Parlamentarisches Profil : Erfahrene Newcomerin: Annika Klose
"Ich fühle mich noch immer wie eine Newcomerin" sagt Annika Klose über ihr Jahr Eins im Bundestag. Die 30-Jährige kämpft für einen Kulturwandel in der Sozialpolitik.
Im dritten Stock des Reichstags wird gekärchert. Es ist kurz nach acht in der Früh, nur ein Bodenreiniger, Typ "Professionel", dreht seine Runde auf der Fraktionsebene, lässt die elektronische Tür zur SPD wie von Geisterhand öffnen. Dann läuten Kirchenglocken. Aus dem Lautsprecher, sie rufen zur Morgenandacht. Schließlich ist der Boden gereinigt, das Gebet im Gang, alles wird still - da tritt Annika Klose aus dem Fahrstuhl, gleich muss sie ins Plenum, aber ein paar Minuten Zeit hat sie, in dieser für sie so wichtigen Woche.
Seit September 2021 sitzt SPD-Politikerin Annika Klose für ihren Wahlkreis Berlin-Mitte im Bundestag.
Denn Klose, 30, muss demnächst ihre Website umbauen. "Für einen Abschied von Hartz IV" steht dort, und daran arbeitet sie nicht erst, seit sie im Herbst 2021 als Abgeordnete in den Bundestag einzog. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir einen echten Kulturwandel hinkriegen", sagt sie über den Gesetzentwurf zum Bürgergeld, der nun erstmals im Parlament diskutiert wurde. Sein Kern: Die Regelsätze sollen um rund 50 Euro steigen, die arbeitslos Gewordenen sollen sich stärker auf die Arbeitssuche konzentrieren können, die Jobcenter mehr kooperieren als fordern. Klose geht in den leeren Sitzungssaal der SPD-Fraktion und setzt sich in die erste Reihe. "Es geht darum, bei den Langzeitarbeitslosen ihr Potenzial zu heben, durch Qualifizierungen und Umschulungen", sagt sie. "Das sind auch wichtige FDP-Punkte, denn es ist eine Aufsteigergeschichte, die Liberale wie Sozialdemokraten teilen."
Vom Harz nach Berlin
Klose bezeichnet sich als Mitglied der "Generation Hartz IV". In Clausthal-Zellerfeld sah sie in der Jugend die "Hartz-IV-Familien" und ihre geminderte Teilhabe, die "unfassbare Ungerechtigkeit". Ihre Eltern: aus Arbeiterfamilien, in denen Politik nicht ständig Thema, aber eben klar gewesen sei, dass SPD gewählt werden würde; Vater und Mutter lernten sich in einem Zeltlager der linken Jugendorganisation "Die Falken" kennen. Ihre Oma leitete die örtliche Arbeiterwohlfahrt, nahm ihre Enkel zu den Seniorentreffs zu Kaffee und Kuchen, und irgendwann bekam der Teenager mit, dass manche der Alten sich ansonsten den Kuchen in einem Café würden kaum leisten können. Das prägte.
Klose sagt, sie habe die Jugend im Harz genossen, die Natur, sich aber auch eingeschränkt gefühlt, etwa mit ihren ablehnenden Ideen gegenüber dem dreigliedrigen Schulsystem. Nach dem Abitur dann ab nach Berlin, ein Studium der Sozialwissenschaften, schon vor dem Master begann sie als Gewerkschaftssekretärin; Gerechtigkeitsthemen schienen bei ihr stets im Gepäck zu sein, auch bei ihrem Engagement für Geflüchtete und ihrer Beteiligung an einem Seenotrettungseinsatz der Sea-Eye-Mission auf dem Mittelmeer.
Als Juso-Landesvorsitzende: Kampf gegen die Große Koalition
Dass sie mit Politik auch ihr Geld verdienen würde, zeichnete sich als Möglichkeit irgendwann nach 2015 ab, als Klose Landesvorsitzende der Berliner Jusos wurde. Die Jugendorganisation sagte der Großen Koalition den Kampf an, Klose organisierte mit und merkte, dass sie "nicht nur kritisieren, sondern dann auch Verantwortung übernehmen will". Ihr Wahlkreis, Nummer 75, ist prominent: Berlin-Mitte ist wie ein Querschnitt der Gesellschaft, mit den vielfältigen Kiezen in Wedding und Moabit, den ostgeprägten Meilen von Alt-Mitte und auch nicht wenigen Bürgern, die wie Klose in der Politik arbeiten und die sie schon Mal mit Wahlkreisthemen ansprechen, seien es beim Sicherheitsdienst des Bundestages Angestellte, die sich über die Arbeitsbedingungen beschweren, oder Neueingezogene über den Baulärm in der Europacity und überhaupt: Wie funktioniert das auf den Bürgerämtern?
Das Jahr, sagt sie, sei rasant verflogen. "Ich fühle mich noch immer wie eine Newcomerin." In diesem schwierigen wie historischen Moment sei es schnell losgegangen, "ich hatte keine Zeit anzukommen". Das Handwerkszeug des Hauses, die Abläufe, habe sie im Nu erlernen müssen. Bleibt aus ihrer Sicht der sich abzeichnende Erfolg des Bürgergeldes. "Wir haben uns richtig beeilt", sagt sie, "aber dennoch habe ich das Gefühl, wir stehen noch am Anfang." Die Minuten sind um. Klose steigt in den Aufzug und fährt hinab gen Plenum.