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Kurz rezensiert : Der Ritt ins Armageddon

Die US-Journalistin Annie Jacobsen entwirft ein fiktives Szenario für einen Atomkrieg - auf Basis hart recherchierter Fakten.

13.06.2024
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2 Min
Foto: picture alliance/associated press

Interkontinentalraketen während der Parade zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai 2024 auf dem Roten Platz in Moskau.

Er sei sich nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, hat Albert Einstein einmal gesagt. In einem vierten aber würden die Menschheit mit Stöcken und Steinen kämpfen. Im Kalten Krieg galt für Atomwaffen die Formel eines "Gleichgewichts des Schreckens": Diese Waffen seien dazu da abzuschrecken. Ihr Einsatz galt als undenkbar, ein Atomkrieg wäre für keine Seite zu gewinnen. Mit den atomaren Drohungen Russlands als Begleitrauschen des Angriffskriegs auf die Ukraine sind die Sorgen vor einer Eskalation zurückgekehrt.

Wie es zum Äußersten kommen könnte, das hat die US-Journalistin Annie Jacobsen in ihrem Buch skizziert. Das Szenario: Die USA werden mit einem (wahrscheinlich) atomaren Marschflugkörper von der koreanischen Halbinsel angegriffen und entschließen sich zum vernichtenden Gegenschlag. Vom Zeitpunkt des Entdeckens auf den US-Radaren an lässt Jacobson einen Countdown ablaufen: Es ist ein von einem gut geölten Räderwerk und von vielen klugen Leuten durchdachten Nukleardoktrinen ermöglichter Ritt ins Armageddon.

Einsatzregeln und Befehlsketten

Das mag zuweilen reißerisch wirken. Das Verdienst Jacobsens ist aber, dieses fiktive Szenario auf den Boden harter und mit einigem Fleiß zusammengetragener Fakten zu stellen: Bedenkt man, dass Atommächte über Einsatzregeln, Befehlsketten und technische Details mit guten Gründen einige Geheimnisse hüten, ist das eine überzeugende Rechercheleistung. Besonders beeindruckt die Unausweichlichkeit, mit der Jacobsen das Wechselspiel aus Fehlwahrnehmungen, knappen Entscheidungsspielräumen und Zeitfenstern beschreibt.

Niemand muss sich von Darstellungen wie diesen kirre machen lassen, keinesfalls ist Jacobsens Buch als Begleitheft für das russische Schüren atomarer Ängste zu lesen. Unbedingt aber als Vernunftaufruf für das Einrichten roter Telefone, für Rüstungskontrolle und Transparenz. Gerade hier sind zuletzt wichtige Verträge zwischen den Atommächten USA und Russland annulliert und einiges Porzellan zerschlagen worden.

Annie Jacobsen:
72 Minuten bis zur Vernichtung.
Atomkrieg - Ein Szenario.
Heyne,
München 2024;
400 S., 22,00 €