Bundesregierung in der Pflicht : Wann kommt die Stechuhr für alle?
Eine Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten muss gesetzlich geregelt werden. In einer Anhörung formulierten die geladenen Experten das Pro und Contra.
Wer dachte, das Stempeln sei vorbei, ist spätestens am 14. Mai 2019 eines Besseren belehrt worden. An dem Tag entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten genau zu erfassen. Das hat weitreichende Folgen, vor allem für kleinere Firmen, die kein System zur Arbeitszeiterfassung haben. Eine gesetzliche Regelung dazu steht in Deutschland noch aus, genau deshalb setzten die Oppositionsfraktionen CDU/CSU und Die Linke das Thema auf die Tagesordnung einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag dieser Woche.
Der EuGH entschied 2019: Ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung muss her.
Union: Referentenentwurf bedeutet Ende für die selbstbestimmte Vertrauensarbeit
Grundlage der Debatte dort bildeten Anträge der Unionsfraktion und der Fraktion Die Linke. Die Union verlangt unter anderem, ein neues Gesetz müsse flexible Modelle zur Arbeitszeiterfassung enthalten und Vertrauensarbeitszeit zulassen. Außerdem sollen die Arbeitgeber entscheiden, wie sie die Arbeitszeit erfassen. Die Union kritisiert, dass ein im April 2023 bekannt gewordener Referentenentwurf zur Arbeitszeiterfassung aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) das Ende für die selbstbestimmte Vertrauensarbeitszeit bedeuten und "sowohl die Beschäftigten als auch die Arbeitgeber mit überflüssiger Bürokratie gängeln" würde. Die Linke verlangt dagegen die tagesgenaue Aufzeichnung von Arbeitszeit und Ruhepausen und kritisiert, dass das Urteil zur Auslegung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie immer noch nicht in nationale Gesetzgebung umgesetzt sei.
In der Anhörung betonte unter anderem Isabel Eder vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die Vertrauensarbeitszeit sei in der Vergangenheit nur "pervertiert" angewendet worden, im Übrigen gebe es bereits jetzt genügend Flexibilisierungsmöglichkeiten. Der DGB plädierte für die Beibehaltung des Achtstundentages, der von erheblicher Bedeutung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sei. Unterstützt wurde diese Position von Nils Backhaus von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, der darauf hinwies, dass 80 Prozent der Beschäftigten ihre Arbeitszeit bereits erfassten. Diese verfügten über mehr zeitliche Spielräume als jene, die dies nicht tun.
Skepsis einiger Branchen
Dagegen unterstrich Roland Wolf von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe die Vertrauensarbeitszeit bestätigt. Nach seiner Interpretation des EuGH-Urteils muss der Arbeitgeber nur ermöglichen, dass die Arbeitszeit erfasst werden kann. Er sei aber nicht verpflichtet, diese selbst zu erfassen. Oliver Zander vom Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Elektro- und Metall-Industrie (Gesamtmetall) wies darauf hin, dass mehrere Berufsgruppen deutlich gemacht hätten, nicht in die Arbeitszeiterfassung einbezogen werden zu wollen: Richter, Wissenschaftler, Anwaltskanzleien und Lehrer. Auch die Arbeitnehmer mit Vertrauensarbeitszeit wollten ausgenommen werden. In der Vertrauensarbeitszeit gebe es einen guten Ausgleich, sagte Zander mit Blick auf die Forderung der Linken nach "minutengenauer" Aufzeichnung der Arbeitszeit.
Unterschiedliche Sichtweisen gab es auch bei den Jura-Professoren. Gregor Thüsing von der Universität Bonn sprach sich für tarifliche Öffnungsklauseln aus. Der EU-Gesetzgeber gehe von einer Wochen-Höchstarbeitszeit von 48 Stunden aus, kombiniert mit Ruhezeiten sei dies ein genügender Schutz. Die Regierung sollte sich daran orientieren, "mehr Freiheit" zu wagen.
Christiane Brors von der Universität Oldenburg sagte, auf Dauer länger als acht Stunden pro Tag zu arbeiten, sei ungesund. Mobiles Arbeiten führe zur Entgrenzung von Arbeit und Freizeit. Die Zunahme von psychischen Erkrankungen zeige, dass ein modernes Arbeitsrecht Begrenzungen brauche. Gebraucht werde auch eine manipulationssichere Arbeitszeiterfassung. Aus ihrer Sicht wird es auf eine taggenaue Aufzeichnungspflicht, die zu Kontrollzwecken auch digital sein sollte, hinauslaufen.
In Deutschland sind Unternehmen bisher nicht gesetzlich dazu verpflichtet, die genauen Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu dokumentieren. Doch es gibt Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen oder Branchen. So müssen geringfügig Beschäftigte nach dem Mindestlohngesetz ihre Arbeitszeiten aufzeichnen. Auch im Baugewerbe oder in der Gastronomie werden bereits Arbeitszeiten erfasst, um Schwarzarbeit zu verhindern. Darüber hinaus muss die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen oder bei Überstunden erfasst werden. Wann aus dem Referentenentwurf des BMAS ein konkreter Gesetzentwurf wird und damit für alle Beschäftigten in Deutschland die Arbeitszeit erfasst werden muss, ist derzeit noch unklar.
Anhörung des Arbeitsausschusses
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