Rezension: "Wir sind nicht alle" : Der Globale Süden, Russland und China
Die Skepsis im Globalen Süden gegenüber dem Westen ist groß. Russland und China wissen dies geschickt zu nutzen.
Jetzt ist es amtlich: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach Ende September erstmals vom "Globalen Süden". In Lateinamerika, Afrika und Asien gehe eine Mehrheit davon aus, dass "hoffnungsvolle wirtschaftliche, technologische, militärische und ideologische Alternativen zum Westen existieren". Viele dieser Staaten werteten Russlands Aggression gegen die Ukraine nur als einen Grenzkonflikt, der nicht dazu führen dürfe, dass Kiew die globale Agenda dominiere. Europas Chef-Diplomat weiter: China und Russland instrumentalisierten den Globalen Süden und verbreiteten dort ihre eigenen Standards gegen die Demokratien des Westens und die universalen Menschenrechte.
Unterschiede größer als Gemeinsamkeiten
Um besser zu verstehen, wer oder was der Globale Süden ist, sei das kluge Buch "Wir sind nicht alle" der beiden deutschen Politikwissenschaftler Johannes Plagemann und Henrik Maihack empfohlen. Sie weisen darauf hin, dass es für den Begriff keine allgemein akzeptierte Definition gebe. Die Unterschiede zwischen den Staaten seien größer als ihre Gemeinsamkeiten. So stehe neben der Atommacht Indien der arme Senegal. Die Vorgänger der Staaten des Globalen Südens kämpften für Dekolonisierung und gründeten 1955 die Bewegung Blockfreier Staaten. Während des Ost-West-Konflikts schlossen sie sich keiner Seite an, diese Politik setzen sie heute fort.
Die Sanktionspolitik des Westens gegenüber Russland als Antwort auf den Angriff auf die Ukraine lehnen sie ab. Finanziell wird diese Politik aus Peking unterstützt. Diese Haltung versucht Außenminister Sergej Lawrow zu instrumentalisieren, indem er Russland als Verteidiger der Interessen des Globalen Südens in dessen "anti-kolonialem Kampf" gegen den "imperialen Norden" inszeniert: Zusammen mit China und dem Globalen Süden stelle man die "Globale Mehrheit" und verteidige die Souveränität gegen die "ausbeuterische Politik" des Westens.
Johannes Plagemann, Henrik Maihack:
Wir sind nicht alle.
Der Globale Süden und die Ignoranz des Westens.
C.H.Beck,
München 2023;
249 Seiten, 18,00 €