Zeiterfassung : Die Rückkehr der Stechuhr?
Nach einer EuGH-Entscheidung von 2021 ist der Gesetzgeber am Zug, ein neues Modell für die Arbeitszeitdokumentation vorzulegen. Nun macht die Union Druck.
Weil die Deutsche Bank SAE die täglich geleisteten Arbeitsstunden ihrer Mitarbeitenden nicht erfasst hat, reichte die spanische Gewerkschaft CCOO Klage ein: Das Verfahren ging bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH), das Urteil hat Auswirkungen auf ganz Europa: Unternehmen in den Mitgliedstaaten müssen die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen. So lautete die Grundsatzentscheidung des EuGH von Mai 2019.
Begründet wurde das Urteil damit, dass Arbeitnehmer laut EU-Grundrechtecharta ein "Recht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub" hätten. Um dies auch praktisch zu gewährleisten, müsse die tägliche Arbeitszeit erfasst werden.
Gestalterische Spielräume
Was diese Entscheidung für Deutschland genau bedeutet, machte ein daran anknüpfendes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im September 2022 deutlich: Alle Arbeitszeiten müssten erfasst werden, entschieden die Richter in Erfurt. Bislang war eine Erfassung nur dann verpflichtend, wenn am Tag beispielsweise mehr als acht Stunden gearbeitet wurde. "Das Ob ist entschieden, das Wie der Arbeitszeiterfassung liegt in den gestaltenden Händen des Gesetzgebers", stellte die Präsidentin des BAG, Inken Gallner, klar. Sie betonte außerdem, dass Arbeitszeiterfassung und Vertrauenszeiten nicht im Widerspruch zueinander ständen.
Ein im April vom Bundesarbeitsministerium veröffentlichter Referentenentwurf des Arbeitszeiterfassungsgesetzes sieht unter anderem vor, dass die Arbeitszeiterfassung noch am selben Tag und ausschließlich elektronisch erfolgen dürfe. Andere Formen der Erfassung seien nur für Kleinstbetriebe mit weniger als zehn Mitarbeitenden zulässig.
Zu wenig Gestaltungsräume für Unternehmen und Beschäftigte findet die CDU/CSU-Fraktion und forderte die Bundesregierung in einem Antrag auf, ein entsprechendes Gesetz vorzulegen, dass flexible Modelle zur Arbeitszeiterfassung zulässt und Vertrauensarbeitszeiten stärkt.
Ob elektronisch, handschriftlich oder per Stechuhr: Die Frage, wie die Arbeitszeit erfasst werden soll, fällt laut Bundesarbeitsgericht in den gestalterischen Spielraum des Gesetzgebers.
Am vergangenen Freitag hat das Bundestagsplenum erstmals über den Antrag debattiert, bevor dieser zur weiteren Beratung federführend an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen wurde.
Vertrauensarbeitszeit solle überall dort möglich sein, wo sie praktikabel sei, sagte Hermann Gröhe (CDU). Während die Union durch ihre Forderungen den "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den Rücken stärken" wolle, entmündige der Referentenentwurf die Beschäftigten: "Mit Ihrem Vorschlag ist Vertrauensarbeitszeit tot", so Gröhe.
"Hände weg vom acht Stunden Tag", sagte Susanne Ferschl (Die Linke) in Richtung der Union. Zwar spiele die Fraktion sich durch ihren Antrag als "Retter der Vertrauensarbeitszeit" auf, doch dahinter stecke lediglich die Intention, "Freiräume für die Arbeitgeber zu schaffen", kritisierte Ferschl. Aus gutem Grund schütze das Arbeitszeitgesetz seit Jahrzehnten die Beschäftigten. Für Experimente bei der Arbeitszeitgestaltung gebe es keinen Anlass. Dass die Arbeitszeiterfassung allerdings geregelt werden müsse, das bekräftigte Ferschl. Dies und nicht mehr habe der EuGH gefordert.
Vertrauen statt Kontrolle
Auch die Vertreterinnen und Vertreter der Ampel-Fraktionen nutzten ihre Redebeiträge zu einem großen Teil dazu, sich weniger mit der Art der Erfassung, sondern der möglichen Ausgestaltung von Arbeitszeit zu befassen.
Bei der Frage nach mehr Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung müsse es um die Bedürfnisse der Beschäftigten und nicht um die der Unternehmen gehen, betonte Grünen-Politikerin Beate Müller-Gemmeke. Arbeitszeitrecht sei wichtig für den Gesundheitsschutz, da zu viele Überstunden und ständige Erreichbarkeit zu gesundheitlichen Problemen führten. Gleichzeitig müsste Arbeitszeit gut ins Leben der Menschen passen. Dafür bedürfe es neuer Arbeitszeitmodelle und eine Mehr an Mitspracherechten besonders für Frauen.
Auch Pascal Kober (FDP) sagte, dass der Gesetzgeber den Menschen und deren Wunsch nach einer flexibleren Verteilung der Wochenarbeitsstunden "keine unüberwindlichen Hürden entgegenstellen" solle. Kober räumte außerdem ein, dass besonders die Definition von Vertrauensarbeitszeit im Referentenentwurf diskussionswürdig sei. Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten sollten "auf Vertrauen und nicht auf Kontrolle beruhen" sagte er. Dies bilde der Entwurf derzeit noch nicht ab.
Weniger experimentierfreudig zeigte sich SPD-Politiker Kaweh Mansoori. Schließlich enthielten die geltenden Regelungen zur Arbeitszeit bereits ein paar Spielräume. So könne die Arbeitszeit für einen gewissen Zeitraum von acht auf zehn Stunden am Tag erhöht werden, wenn ein entsprechender Ausgleich vorgesehen sei.
Als "übergriffig" bezeichnete AfD-Politiker Jürgen Pohl das Verhalten des EuGH. Deutschland verfüge über eine "eigene Tradition der Arbeitszeit" und es sei nicht hinnehmbar, dass die EU nun vorschreibe, wie in der Bundesrepublik Arbeitzeit erfasst werden solle.