Energieversorgung : Deutschland setzt EuGH-Urteil um - Bundestag gibt Kompetenzen ab
Netzausbau, Wasserstoff, Speicher: Die Regierung nutzt rechtliche Anpassung für umfassende weitere Änderungen im Energiebereich.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht unter anderem die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für Höchstspannungsleitungen vor.
Vor zwei Jahren hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Vertragsverletzungsverfahren entschieden, dass Deutschland die Elektrizitäts- und die Erdgasbinnenmarkt-Richtlinien nicht zutreffend umgesetzt hat. Jetzt am Freitag hat der Bundestag mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP den Gesetzentwurf der Bundesregierung "zur Anpassung des Energiewirtschaftsrechts an unionsrechtliche Vorgaben und zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften" verabschiedet. Damit ist den Vorgaben des EuGH aus Sicht der Bundesregierung Genüge getan.
Drei Klagepunkte des EuGH betrafen Entflechtungsfragen. Der vierte, noch offene Klagepunkt betraf die Unabhängigkeit der nationalen Regulierungsbehörden von normativen Vorgaben des nationalen Gesetzgebers. Die jetzt verabschiedete Novelle sieht vor, dass die Verordnungsermächtigung des Paragrafen 24 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) aufgehoben und durch eine Festlegungskompetenz der nationalen Regulierungsbehörde ersetzt wird. Heißt: Nicht mehr der Bundestag entscheidet, sondern die Bundesnetzagentur (BnetzA)
Es geht um mehr als die Anpassung an Unionsrecht
Der Gesetzentwurf geht aber weit über diese Anpassung an Unionsrecht hinaus. Er greift in eine Reihe energiepolitischer Gesetze und Vorschriften ein. So behandelt der Gesetzentwurf unter anderem auch die Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren für Höchstspannungsleitungen. Ziel ist dabei die Vereinfachung von Verfahren zur Genehmigung von Ausbau- und Verstärkungsvorhaben im Übertragungsnetz. Darunter fällt zum Beispiel die Zulassung eines vorzeitigen Baubeginns, die Mitverlegung von Leerrohren und eine Anhebung und Vereinheitlichung der Entschädigungszahlungen für land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen.
Zu den weiteren Vorschriften gehört auch der Auf- und Ausbau eines Wasserstoffkernnetzes: Dieses Netz soll in der ersten Stufe wichtige Wasserstoff-Infrastrukturen umfassen, die bis 2032 in Betrieb gehen sollen. Hierzu sollen zentrale Wasserstoff-Standorte angebunden und alle Regionen Deutschlands berücksichtigt werden. Bis Ende des Jahres soll in einer zweiten Stufe eine umfassende Wasserstoff-Netzentwicklungsplanung im EnWG verankert werden. Diese Planung soll sich über das Kernnetz hinaus mit dem Wasserstoffbedarf relevanter Abnehmer, wie energieintensiven Unternehmen, auseinandersetzen.
Die zurückliegenden Monate und Jahre hätten gezeigt, wie wichtig es sei, Entscheidungen zu treffen und zu handeln, führte Ingrid Nestle für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus: "Die Energieversorgung bleibt nicht wie sie ist, wenn wir nichts tun." Deswegen lege die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf vor, der, wie Nestle aufzählte, unter anderem für die Sicherheit und Bezahlbarkeit der Energieversorgung sorge, den Ausbau eines Wasserstoffkernnetzes forciere, die Energie-Speicherung erleichtere und Unternehmen ermögliche, mittels Direktleitungen erneuerbare Energien zu nutzen.
Mark Helfrich (CDU) nannte die vorgelegte Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes "den reinsten Gemischtwarenladen", der damit ein Spiegelbild der Ampelkoalition sei. Zwei Jahre habe die Koalition gebraucht, um nach langem Hin und Her auf die Entscheidung des EuGH zu reagieren. "Wenn nun wenigstens wegweisende Entscheidungen dabei herausgekommen wären", sagte Helfrich, aber stattdessen habe man die Bundesnetzagentur zu einer "Superbehörde" gemacht, mit mehr Verantwortung, mehr Kompetenzen, aber ohne Pflichten, ohne Checks und Balances. Dazu falle ihm nur ein: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser."
"Verantwortung übernehmen heißt manchmal auch Verantwortung abgeben"
Markus Hümpfer (SPD) hob hervor, dass die Regierung mit der Gesetzesnovelle die Verantwortung übernehme und das EuGH-Urteil umsetze, das die fehlende Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur gerügt habe. Verantwortung zu übernehmen heiße manchmal, Verantwortung (in diesem Fall des Bundestags) abzugeben an die Regulierungsbehörde (in diesem Fall der Bundesnetzagentur), die unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnissen und über Legislaturperioden hinaus agieren könne. Im Übrigen habe man mit Blick auf die Agentur politische Leitlinien festgelegt, zu denen unter anderen das Ziel der Klimaneutralität gehöre, die Verteilung der Kosten, die Digitalisierung und ausgeweitete Berichtspflichten, also mehr Transparenz.
Karsten Hilse von der AfD warf der Ampel, in Sonderheit den Grünen vor, gelogen zu haben, als man sagte, Deutschland habe kein Stromproblem - und daraufhin die noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke abschaltete. Jetzt fehle dem Land die gesicherte Leistung der AKW, weshalb Deutschland "zu Höchstpreisen" Strom importieren müsse, sagte Hilse. Die Energiewende nannte er einen "Irrsinn", begründet "mit der Lüge des menschengemachten Klimawandels." Den vorliegenden Gesetzentwurf lehne die AfD ab, er verstetige die Mangel- und Planwirtschaft im Energiebereich.
Linke fordert: Abschöpfen von Krisengewinnen nicht auslaufen lassen
FDP-Vertreter Konrad Stockmeier erinnerte die CDU/CSU-Abgeordneten daran, dass die Gesetzesnovelle nötig geworden sei, weil eine unionsgeführte Bundesregierung nicht in der Lage war, europäisches Recht sauber in deutsches Recht zu übertragen und damit das Vertragsverletzungsverfahren zu vermeiden. Und zum Stichwort "Gemischtwarenladen" entgegnete er dem Vorredner der Union, Helfrich: "Ja, wir ergreifen die Gelegenheit beim Schopf und schaffen einen weiteren wichtigen Baustein", um in der Energieversorgung die Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten zu verringern. Die FDP setze dabei stark auch auf die Weiterentwicklung von Speichertechnologien.
Ralph Lenkert (Linke) wünschte sich für die Zukunft gesunde Flüsse, kühle Wohnungen im Sommer und eine funktionierende und bezahlbare Energiewende. Dazu müsse die Regierung aber ins Nachdenken kommen und Soziales stärker berücksichtigen, zum Beispiel die Stromsteuer auch für Privathaushalte streichen und die Gewinnabschöpfung von Krisengewinnen großer Unternehmen nicht wie geplant auslaufen lassen.