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Foto: picture alliance / Georg Wendt/dpa | Georg Wendt
Dreharbeiten in Hamburg zum Spielfilm „Verachtung“ nach der Romanvorlage von Jussi Adler-Olsen im Februar 2018. Der Film des dänischen Regisseurs Christoffer Boe kam 2019 in die deutschen Kinos.

Reform der Filmförderung : Auf einen Dreh um die Ecke

Claudia Roth will den Filmstandort Deutschland mit einer großen Reform stärken. Neben Zustimmung gibt es aber auch Kritik aus der Branche und den Ländern.

17.05.2024
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8 Min

George Clooney, Brad Pitt und Jennifer Lawrence beim Dreh um die Ecke, Ed Berger wäre nicht gezwungen, "Im Westen nichts Neues" in Tschechien zu drehen. So soll die neue deutsche Filmwelt nach den Plänen der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), aussehen. Mit einem Filmförderzulagengesetz, das den Produzenten 30 Prozent der Produktionskosten in Deutschland erstattet, will Kulturstaatsministerin Roth Drehs subventionieren und ausländische Investoren anlocken. Zusätzliches Geld soll durch eine Investitionsverpflichtung für Anbieter audiovisueller Programme ins Fördersystem gespült werden: 20 Prozent ihrer auf dem deutschen Markt erzielten Einnahmen sollen Streamingdienste wie Netflix und Co. sowie die Fernsehsender für die Produktion von Spielfilmen und Serien bereitstellen. Roth rechnet mit Einnahmen von 200 Millionen Euro.

Jubel bei den Filmproduzenten

Abgerundet werden soll die grundlegende Reform der Filmförderung durch die Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) zum 1. Januar 2025. Die Ankündigung des Drei-Säulen-Modells durch Roth während der diesjährigen Berlinale löste unter den deutschen Produzenten Jubel aus. Die Bundesländer, die den Vorhaben im Bundesrat ebenso zustimmen müssen wie der Bundestag, formulieren hingegen öffentlich ihre Skepsis. Auch das Einverständnis von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) fehlt bislang.

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Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) bei einem Besuch der Filmstudios Babelsberg.

Um die Finanzierung des geplanten Filmförderzulagengesetzes ist heftiger Streit entbrannt. Bund und Länder sollen es hälftig aus den Einnahmen der Einkommens- und Körperschaftssteuer tragen. Die Regelung erleichtert es Claudia Roth, die Zustimmung aus dem Finanzministerium zu erhalten. Bei geschätzten Kosten von 230 Millionen Euro sollen keine Mehrkosten anfallen. Roth will ihre Etats des Deutschen Filmförderfonds (DFFF 1 und DFFF 2) und des German Motion Picture Fund (GMPF) einbringen, aus denen 2023 knapp 122 Millionen abflossen. Für 2024 sind 166 Millionen eingeplant.

Förderung internationaler Koproduktionen

Auf die Länder kommen Ausgaben von mehr als 100 Millionen zu. Zudem schwant nicht nur ihnen, dass es nicht bei dieser Summe bleiben wird.. Ein Positionspapier von acht Kino-Verbänden rechnet mit einem Bedarf von 284 Millionen Euro jährlich. Wobei ihr Ansatz zu den Kosten der Förderung von internationalen Koproduktionen wie "Inglorious Basterds" oder "Grand Budapest Hotel" mit nur 50 Millionen Euro gering ist. Das Studio Babelsberg und die amerikanischen Studios versprechen, Deutschland mit den Steueranreizen zum großen Produktionsstandort zu machen. Für zehn Filme oder Serien mit Ausgaben von 50 Millionen in Deutschland fallen 150 Millionen Euro Förderung an, das macht Ausgaben von knapp 400 Millionen.

Claudia Roth müsste die Mehrkosten wohl durch Einsparungen in ihrem Ressort decken, und die Länder tief in die Tasche greifen. Sie sind bereits von ihrer Maximalforderung abgerückt, der Bund müsse die Summe alleine stemmen. Nach Aussage des nordrhein-westfälischen Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Medien, Nathanael Liminski (CDU), in der "FAZ", fordern die Länder nun die Berücksichtigung ihrer Leistungen für die regionale Filmförderung. Zudem warnt Liminski vor Kollateralschäden. In der Vergangenheit haben einzelne Bundesländer nach der Einführung von Bundesfilmförderprogrammen ihre Zahlungen für die regionalen Förderungen gekürzt. Erfolgt dies großflächig, gefährdet es die Rechnung der Produzenten. Nahezu jeder deutsche Film ohne ausländische Beteiligung wird mit 50 Prozent aus Steuermitteln unterstützt. Ohne Geld aus den Länderprogrammen kann die Finanzierung kaum gestemmt werden.

Bislang keine Einigung mit den Ländern über Finanzierung

In den Verhandlungen haben sich Bund und Länder bisher kaum angenähert, wie eine Nachfrage beim Berliner Staatssekretär für Medien, Florian Graf (CDU), ergab. Zahlen seien den Ländern noch nicht bekannt. Die Länder erwarten, dass die Bundesregierung zunächst intern klärt, inwieweit ihre Einnahmeausfälle durch das Filmförderzulagengesetz durch das Finanzministerium ausgeglichen werden. Von dort heißt es, der Branche gehe es vorrangig um Planungssicherheit. Dazu bedürfe es nicht zwingend eines steuerlichen Instruments.

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Im Amt der BKM hofft man auf eine Einigung bis zum Sommer. Man setzt dabei auf die Überzeugungskraft von Erfahrungen aus anderen Ländern, Gutachten zu den wirtschaftlichen Effekten von Steueranreizsystemen und die Erfolge mit den vorhandenen Fördermodellen. Der DFFF 1, der Filmproduktionen mit der Übernahme von 30 Prozent der Kosten fördert, ziehe das sechsfache an Folgeinvestitionen an. Dahinter verbergen sich Kosten, die durch die Regularien des DFFF nicht anerkannt werden, Investitionen von Sendern, Verleihern, internationalen Partnern und Weltvertrieben. Ohne die Filmförderung aus Steuergeldern halbiert sich die Erfolgsquote für deutsche Filme, nur die großen Hollywood-Produktionen erreichen sie spielend.

Beim DFFF 2 für Produktionsdienstleister, die mit 25 Prozent der Kosten gefördert werden, liegt der Hebeleffekt bei rund 4,5 Prozent, beim GMPF bei etwas über sieben Prozent. Durch das Filmzulagengesetz erwartet man im Amt von Staatsministerin Roth eine Steigerung der Bruttowertschöpfung zwischen 17 und 40 Prozent, das heißt Effekte am Standort Deutschland in Höhe von 600 Millionen bis zu 1,4 Milliarden Euro.

Änderungen am Urheberrecht und in der Verwertungskette notwendig

Die Eigenkapitalbasis der Unternehmen wird aber kaum verbessert, da grundlegende Probleme nicht angegangen werden. Sie bräuchten Veränderungen im Urheberrecht, um von Hits zu profitieren, und in der Verwertungskette von Kinofilmen. Sie macht es den Firmen nahezu unmöglich, Gewinne zu erzielen. Das hiesige durchschnittliche Budget lag schon 2021 bei mehr als vier Millionen Euro, im europäischen Vergleich ist es nur in Großbritannien höher. Und es wird weiter steigen.

Auch die Investitionsabgabe für Streamdienste und Fernsehsender, mit der die Europäische Audiovisuelle Mediendiensterichtlinie umsetzt wird, wird diese Entwicklung befeuern. Die Mitgliedsstaaten können die Anbieter verpflichten, bis zu 25 Prozent der Einnahmen auf ihrem Territorium für die heimische Produktion einzusetzen. 13 Länder haben die Möglichkeit genutzt, die Mehrzahl im Bereich bis fünf Prozent.

Reduzierte Abgabepflicht in Italien und Frankreich

Ausnahmen sind nur Italien und Frankreich, an denen sich Claudia Roth orientiert. Ursprünglich wollte Italien 2025 die mögliche Höchstquote ausschöpfen. Die Regierung in Rom reduzierte die Abgabepflicht jedoch aktuell auf 16 Prozent für Streaminganbieter sowie eine niedrigere Quote für die heimischen Sender. Frankreich führte die Investitionsabgabe in zwei Etappen für die einheimischen und für Unternehmen mit Sitz außerhalb des Landes ein. Letzteren hat sie die Möglichkeit gegeben, die Abgabenlast von 25 auf 20 Prozent durch eine flexiblere Branchenvereinbarung zu mindern. Man sehe sich das Modell an, heißt es im Haus von Claudia Roth, im Moment sei es nicht geplant.

Die Bundesländer haben sogar grundsätzliche Bedenken gegen die Investitionsabgabe. Der Bund überschreite seine Kompetenzen und greife in die Programmautonomie der Sender ein. Roth stützt sich dagegen auf ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Matthias Cornils von der Universität Mainz: Die Urteile des BGH zum FFG mit seinen Vorgaben zur Beteiligung der Sender an der Filmförderung seien auf die Investitionsabgabe übertragbar. Roth ist daher zuversichtlich, in engem Austausch mit den Ländern einen kohärenten Rechtsrahmen sicherzustellen.


„Unsere Nutzer wollen Qualität und Vielfalt. Um sie mit den besten Geschichten aus Deutschland zu begeistern, brauchen wir Flexibilität. Starre Investitionsvorgaben mit kleinteiligen Subquoten fördern das nicht.“
Wolf Osthaus, Netflix

Auch ARD und ZDF, die privaten Sender, und die Streamingdienste beklagen die Einschränkung der Programmfreiheit. "Unsere Nutzer wollen Qualität und Vielfalt. Um sie mit den besten Geschichten aus Deutschland zu begeistern, brauchen wir Flexibilität. Starre Investitionsvorgaben mit kleinteiligen Subquoten fördern das nicht," formuliert Wolf Osthaus, der bei Netflix die Public Policy verantwortet, die Bedenken aller Anbieter.

Ein Rechtsstreit steht im Raum, wenn die Zahlungen verweigert werden. Sollten Mediendienstanbieter ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, ist eine Ausgleichs-Abgabe vorgesehen, die per Bescheid von der Filmförderungsanstalt eingezogen wird. Dagegen kann Widerspruch eingelegt werden.

Es drohen Kürzungen bei den regionalen Förderungen

Sollten die Fernsehsender einlenken, besteht die Gefahr der Mittelreduzierung für die regionalen Filmförderungen. "Sie haben nur ein begrenztes Budget. Dies muss im laufenden Diskussionsprozess berücksichtigt werden" mahnt Berlins Medienstaatssekretär Graf. Opfer der Kürzungen könnten die Nachwuchsprogramme der Sender und regionale Förderer werden, ebenso die lebendige Kurzfilmszene, die vom Bund mit nicht mal einer halben Million Euro Förderung bedacht wird.

Verärgert sind die Sender über eine weitere Veränderung im FFG. Künftig soll die Möglichkeit entfallen, Medialeistungen (Werbespots) anzubieten statt Bargeld in den Topf der FFA einzuzahlen. Die öffentlich-rechtlichen Sender stellten 2022 Medialeistungen von 2,3 Millionen Euro brutto zur Verfügung, die privaten Fernsehveranstalter inklusive Sky 6,4Millionen Euro. Das Geld fehlt künftig für das Marketing. In seiner Stellungsnahme zum Entwurf des neuen FFG beziffert der Verleiherverband All Screens den Verlust für die Branche auf 3,3 Millionen Euro.


„ Die Kinos und die Verleiher müssen in den Reformvorschlägen mehr Berücksichtigung finden.“
Christiane Schenderlein (CDU)

Gestrichen werden soll im FFG auch die Förderung der Projektion des Kurzfilms in den Kinos. Diese Schwachstellen hat die Opposition im Bundestag ausgemacht: "Die Kinos und die Verleiher müssen in den Reformvorschlägen mehr Berücksichtigung finden", erklärt die CDU-Kulturpolitikerin Christiane Schenderlein. "Im aktuellen FFG-Entwurf besteht zudem eine sehr einseitige Stärkung der großen Verleiher."

Die Stärkung der Branchenprimusse zieht sich durch die gesamte geplante FFG-Novelle. Es stellt vollständig auf die Referenzförderung um, durch die wirtschaftlich erfolgreiche Produzenten und Verleiher Mittel für den Dreh oder das Herausbringen des nächsten Films erhalten. Innerhalb dieses Systems wird die kriteriengestützte Referenzfilmförderung weiter zurückgefahren, die künstlerische Erfolge belohnt. Nachdem der Golden Globe und das Prädikat "wertvoll" der Filmbewertungsstelle gestrichen wurden, soll jetzt deren Prädikat "besonders wertvoll" aus dem FFG verschwinden.

Auch Roths Haus ist die Schieflage bewusst. Es verweist auf die geplanten Veränderungen in der Kulturellen Filmförderung, die zeitgleich kommen soll. Außerdem soll den Produzenten die Möglichkeit eingeräumt werden, bestimmte Kosten für die Herausbringung im Rahmen der Filmförderzulage zu beantragen.

Filme made in Germany sollen 35 Millionen Zuschauer anlocken

Gesichert ist dagegen die Unterstützung des Auslandsvertriebs deutscher Filme, die ebenfalls aus dem FFG fliegt. Roth erhöht seinen Etat für German Films zur Unterstützung von Festivalteilnahmen oder Starts deutscher Filme weltweit. Während es dort durchaus Luft nach oben gibt, fragt sich manch Kinobesitzer, wohin mit ihnen auf dem deutschen Markt. Seit Jahren beklagt die Branche, dass zu viele Filme produziert werden. Durch die neuen Fördermaßnahmen rechnet Roth mit noch mehr Output. 35 Millionen Zuschauer sollen Filme made in Germany künftig ins Kino locken. Diese Latte wurde bereits mehrmals gerissen, als sich nach Einführung des DFFF Hollywood in Babelsberg die Klinke in die Hand gab.

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Um die Amerikaner wieder anzulocken und das Abwandern des Drehs deutscher Filme ins Ausland zu verhindern, braucht Deutschland ein attraktives Anreizmodell. Europaweit sind Tax-Intensives längst das zweitwichtigste Finanzierungsmittel für audiovisuelle Produktionen. Malta und Großbritannien gewähren bis zu 40 Prozent Steuernachlass, Rumänien 35 Prozent, Polen und Ungarn je 30 Prozent und Tschechien 20 Prozent. Die Länder sichern Arbeitsplätze im Land und locken Fachkräfte an. Die Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben oder aus dem von Drehs angekurbelten Tourismus sind insbesondere bei den hochbudgetierten amerikanischen Produktionen höher als die Ausgaben für Steuererleichterungen. Damit sich das System selbst trägt, braucht es eine kräftige Anschubfinanzierung.

Produktionsboom in Österreich

Österreich macht es seit 2023 mit einem finanziell nach oben offenen Zuschussmodell von 30 Prozent auf die im Land anfallenden Kosten vor. Ökologisches Drehen und die Beschäftigung von Frauen in Schlüsselpositionen werden zusätzlich belohnt. Das Land erlebt einen Produktionsboom. Über die Einführung einer Investitionsabgabe wird erst jetzt diskutiert.

Claudia Roth hat das Schicksal von FFG und der beiden Modelle miteinander verknüpft. Das FFG will sie Ende Mai in die Beratungen des Kabinetts einbringen, bei der großen Reform der Filmförderung ist der Zeitplan hingegen unklar. Zumindest gibt es einen Plan B, wenn Anreizmodell und Investitionsabgabe scheitern: Der Deutsche Filmförderfonds und der German Motion Picture Fonds werden 2025 weitergeführt.