Ortstermin in der Bundestagsbibliothek : Revolutionsgespräche in der Bibliothek
Was bewegte die Abgeordneten der ersten deutschen Nationalversammlung? Historische Briefe zeigen: Die Vereinbarkeit von Familie und Politik war schon immer schwer.
Die Schauspieler Moritz Heidelbach und Ulrike Folkerts lasen aus Briefen von Paulskirchenabgeordneten und ihren Ehefrauen in der Bibliothek des Bundestages.
Die Bibliothek des Bundestages im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus ist so gut gefüllt wie selten, jeder einzelne Stuhl ist besetzt. Dort, wo normalerweise in Ruhe zwischen Schriften, Parlamentsmaterialien und Publikationen gelesen, recherchiert und gearbeitet wird, spielen an diesem Abend bewegende Szenen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Die Schauspieler Ulrike Folkerts und Moritz Heidelbach lesen Briefe von Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung und ihren Ehefrauen vor. Eingeladen hatten zu der Veranstaltung die Bundestagsbibliothek, der Fachbereich Geschichte der Wissenschaftlichen Dienste sowie die Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e.V.. Anlass ist das Jubiläum der Revolutionsjahre 1848/49: Damals, vor mittlerweile 175 Jahren, trat in Frankfurt das erste gesamtdeutsche Parlament zusammen und sollte über eine freiheitliche Verfassung sowie die Bildung eines deutschen Nationalstaates beraten.
Lange Sitzungstage, keine Zeit zum Essen und Heimweh
Mit dieser Aufgabe waren die aus ganz Deutschland angereisten, ausschließlich männlichen Abgeordneten rund ein Jahr lang beschäftigt. Eine Zeit, die die meisten Parlamentarier weit entfernt von Ehefrau und Kindern verbrachten. In unzähligen Briefen berichteten die Abgeordneten ihren Liebsten von den langen Sitzungstagen in der kalten Frankfurter Paulskirche und den Reden ihrer Kollegen. Einige beklagten, dass es durch die viele Arbeit kaum Zeit gebe, um eine ordentliche Mahlzeit einzunehmen. Andere berichteten von den hohen Kosten der Unterkünfte und Gasthäuser in Frankfurt. Wieder andere plagte das Heimweh und die Sehnsucht nach der Familie. Dennoch ist den Abgeordneten die Wichtigkeit ihrer Arbeit bewusst gewesen.
So liest Heidelbach aus einem Brief des Arztes und Abgeordneten Alexander Pagenstecher an seine Ehefrau Juliane: "Die Sache, die wir treiben, die Aufgaben, die wir zu lösen haben, sind gar zu groß und herrlich, als das nicht alle anderen Gefühle und Bedenken vor ihnen schwinden müssten."
Frauen in Politik und Paulskirche
Heute ermöglichen die Korrespondenzen einen Einblick in den parlamentarischen Alltag. Darüber hinaus zeigen die Briefe, dass auch Frauen ohne Wahlrecht und größtenteils von politischer Partizipation ausgeschlossen, an der Arbeit des ersten gesamtdeutschen Parlaments Anteil nahmen. Einige von ihnen, wie Clotilde Koch-Gontard, schlichen gar in die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Sitzungen des Vorparlaments. Versteckt auf der Kanzel der Paulskirche konnten sie so die Diskussionen zur politischen Entwicklung Deutschlands verfolgen.
Obwohl die Sitzungen der Frankfurter Nationalversammlung bereits 175 Jahre zurückliegen, bestünden einige Herausforderungen weiterhin, meint Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen). Im Anschluss an die Lesung sprach sie mit dem Historiker Dominik Geppert über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im parlamentarischen Alltag von damals und heute. So seien Politik und Familie noch immer nicht miteinander vereinbar, sagte Göring-Eckardt. Positiv habe sich zwar entwickelt, dass es mittlerweile Frauen im Parlament und Politikerinnen mit Kindern gebe; dennoch seien Frauen im Bundestag weiterhin unterrepräsentiert.