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Ortstermin im Deutschen Historischen Museum : "Roads Not Taken": Es hätte auch anders kommen können

In Berlin befasst sich das Deutsche Historische Museum in einer Ausstellung mit der Frage: Was wäre wenn? Doch wie wird Geschichte ausgestellt, die nie passiert ist?

30.09.2023
2024-02-27T10:42:40.3600Z
3 Min
Foto: Deutsches Historisches Museum/David von Becker

Vergangenheit, die nicht stattgefunden hat: Das Deutsche Historische Museum in Berlin untersucht Wendepunkte der deutschen Geschichte.

"Als am 9. November plötzlich die Grenze geöffnet wurde, lagen sich die Menschen aus beiden deutschen Staaten lachend und weinend zugleich in den Armen. Nach 40 Jahren deutscher Teilung war die Wiedervereinigung plötzlich zum Greifen nah." So tönt es aus einem Lautsprecher im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Auf einem Bildschirm läuft Filmmaterial des historischen Tages: Bürgerinnen und Bürger strömen aus der DDR zu den innerdeutschen Grenzen und werden in der Bundesrepublik begeistert empfangen. Es sind die allseits bekannten Szenen der friedlichen Revolution von 1989. Doch plötzlich sagt die Stimme aus dem Lautsprecher: "Aber es hätte auch anders kommen können".

Nicht geschehen, aber möglich

Und so sind neben Bildern der friedlichen Revolution in der DDR, Aufnahmen vom Platz des Himmlischen Friedens in Peking zu sehen. Auch dort demonstrierten Bürgerinnen und Bürger 1989 für mehr Demokratie und politische Reformen. Anders als in Deutschland wurden die Proteste am Ende vom Militär blutig niedergeschlagen. Wäre eine "chinesische Lösung" auch in der DDR möglich gewesen? Hätte die Geschichte an so manchen Wendepunkten tatsächlich einen anderen Weg einschlagen können? Diese Fragen versucht die Ausstellung "Roads Not Taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können" zu beantworten.

Die Schau ist eine Art Experiment und zeigt Geschichte, die nie geschehen ist - aber möglich gewesen wäre. Ausgehend vom Fall der Berliner Mauer werden in rückläufiger Reihenfolge 14 Wendepunkte der deutschen Geschichte von 1848 bis 1989 alternativen Verläufen gegenübergestellt. Was wäre gewesen, wenn das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geglückt wäre oder die Stalin-Note zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung geführt hätte? Es ist ein innovatives und gewagtes Konzept für ein Museum, dass doch eigentlich die Realität abbilden soll.

Das Ziel: Den Blick weiten

Die Idee dahinter stammt vom deutsch-israelischen Historiker Dan Diner. In seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung sagte er, dass mit "Roads Not Taken" keine alternative oder kontrafaktische Geschichte erzählt werden solle. Es sei vielmehr das Ziel, den Blick zu weiten, auf weitere, in der Geschichte angelegt gewesene, nicht wirklich gewordene Möglichkeiten. Dafür haben die Kuratorinnen und Kuratoren nach Objekten und Quellen gesucht, die von möglichen historischen Alternativen zeugen. So ist es beispielsweise 1989 nicht selbstverständlich gewesen, dass die deutsche Teilung friedlich enden würde. Hatte sich die DDR-Führung doch erst im Juni desselben Jahres mit den chinesischen Machthabern solidarisiert und die DDR als erster Staat das brutale Vorgehen der chinesischen Führung gegen die eigenen Bürgerinnen und Bürger gebilligt.

"Die Ausstellung zeigt eindrücklich, dass Geschichte häufig ein Produkt von Handlungen oder Unterlassungen einzelner Menschen ist."

Wenn in der kommenden Woche bereits zum 33. Mal der Tag der Deutschen Einheit gefeiert wird, ist es kaum vorstellbar, dass es anders hätte kommen können. Die Vergangenheit scheint alternativlos, ist sie doch bereits geschehen. Dennoch zeigt die Ausstellung eindrücklich, dass Geschichte häufig ein Produkt von Handlungen oder Unterlassungen einzelner Menschen ist. Und sie regt zum Nachdenken an - nicht nur über vergangene Ereignisse, sondern auch über aktuelle Kriege und Krisen wie in der Ukraine oder in Bergkarabach, die eines Tages Geschichte sein werden.

Die Ausstellung "Roads Not Taken" kann noch bis zum 24. November 2024 im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums in Berlin besucht werden.