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Gastkommentare : Pro und Contra: Leben im Gewerbegebiet?

Wohnraum ist knapp. Doch sollte deshalb jede Möglichkeit genutzt werden, neue Wohnungen zu schaffen? Silke Kersting und Wolfgang Mulke im Pro und Contra.

22.03.2024
True 2024-10-29T10:56:16.3600Z
2 Min

Pro

Es spricht nichts dagegen, Mischnutzungen zuzulassen

Foto: Max Brunnert
Silke Kersting
ist Korrespondentin beim "Handelsblatt".
Foto: Max Brunnert

Wohnraum in Deutschland ist knapp. Es fehlen Tausende Wohnungen, vor allem in Ballungsräumen. Die Immobilienweisen hatten kürzlich in ihrem Frühjahrsgutachten darauf hingewiesen, dass der Leerstand in fast allen A-Städten, das sind Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Frankfurt/Main und Stuttgart, bei unter einem Prozent liegt. Eine passende und bezahlbare Wohnung zu finden, gleicht dort einem Glücksspiel. Vor diesem Hintergrund sollte jede Möglichkeit, Wohnraum zu schaffen, grundsätzlich willkommen sein. Die Bundesregierung arbeitet gerade an einem Förderkonzept, damit leerstehende Büroimmobilien in Wohnraum umgewandelt werden können. Das ist längst überfällig. Es sollte aber auch kein Tabu sein, Gewerbegebiete für Wohnraum zu nutzen. Dabei geht es nicht darum, Menschen in ausgedienten Lagerhallen oder irgendwo abseits von städtischer Infrastruktur unterzubringen. Doch es spricht nichts dagegen, in einem städtischen oder stadtnahen Gewerbegebiet verstärkt Mischnutzungen zuzulassen und so für Wohnraum zu sorgen. Die Flächen sind in der Regel gut erschlossen, gut erreichbar, Kanalisation und schnelles Internet ist dort garantiert.

Natürlich braucht es gute Konzepte, auf Gewerbeflächen attraktive Wohnimmobilien zu entwickeln. Gewerbegebäude erfüllen bau- und nutzungsbedingt in der Regel nicht die Anforderungen, wie sie bei Wohnimmobilien gelten, etwa beim Wärme- und Schallschutz. Doch erstens ist Gewerbe heute in der Regel nicht mehr so laut, zweitens sind die Möglichkeiten größer, etwaige Lärmquellen zu mindern. Und noch etwas würde erreicht: Durch den Umbau von Gewerbeimmobilien in Wohnraum würde Bausubstanz erhalten und CO2 gespart.

Contra

Bloß keine Ghettos für Geringverdiener

Foto: Privat
Wolfgang Mulke
ist freier Journalist.
Foto: Privat

Die Wohnungsnot in Ballungsgebieten verlangt nach Lösungen. Davon gibt es auch einige, ohne dass Gewerbegebiete mit Massenunterkünften zugepflastert werden müssten. Die Gegenargumente wiegen schwerer. Denn der Preis dafür wären neue Ghettos für Geringverdiener, die sich andere Wohnungen außerhalb der von stark frequentierten Straßen umgebenen und in jeder Hinsicht unattraktiven Lagen nicht mehr leisten können.

Die Argumente für die Nutzung von der für die Industrie erschlossenen Flächen ziehen nur zum Teil. So könnte damit etwa auf die Versiegelung weiterer, bisher unerschlossener Räume verzichtet werden. Auch gegen die Nutzung von ohnehin brachliegenden Gewerbeflächen spricht nichts. Die Mixtur aus Gewerbe und Wohnen wird jedoch nicht funktionieren. Denn die Nebenwirkungen könnten gravierend sein. Wer hohe Mieten nicht bezahlen kann, dem droht die Abschiebung in die Gewerbezone. Massive soziale Probleme in Neubausiedlungen wären vorprogrammiert.

Der Knappheit könnte auch auf andere, kreativere Weise begegnet werden. So bieten die Städte noch reichlich Möglichkeiten zur Verdichtung des Wohnraumes. Auch ist der Wohnraum in vielen Fällen falsch verteilt. Manche Singles oder Paare bewohnen viel zu große Wohnungen, nachdem die Kinder aus dem Haus sind. Junge Familien suchen dagegen verzweifelt angemessen großes Bleiben. Der Wohnungstausch funktioniert bisher nicht, ist aufwändig und für die infrage kommenden Haushalte wirtschaftlich uninteressant. Auch attraktivere Kommunen im Umland könnten einen Teil der Nachfrage decken. An Ideen mangelt es nicht, an der Umsetzung schon.

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