Gastkommentare : Pro und Contra: Löst Zuwanderung das Fachkräfteproblem?
Deutschland braucht Fachkräfte aus dem Ausland. Ob das reicht, den Mangel bei den Unternehmen abzustellen, debattieren Uwe Jahn und Roland Preuß im Pro und Contra.
Pro
Ohne geht es nicht
Die Politik muss alles, wirklich alles tun, was gegen den Fachkräftemangel in Deutschland wirkt! Denn nach Expertenangaben fehlen mehrere hunderttausend Fachkräfte pro Jahr. Das ist mit Zuwanderung allein nicht zu schaffen. Aber ohne Zuwanderung schon gar nicht.
Bei der akademischen Bildung klappt das schon ganz gut. Wir haben an unseren Hochschulen mehrere hunderttausend Studierende aus dem Ausland, die meisten aus China, der Türkei und Indien. Etwa die Hälfte bleibt nach dem Abschluss erst einmal zum Arbeiten hier. Immerhin. Auch die Einwanderung von Arbeitskräften aus EU-Staaten scheint zu funktionieren, sie stellten 2019 knapp sieben Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
Nur bei Fachkräften aus Drittländern hapert es noch. Zwar hat Deutschland ein Fachkräftezuwanderungsgesetz. Aber wegen der Pandemie mit ihren Reisebeschränkungen konnte es kaum Wirkung entfalten. Heute gibt es solche Beschränkungen kaum noch und Deutschland muss sich mehr anstrengen. Das fordert auch der Arbeitgeberverband. Er kritisiert lange Wartezeiten in den Auslandsvertretungen und fordert eine elektronische Akte zur verbesserten Verständigung zwischen Botschaften, Ausländerbehörden und der Bundesagentur für Arbeit. Die Arbeitgeber wissen: Schon in den vergangenen Jahrzehnten hätten wir ohne zugewanderte Arbeitskräfte kaum unsere Wirtschaftskraft halten können. Auch weil unser Bildungssystem noch viel zu viele junge Menschen ohne Ausbildung ins Berufsleben entlässt. Auch das ist eine Riesenbaustelle. Die Politik muss eben alles, wirklich alles tun, was gegen den Fachkräftemangel in Deutschland wirkt!
Contra
Talente vor der Tür
Natürlich braucht Deutschland Fachkräfte aus dem Ausland. Doch vieles, was derzeit wieder diskutiert wird, gibt es längst: Werbung auf Englisch oder Spanisch ("Make it in Germany"), die systematische Anerkennung von Abschlüssen, liberale Gesetze für Zuwanderer. Die OECD hat der Bundesrepublik schon vor Jahren bescheinigt, unter den Industrieländern mit die offensten Gesetze für qualifizierte Zuwanderer zu haben. Wenn die Ampel-Koalition nun einen neuen Aufbruch beim Einwanderungsrecht verkündet, sollte man nicht allzu viel erwarten.
Oft liegt das Problem anderswo: Etwa, dass IT-Experten aus Indien eher nicht Deutsch sprechen. Sie gehen lieber in englischsprachige Länder. Es gibt andere Ansätze, den Unternehmen zu mehr Fachkräften zu verhelfen. Bei Bürgern in Teilzeit oder Kinderpause etwa ist viel zu gewinnen. Millionen, vor allem Frauen, wollen mehr arbeiten, sitzen aber in der Teilzeitfalle, finden nicht mehr den Einstieg in einen Vollzeitjob. Begünstigt wird dies durch Minijobs mit geringen Abgaben, Kinderbetreuung, die Punkt 16 Uhr endet und einem Ehegattensplitting, das die Zweitverdienerin steuerlich bestraft. Das aber lässt sich ändern.
Der zweite große Hebel ist die Bildung. Bisher verlässt etwa jeder 15. Jugendliche die Schule ohne Abschluss, das sind etwa zwei Schüler pro Klasse. Eine gigantische Verschwendung an Talent, die den Abbrechern zudem oft ein Leben lang Chancen raubt. Unter ihnen sind überdurchschnittlich viele Kinder aus Zuwandererfamilien. Hier gilt es Kraft aufzuwenden, um Schulabbrecher nicht in ein Arbeitsleben zwischen Niedriglohn-Stelle und Jobcenter zu schicken, sondern zu den Fachkräften auszubilden, die das Land so dringend sucht.