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Kurz rezensiert : Auf der Wendeltreppe nach oben

Paul Collier erteilt dem Glaube an die "Selbstheilungskräfte" der regionalen Wirtschaft eine deutliche Absage. Wer nicht investiere, der habe bereits verloren.

20.01.2025
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2 Min
Foto: John Cairns

Harter Kritiker der britischen Wirtschaftspolitik: Paul Collier.

Internationale Bekanntheit erlangte Paul Collier im Jahr 2007 mit seiner bahnbrechenden Studie "The Bottom Billion". In ihr untersuchte der in Oxford forschende Wissenschaftler die Ursachen für den wirtschaftlichen Rückstand von etwa 60 Staaten in Afrika und Zentralasien. Annähernd zwei Jahrzehnte später muss Collier konstatieren, dass die Kluft zwischen den reichsten Nationen und der ärmsten Milliarde der Menschheit weiter zugenommen hat. Auch wenn die mittleren Einkommen in den bevölkerungsreichen Staaten China und Indien relativ angestiegen seien, fielen die ärmsten Länder weiter zurück. Nur wenige dieser Staaten schafften es aufzuholen: Ihnen sei es nicht gelungen, vom Boom der Rohstoffpreise zwischen 2003 und 2014 zu profitierten. Zu oft hätten globale Krisen, "schlechte Regierungsführung" sowie regionale Kriege ihren Aufstieg massiv behindert.


„Wenn die Deutschen denken, es läuft schlecht bei ihnen, sollten sie mal nach Britannien schauen.“
Paul Collier

Der Ökonom vergleicht die abgehängten Regionen in seinem Heimatland Großbritannien mit den armen Staaten in Afrika, die von der weltwirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt sind. Der Unterschied zwischen dem Finanzzentrum London und dem großen Rest der englischen Provinz sei gravierend. Beispielhaft verweist er auf Nordengland und Wales. "Wenn die Deutschen denken, es läuft schlecht bei ihnen, sollten sie mal nach Britannien schauen", bemerkte Collier in einem FAZ-Interview.

Collier lobt deutsche Förderstrategien im Strukturwandel

Verantwortlich für diese "mustergültige Katastrophe" macht Collier den Zentralismus und die liberalen Theorien des britischen Finanzministeriums. Demgegenüber hätten in Deutschland die staatliche KfW und regionale Förderprogramme die Stahlindustrie im Ruhrgebiet unterstützt. So etwas habe es in Großbritannien nicht gegeben. Entsprechend hart fällt Colliers Urteil über die britische Wirtschaftspolitik aus, die allein auf die Kraft und die Macht des Marktes vertraue. Wer im Strukturwandel an die "Selbstheilungskräfte" der regionalen Wirtschaft glaube und nicht selbst investiere, habe schon verloren, lautet sein Urteil.


Paul Collier:
Aufstieg der Abgehängten.
Wie vernachlässigte Regionen wieder erfolgreich werden können.
Siedler,
München 2024;
399 S., 28,00 €


Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine "lehnte ich mich weit aus dem Fenster", bemerkt Collier. Bei einem Vortrag am Londoner King's College wagte er entgegen der Meinung aller Experten die Vorhersage, dass Präsident Selenskyj sein Land zu einem Sieg führen wird. Selenskyj verfüge über die Fähigkeit, vermeintliche Nachteile in einen Vorteil umzumünzen. Collier entwirft das Modell einer Wendeltreppe, die - von unten nach oben begangen - zu neuen Perspektiven führt. Dieses Wendeltreppen-Modell lasse sich auch auf abgehängte Regionen anwenden.