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Buchrezension : Die Story aus der Todeszone

Dokumentarfilmer Stephan Lambys schafft mit seinem neuen Buch "Entscheidungstage" eine spannende Inszenierung des Kampfes um das Kanzleramt.

02.05.2022
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3 Min
Foto: picture-alliance/dpa

Journalisten verfolgen am Bildschirm das TV-Triell zwischen den Kanzlerkandidaten im Bundestagwahlkampf 2021.

Schon mit den ersten Sätzen findet sich der Leser inmitten der vom ehemaligen Außenminister Joschka Fischer bezeichneten "Todeszone der Politik": "Angela Merkel hat einen Plan. Es ist Montagfrüh, kurz vor halb neun, die ersten Präsidiumsmitglieder sind bereits im Konrad-Adenauer-Haus eingetroffen. Die Kanzlerin geht über den Flur im fünften Stock, dort, wo die überlebensgroßen Fotos früherer CDU-Vorsitzender an der Wand hängen. Vorbei an Adenauer, Erhard, Kiesinger, Barzel, Kohl, Schäuble. Dann betritt sie das Büro der Generalsekretärin. Ihre Vertraute soll die Nachricht als Erste erfahren, vor allen anderen." Merkels Ankündigung am 29. Oktober 2018,, im Dezember nicht mehr für das Amt der CDU-Bundesvorsitzenden und bei der kommenden Bundestagswahl nicht mehr als Kanzlerkandidatin anzutreten, ist die Ouvertüre jenes Polit-Krimis, den Stephan Lamby in seinen "Entscheidungstagen" erzählt.

Spannende Inszenierung

Beginnend Ende 2020 inszeniert Lamby das Ringen um das Kanzleramt und den Bundestagswahlkampf von Ende 2020 bis zum Tag nach der Wahl am 26. September 2021 wie in einem Drehbuch. Mit seinem Erzählstil verleiht er dem spannenden Wahljahr, in dessen Verlauf die Unionsparteien, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen und die Kanzlerkandidaten Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock sich ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen liefern zusätzliche Dramatik, ohne dabei jedoch zu überspitzen. Ja, Politik kann spannend sein und es ist das Verdienst von Lamby, dies anschaulich zu vermitteln.

Einmal mehr wird Stephan Lamby mit seinen "Entscheidungstagen" seiner Profession als Dokumentarfilmer gerecht. Auf jeder Seite seines Buches bietet er seinen Lesern einen Blick durch das Okular des Filmemachers auf das Geschehen. Für seine Dokumentationen wie "Bimbes - Die schwarzen Kassen des Helmut Kohl", "Nervöse Republik" oder "Die Notregierung - ungeliebte Koalition" wurde er mehrfach mit hochrangigen Preisen ausgezeichnet.


„Einmal mehr wird Lamby seiner Profession als Dokumentarfilmer gerecht.“

Lamby verschont seine Leser mit all dem Geschwurbel und den Parolen des Wahlkampfjahres 2021. Doch wenn er das politische Personal direkt zu Wort kommen lässt, dann lohnt es sich: "Berlin ist ein Ort, an dem sehr viele politische Akteure Tag für Tag morgens aufstehen und sich überlegen: Wie werde ich heute erkennbar? Und in dem fast noch mehr Journalisten jeden Tag aufstehen und für sich klar machen müssen: Wie werde ich heute erkennbar, wie schaffe ich Schlagzeilen und was kann ich dazu nutzen? Das ist eine Spirale, die sich selbst beschleunigt", zitiert er etwa die ehemalige CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Lamby kommentiert dies nicht weiter, verweist allerdings darauf, dass die Christdemokratin "angestrengt" klang, als sie dies sagte. Die Performance der Spitzenkandidaten in diesem medialen Verdrängungswettbewerb sieht er dann auch als das entscheidende Momentum im zurückliegenden Bundestagswahlkampf. So habe Olaf Scholz zwei "Disziplinen" besser beherrscht als seine Konkurrenten. Zum einen die "Fehlervermeidung bei maximaler Lautstärke" und zum anderen der Wettbewerb um den besten "Merkel-Look-a-Like".

Laschets verhängnisvolles Lachen 

Fehler unterliefen den Kanzlerkandidaten von Union und Grünen in der Tat eine ganze Reihe. Da war das verhängnisvolle Lachen von Armin Laschet vor laufenden Kameras inmitten der Flutkatastrophe von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empathische Worte für die Opfer findet. Da waren die verspätet an die Bundestagsverwaltung gemeldeten Nebeneinkünfte von Annalena Baerbock aus ihrer Funktion als Co-Vorsitzender der Grünen, ungenaue Angaben in ihrem Lebenslauf und vor allem die Plagiatsvorwürfe gegen ihr Buch "Jetzt. Wir wir unser Land erneuern". Lamby schildert all diese Ereignisse ohne persönliche Wertung oder Häme, arbeitet statt dessen journalistisch sauber heraus, wie diese Patzer den Verlauf des Wahlkampfes entscheidend prägten.

Olaf Scholz hingegen blieb weitestgehend verschont von solchen Fehlern. Und inszenierte sich zum Ärger der Konkurrenz vor allem in der Union als überzeugender Nachfolger im Kanzleramt - einschließlich Merkel-Raute auf dem Cover des Magazins der "Süddeutschen Zeitung", dem Schriftzug "Er kann Kanzlerin" auf einer Wahlwerbung und der Formulierung "Die Kanzlerin und ich..." zum Auftakt beim ersten TV-Triell. "Mehr Merkel-Look-a-Like geht kaum", kommentiert Lamby trocken.

Ebenso trocken demonstriert er anhand zweier Interviews mit Scholz, warum dieser sich den Spitznamen "Scholzomat" einhandelte. Als Journalist empfindet Lamby die wortreiche Art des Nichtantwortens als "unangenehm".

Stephan Lamby:
Entscheidungstage.
Hinter den Kulissen des Machtwechsels.
C.H. Beck,
München 2021;
382 S., 22,00 €