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Nato in Europa : Das niemals gegebene Versprechen

Die Historikerin Mary E. Sarotte zeichnet den Weg der Nato-Osterweiterung nach und räumt mit einer Legende auf.

14.10.2023
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2 Min

"Michail Sergejewitsch irrt sich", sagte Eduard Schewardnadse. "In meinem Ministerium oder sonst wo haben wir nie über eine Nato-Osterweiterung als Gegenleistung für die deutsche Einheit gesprochen." Damit widerlegt der frühere sowjetische Außenminister die in Russland verbreitete Lüge, die Amerikaner hätten Gorbatschow als Entschädigung für die deutsche Einheit den Verzicht auf die Nato-Osterweiterung versprochen. Als Zeuge für seine Behauptungen diente Wladimir Putin Egon Bahr. Der russische Präsident zitierte in einem Interview mit "Bild" am 11. Januar 2016 den SPD-Politiker, der angeblich bei einem Besuch 1990 in Moskau bestätigte hatte, dass es keine Osterweiterung geben werde. Bahr, der 1990 kein politisches Mandat innehatte, starb 2015 und konnte sich zu Putins Aussagen nicht mehr äußern.

USA und Nato waren nicht die treibende Kraft

Tausende Seiten Archivmaterialien, Interviews und Erinnerungen hat die amerikanische Historikerin Mary E. Sarotte durchforstet, um zu klären, warum es nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zur Nato-Osterweiterung kam. In ihrer herausragenden historischen Studie legt sie überzeugend dar, dass weder die USA noch die Nato die treibende Kraft waren, um die "Öffnung" der Allianz zu realisieren. Allein die instabile Innenpolitik Russlands hatte Ängste der Osteuropäer vor der Auferstehung eines russischen Imperiums geweckt. Der brutale Krieg des Jelzins-Regimes gegenüber dem separatistischen Tschetschenien (1994-1995) bestätigte alle Befürchtungen. US-Präsident Bill Clinton konnte sich nicht gegen das "moralische und souveräne Recht" der mittel- und osteuropäischen Staaten stellen und befürwortete schließlich deren Entscheidung, "so schnell wie möglich der Nato beizutreten".

Am Ende ihres Buches spekuliert die Historikerin, ob es Wege gegeben hätte, um Russland erfolgreich in eine globale Sicherheitsordnung einzubinden. Fest steht: Geschichte wird nicht im Konjunktiv gemacht. 

Mary Elise Sarotte:
Nicht einen Schritt weiter nach Osten.

Amerika, Russland und die wahre Geschichte der Nato-Osterweiterung.
C.H. Beck
München 2023
397 Seiten, 28,00 €