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Deutscher Feminismus: Bestandsaufnahme : "Die erfolgreichste Bewegung des 20. Jahrhunderts"

Stefanie Lohaus erzählt in ihrem neuen Buch "Stärker als Wut" die Geschichte weiblicher Emanzipation in West- und Ostdeutschland.

16.11.2023
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4 Min
Foto: picture alliance/epd-bild/Christian Ditsch

Feministisch, Solidarisch, Gewerkschaftlich: Eine Kundgebung am internationalen Frauentag am 08. März 2023 in Berlin.

Stefanie Lohaus war 2008 Mitgründerin des "Missy Magazin", ein damals viel beachteter, popkulturell inspirierter Gegenentwurf zu der etablierten, von Alice Schwarzer herausgegebenen Zeitschrift "Emma". Seit 2023 ist sie Teil des Leitungsteams der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, eines Forschungs- und Beratungsinstituts für mehr Vielfalt in Führungspositionen. Ihr Buch "Stärker als Wut" zieht eine Bilanz feministischer Bewegungen aus deutscher Perspektive, versteht sich als historische Aufarbeitung und richtungsweisender Appell.

Gliederung in fünf Abschnitte

Die Autorin, 1978 geboren, bezieht sich immer wieder auf eigene Erfahrungen. Zielgruppe ist ein breites Publikum, sie schreibt bewusst nicht in einem wissenschaftlichen Duktus. Zahlreiche Verweise auf zentrale Werke der Frauen- und Geschlechterpolitik machen aber deutlich, wie intensiv sie auch originäre Quellen durchforstet hat. Lohaus gliedert ihr generationenübergreifendes Porträt etwas schematisch in fünf Abschnitte: die 80er ("Ob Kinder oder keine, entscheiden wir alleine"), die 90er ("Lasst es glitzern, lasst es knallen, Sexismus in den Rücken fallen"), die 2000er ("Was kotzt uns richtig an? Die Einteilung in Frau und Mann"), die 2010er ("No means No, wer das sagt, der meint's auch so") sowie die 2020er ("Eure Kinder werden so wie wir, eure Kinder werden queer"). Die etwas bemüht klingenden Verszeilen sollen Entwicklungslinien aufzeigen, die Vielfalt feministischer Bewegungen dokumentieren.

Lohaus hat eine vorwiegend westdeutsche Sicht, im Kapitel über die 1990er Jahre geht sie jedoch dezidiert auf die Situation in Ostdeutschland ein. Schon vor der Vereinigung seien dort "circa hundert informelle, vom Staat unerwünschte Frauengruppen entstanden". Sie unterscheidet drei Strömungen: Die "Frauen für den Frieden", die im Kalten Krieg vor allem eine Ausweitung der Wehrpflicht auf das weibliche Geschlecht verhindern wollten; christliche Zirkel, die sich mit der männlichen Vorherrschaft in Theologie und Kirche auseinandersetzten; und schließlich lesbische Frauen, "die wenig Möglichkeiten hatten, ihre sexuelle Identität zu entwickeln".

Blick in die Voraussetzungen für Emanzipation in der DDR

Die Autorin benennt die zum Teil günstigeren Voraussetzungen für Emanzipation in der DDR: das liberalere Abtreibungsrecht, die frühere Legalisierung der Homosexualität, die umfassende Kinderbetreuung, die selbstverständliche weibliche Erwerbsarbeit. Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus, so die These von Lohaus, sei deutlich geworden, dass "die von oben verordnete Gleichberechtigung unvollendet geblieben war und Rollenstereotype nie wirklich aufgelöst wurden".


„Unsere Antworten glichen einer Gratwanderung, wir verfolgten keine Spaltung der Generationen.“
Stefanie Lohaus, Autorin und Mitgründerin des "Missy Magazin"

Schon einen Monat nach der Öffnung der Mauer gründete sich der Unabhängige Frauenverband, der bei den Volkskammerwahlen 1990 zusammen mit der Grünen Partei kandidierte. Das Bündnis gewann acht Mandate, der UFV ging bei der Vergabe der Listenplätze allerdings leer aus. Die folgende Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft traf weibliche Beschäftigte besonders hart, viele wurden arbeitslos. Und auch die Kooperation mit den westdeutschen Feministinnen stieß auf Hindernisse. Manche Ost-Frauen fühlten sich herablassend behandelt. Im Westen lag der Fokus eher auf Themen wie sexueller Selbstbestimmung, im Osten ging es vorrangig um den Erhalt positiver Errungenschaften.

Frauenbewegung: "Die erfolgreichste Bewegung des 20. Jahrhunderts"

In der alten Bundesrepublik wurde Gleichstellungspolitik schrittweise salonfähig, Frauen eroberten Ämter und Institutionen. Das Vorbild Alice Schwarzer, die besonders mit ihrer Kampagne gegen den Paragrafen 218 für Aufsehen gesorgt hatte, verlor aber an Ausstrahlung. Jüngere Mitstreiterinnen suchten neue Wege. Die Resonanz auf das Erscheinen der "Missy", erinnert sich Lohaus, war überwältigend. Fast immer ging es darum, "dass wir neu seien und uns vom alten Feminismus abgrenzen". Diese Zuschreibung habe sie als "entsolidarisierend" empfunden. In jedem Interview sei sie nach Schwarzer gefragt worden. "Unsere Antworten glichen einer Gratwanderung, wir verfolgten keine Spaltung der Generationen."

Die Frauenbewegung, resümiert die Autorin, sei "die erfolgreichste Bewegung des 20. Jahrhunderts" - weil sie an die "Werte von Selbstbestimmung, Freiheit und Gleichheit anschloss", die dem weiblichen Geschlecht bis dahin verweigert worden waren. Was Feministinnen heute trenne, seien "Fragen danach, wessen Erfahrungen im Zentrum der Auseinandersetzung stehen sollten". Das ist diplomatisch formuliert, verdeckt aber tief sitzende Kontroversen. Denn ein spürbarer Graben hat sich aufgetan: Gerade im Netzfeminismus hat sich die Abneigung gegen Schwarzer so verfestigt, dass deren Verdienste kaum noch gewürdigt werden. Das liegt an ihrer Haltung zum Kopftuch und zum Islam, auch die Positionen zu Prostitution und Identitätspolitik stoßen auf Widerspruch.

Das von der französischen Ikone Simone de Beauvoir geprägte Milieu und die von der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler beeinflusste Queer-Szene diskutieren kaum noch miteinander. Statt dessen markieren sie sich gegenseitig mit abwertenden Attributen. TERF steht für "Trans excluding radical feminists", mit diesem Etikett wurde zum Beispiel die "Harry Potter"-Autorin Joanne K. Rawling angegriffen, weil sie auf der biologischen Binarität der Geschlechter beharrt hatte. Umgekehrt wettert "Emma" gegen eine Anything-goes-Mentalität, warnt davor, dass Transpersonen Zugang zu geschützten Räumen wie Frauenhäusern erhalten könnten. Gut, dass Autorinnen wie Lohaus hier zu vermitteln suchen und für mehr Offenheit und Verständnis werben.

Stefanie Lohaus:
Stärker als Wut.
Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht.
Suhrkamp,
Berlin 2023;
271 Seiten, 20,00 €