: Der Präsident des Rates lehnte es ab, eine Absage der Sitzung in letzter Minute zu verantworten; der Ältestenrat pflichtete ihm bei. Adenauer hatte die Vertreter der Westmächte ausgetrickst.


„Meine Herren, ich bitte doch, die zehn Minuten Redezeit des Herrn Paul nicht mit Zwischenrufen zu verkürzen, oder machen Sie gute Zwischenrufe!“
Konrad Adenauer, Präsident des Parlamentarischen Rats

Dass der Kommunist Hugo Paul alles tun würde, um eine gegen die Sowjets gerichtete Erklärung zu verhindern, war klar. Die Fraktionen des Rates erwarteten nichts anderes als solche Störmanöver. Doch außer dem Geschäftsordnungsantrag, seiner Rede und verunglückten Zwischenrufen ("Sie haben viel Öl ins Wasser gegossen", rief er einem Redner zu) konnte er nichts tun. Im Gegenteil - Adenauer stellte den Kommunisten sogar bloß, indem er die Mitglieder im Plenum während Pauls Rede aufforderte: "Meine Herren, ich bitte doch, die zehn Minuten Redezeit des Herrn Paul nicht mit Zwischenrufen zu verkürzen, oder machen Sie gute Zwischenrufe!" Die Stenografen registrierten zurückhaltend "Heiterkeit", doch eher dürfte es sich um schallendes Gelächter gehandelt haben.

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In der Aussprache der Sondersitzung ergriffen außer dem KPD-Vertreter aus Nordrhein-Westfalen der Bayer Anton Pfeiffer (CSU), Carlo Schmid von der SPD, der Liberale Theodor Heuss und Johannes Brockmann von der katholischen Zentrumspartei das Wort. Doch gerade als Jakob Kaiser, der ehemalige Vorsitzende der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone und nun eines der fünf nicht stimmberechtigten Berliner Mitglieder des Parlamentarischen Rates, als Letzter ans Rednerpult trat, wollte Adenauer die Aussprache beenden. Zufall? Oder ein diskretes Zugeständnis an die westalliierten Verbindungsoffiziere? Von Kaiser jedenfalls waren scharfe Worte gegen die Sowjets zu erwarten. Falls das Versehen des Präsidenten überhaupt Kalkül gewesen sein sollte, so ging es jedenfalls nicht auf: Kaiser sprach.

"Lebhaften Beifall" notierten die Stenografen

Für seine emotionale Rede fand der Berliner viel Zustimmung. Er führte Hugo Paul vor, der sich nur mit dem schiefen Bild vom ins Wasser gegossenen Öl zu wehren wusste. Das Plenum reagierte auf Kaisers Worte mit "lebhaftem Beifall", wie die Stenografen festhielten. Vor allem die Ankündigung, nach der Sitzung nach Berlin zurückzukehren, was bedeutete, sich auf Kohlesäcke in eine Transportmaschine zu hocken und in die blockierte Stadt einfliegen zu lassen, fand Widerhall, ebenso das Versprechen, "weiter unsere Pflicht für die Freiheit und für den Frieden zu tun".

Die Sitzung am 15. September 1948 war der Höhepunkt des Themas Berlin im Parlamentarischen Rat, das stellvertretend für alle "Brüder und Schwestern" in den Ländern der sowjetischen Zone stand. Gelegentlich spielte die Blockade, die während der Existenz der Versammlung andauerte und erst am 12. Mai 1949 - vier Tage nach Annahme des Grundgesetzes - endete, noch eine Rolle; allerdings meist unter Beteiligung Berliner Vertreter wie Kaiser oder anlässlich eines Auftritts Ernst Reuters, der als Gastredner geladen war.

Berlin kam nur zweimal vor

In der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes kam Berlin nur zweimal vor: in Artikel 23 als Teil des Geltungsgebietes und in Artikel 127, einer nur ein Jahr gültigen Übergangsklausel. Dagegen waren weder Berlin noch "Groß-Berlin" in der Präambel an jener Stelle aufgeführt, an der es um "das Deutsche Volk" ging, das in den elf mit stimmberechtigten Mitgliedern vertretenen Ländern "dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen" hatte. An dieser Stelle hieß es jedoch weiter: "Es", also das Volk in den elf genannten Ländern, "hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war." Und es folgte der zentrale Auftrag der zunächst als vorläufig gedachten Verfassung: "Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden." Das gelang erst 1990.

Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur im Ressort Geschichte der "Welt" in Berlin.