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Die Polizei: Freund und Helfer? : Mangelnde Selbstreflexion

Ein umfassendes Buch der Polizeiforscher Benjamin Derin und Tobias Singelnstein zu einer "ambivalenten Organisation".

26.09.2022
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2 Min

Blickt man nur auf die Zahlen, kann die Polizei in Deutschland eigentlich ganz zufrieden mit sich sein: Gefragt, ob sie der Polizei eher vertrauen oder eher nicht vertrauen, stellen sich in Umfragen regelmäßig rund vier Fünftel der Befragten Deutschen auf die Seite des Vertrauens. Damit liegt die Bundesrepublik deutlich über dem EU-Schnitt von 69 Prozent.

Foto: picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt

Kritik an der Polizei ist so alt wie die Institution selbst.

Doch Kritik an der Polizei dürfte so alt sein wie die Institution selbst. Anlässe boten die Ordnungshüter in jüngster Zeit reichlich: So flogen in den vergangenen Jahren republikweit Chatgruppen von Polizisten mit rassistischen und teils verfassungsfeindlichen Inhalten auf. In Frankfurt am Main wurde unter anderem deswegen das SEK aufgelöst. Auch der Einsatz von Gewalt durch Polizeibeamte wird immer wieder kritisch beäugt, insbesondere in den vergangenen Wochen, nachdem mehrere Menschen bei Polizeieinsätzen ums Leben kamen. Gleichzeitig beklagt die Polizei, insbesondere die Polizeigewerkschaften, zunehmende verbale und körperliche Angriffe auf die Beamten. Auch schlechte Ausrüstung, mangelnde Personalausstattung und zu wenig Rückhalt von der Politik werden als Kritikpunkte angebracht.

In diesem Spannungsfeld ist die Lektüre von Benjamin Derins und Tobias Singelnsteins Werk "Die Polizei - Helfer, Gegner, Staatsgewalt. Inspektion einer mächtigen Organisation" erhellend. Das Buch ist umfassend. Es zeichnet die Entwicklung der Polizei in Deutschland nach, von einer eher militaristisch organisierten Institution hin zu einer demokratisch orientierteren. Dargestellt wird, wer eigentlich Polizist wird, wie das Innenleben strukturiert ist, wie sich das Verhältnis von Theorie (Ausbildung) und Praxis (Dienst auf der Wache) gestaltet. Beleuchtet werden auch die stetige Ausweitung polizeilicher Aufgaben, der gesellschaftliche Kontext sowie Sicherheitsbedürfnisse und damit einhergehenden Probleme. Zudem problematisieren die Autoren die politische Rolle der Polizei und ihrer Gewerkschaften und Gefahren durch Verselbstständigungstendenzen.

Bild einer ambivalente Organisation und ihrer Mitglieder

Die beiden Polizeiforscher liefern dabei keinen plumpen Generalangriff auf die Polizei, sondern zeichnen ein differenziertes Bild einer geforderten, manchmal überforderten und vor allem "ambivalenten Organisation" und ihrer Mitglieder - eine Ambivalenz, die sich unter anderem daraus speist, dass die Polizei zum einen in einem demokratischen Rechtsstaat als bürgernaher Freund und Helfer agieren, aber andererseits eine bestimmte soziale Ordnung aufrechterhalten soll und damit auch deren Ungerechtigkeiten reproduziert. Treffen tut das vor allem die marginalisierten, häufig rassifizierten Menschen der Gesellschaft.

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Für die beiden Autoren ist die Anerkenntnis dieser Ambivalenz der Schlüssel dazu, Polizeiprobleme anzugehen. "Die Probleme sind da, und sie sind ziemlich grundsätzlicher Natur", heißt es beispielsweise mit Blick auf Rassismus und Polizeigewalt. Allerdings stehe sich die Polizei dabei selbst im Weg, argumentieren die Forscher. Selbstreflektion und Fehlerkultur werden durch eine "Cop Culture", die genau das nicht ermöglicht, und Korpsgeist schwierig gemacht.

Diese Probleme anzugehen, wollen die Autoren deshalb nicht allein der Polizei überlassen. Die Gesellschaft müsse sich fragen, "was für eine Polizei sie eigentlich möchte". Weitreichende Ideen und Inspirationen dafür liefert das abschließende Kapitel des Buchs reichlich.

Benjamin Derin, Tobias Singelnstein:
Die Polizei.
Helfer, Gegner, Staatsgewalt
Econ,
Berlin 2022;
438 S., 24,99 €