Erneuerbare Energien : Jetzt geht's los - oder nicht?
Der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie soll beschleunigt werden, doch es gibt viele Hürden.
Mehr als 500 Seiten, zahlreiche Gesetzesänderungen, Dutzende Verordnungen, eine Einigung zum Artenschutz mit dem Umweltministerium und eine zu Dreh-, Funk-, Feuer und Wetterradaren mit dem Verkehrsministerium - Robert Habecks "Osterpaket", in rekordverdächtigem Eiltempo aufs Gleis gesetzt, ist ein großer Aufschlag - und doch nur ein Anfang.
Wie viel Nähe darf, wie viel Abstand muss sein? Vorschriften variieren je nach Bundesland. Geeignete Flächen für Windräder zu finden, bleibt schwierig.
Das weiß niemand besser als der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister selbst, der deshalb schon am nächsten, dem "Sommerpaket", arbeitet. Die radikale Energiewende weg von Öl, Gas, Kohle, hin zu Wind, Sonne, Biomasse, ist ein Jahrhundertprojekt - allerdings eines, dem die Zeit davonläuft. Bis 2030 sollen 80 Prozent der Stromerzeugung erneuerbar sein. Die deutschen CO2-Emissionen sollen bis 2030 gegenüber dem Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent sinken. Dafür hat Deutschland noch acht Jahre und sieben Monate Zeit. Das ambitioniert zu nennen, wäre eine Untertreibung.
Mit dem Zeitdruck ist eines der Probleme auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft benannt: In den vergangenen Jahren wurde zu wenig getan, um sich von fossilen Energien unabhängig zu machen. Der Ausbau von Wind- und Solarenergie in Deutschland kam unter der alten Bundesregierung kaum voran, 2021 sank der Anteil erneuerbarer Energien sogar.
Unabhängig von Versäumnissen der Vergangenheit, stehen die Ampelkoalitionäre aber auch im Hier und Jetzt vor immensen Herausforderungen.
Der größte Engpass für die Energiewende sind die fehlenden Flächen
Vielen gehen die Maßnahmen nicht weit genug, vielen gefällt nicht, dass man (vorerst) weiter auf fossile Energieträger zurückgreifen muss. Das Osterpaket schaffe es nicht, "den zentralen Widerspruch der deutschen Klima- und Energiepolitik dieser Tage aufzulösen", meint zum Beispiel Brick Medak, Klimaexperte der Denkfabrik E3G: Die Bundesregierung setze weiterhin auf "fragwürdige Alternativen wie LNG" - Flüssiggasimporte, etwa aus den USA.
Der größte Engpass für die Energiewende allerdings sind die fehlenden Flächen. Der Plan, dass die Länder zwei Prozent ihrer Fläche für Windenergie bereitstellen sollen, ist weiterhin umstritten. Da gibt es viel Diskussionsbedarf in den Bundesländern. In Bayern etwa ist der Knackpunkt die sogenannte 10H-Regel. Ein Windrad muss demnach mindestens zehn Mal so weit vom nächsten Wohngebäude entfernt gebaut werden, wie es hoch ist. Diese Regel hat den Ausbau der Windkraft in Bayern in den letzten Jahren quasi gestoppt. Jetzt hat die CSU-Landtagsfraktion für eine Lockerung der bisherigen Regeln gestimmt.
Neben Sonne und Wind an Land ist Wind auf See eine zentrale Säule beim Ausbau des Ökostroms. Aber auch auf See ist der Platz begrenzt. Bis 2045 soll die Windkraft in Nord- und Ostsee auf 70 Gigawatt ausgebaut werden. Eine "Herkulesaufgabe", sagt die-Präsidentin des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie, Karin Kammann-Klippstein, denn auch andere wollen die Meeresflächen nutzen. Zehn Prozent sollen für Naturschutzgebiete reserviert sein. Außerdem werden Meeresflächen von Landwirtschaft und Militär genutzt und es gibt die völkerrechtliche Pflicht, internationale Schifffahrtsstraßen offen zu halten. "Da gibt es Einschränkungen für die Bebauung durch Windparks."
Der Bundesverband der Windparkbetreiber für die Offshore-Windparks beklagt zudem die neue Mechanik bei Ausschreibungsverfahren: Aus Sicht der Betreiber lägen die Hürden für einen Markteintritt zu hoch.
Die Solarwirtschaft fordert bessere Investitionsbedingungen
Ähnliches gilt für die Solarenergie. Um die angestrebte Vervierfachung der jährlich installierten Photovoltaik-Leistung zu erreichen, seien sowohl für Gebäude als auch für Freiflächen verbesserte Investitionsbedingungen notwendig, die eine hinreichende Anzahl gewerblicher und privater PV-Investoren mobilisieren, argumentiert der Bundesverband Solarwirtschaft. Das Öko-Institut empfiehlt eine einmalige Anhebung der PV-Vergütungssätze um mindestens zwei Cent pro Kilowattstunde - und eine PV-Pflicht, die aber erst richtig wirksam sei, "wenn sie nicht nur im Neubau, sondern auch bei Dachsanierungen greift".
Hinzu kommt: Photovoltaik boomt - doch was wie eine Positivnachricht klingt, hat eine Kehrseite: Die hohe Nachfrage verdankt sich explodierender Energiepreise und Unsicherheiten durch die Ukraine-Krise. Und sie ist ein Grund, warum die Preise für Solarmodule innerhalb eines Jahres um rund zehn Prozent gestiegen sind. Ein anderer sind Lieferengpässe, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, die internationale Lieferketten ins Wanken brachten. Beides dürfte Habeck Sorgen bereiten, weil dadurch ein weiterer Bremsklotz beim Ausbau der erneuerbaren Energien droht.
Einmal vorausgesetzt, es gäbe hinreichend Flächen und Investoren - die Frage ist: Wer soll es machen? Wer soll die Anlagen aufbauen? Schon jetzt sind Fachhandwerker, die die Solarmodule auf Dächern und Windräder an Land und auf See installieren, häufig über Monate ausgebucht. Schon jetzt fehlen Energieberater und Experten für Wärmepumpen und alternative Heizungssysteme. Es könnten Deutschland bis zum Jahr 2030 rund fünf Millionen Fachkräfte fehlen, weil Hunderttausende mehr in den Ruhestand gehen, als Arbeitskräfte nachrücken, vermeldete das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Januar.. Der Fachkräftemangel könnte die Pläne des Wirtschaftsministers ernsthaft gefährden:
Es fehlt an Speichern
Die jährlich benötigte Energie hierzulande beläuft sich auf rund 3.400 Terawattstunden. Eine gewaltige Menge. Angesichts derer mancher Zweifel hegt, ob dieser Strom- und Wärmebedarf mit erneuerbaren Energien gedeckt werden kann, wenn doch Wind und Sonne nicht so verlässlich zur Verfügung stehen wie Kohle, Gas und Öl. "Es wird niemals möglich sein, eine zuverlässige Stromversorgung ausschließlich mit der unplanbaren Windenergie und Photovoltaik aufzubauen", sagt der Energieexperte Harald Schwarz von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Maximilian Fichtner vom Helmholtz-Institut Ulm hingegen ist sich sicher: "Das Problem der Leistungsschwankungen der Erneuerbaren ist lösbar". Energiespeicher und eine neue Architektur des Stromnetzes seien dafür notwendig. Noch aber sind Speicher, ein zentraler Baustein der Energiewende, Mangelware. Es gibt zahlreiche technologische Ansätze, aber vieles ist noch im Entwicklungsstadium.
Strom zu produzieren ist das eine, ihn zu transportieren ist das andere. Ökostrom ist zwar unbegrenzt verfügbar - aber nicht unbedingt zu den Zeiten und an den Orten, an denen grade viel Strom benötigt wird. Neue Stromtrassen müssen her. Beim Netzausbau aber haperte es in den vergangenen Jahren erheblich, der Widerstand betroffener Bürger war groß. Ein Ausbau der Erneuerbaren und die Abschaltung der Atom- und Kohlekraftwerke erfordern es allerdings, Strom über weite Strecken zu transportieren. Insbesondere der im Norden erzeugte Strom aus Windenergieanlagen muss zu den Verbrauchsschwerpunkten im Süden und Westen geleitet werden.
Die Deutsche Umwelthilfe fordert einen ökologischen Umbau in allen Sektoren
Für Umweltorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist es unverständlich, warum die Regierung bisher nur den Ökostromausbau angeht. Für die Klimaziele müsse alles mitgedacht werden: "Es ist eine klaffende Fehlstelle, dass weder für Gebäude noch für Verkehr Maßnahmen im Osterpaket enthalten sind - beide Sektoren haben im vergangenen Jahr ihre Klimaziele verfehlt", sagt Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH.
Die Stromproduktion ist nur einer von fünf Sektoren, in denen bis 2030 eine Menge passieren muss: Bei der Industrie, dem Verkehrssektor, dem Gebäudebereich und der Landwirtschaft geschah bisher wenig. Dazu braucht es aber den schnellen Zubau der erneuerbaren Energien. Die Industrie benötigt Alternativen zu Gas - Wasserstoff zum Beispiel, Autos brauchen Alternativen zu Benzin und Diesel - synthetische Kraftstoffe zum Beispiel, Häuser Alternativen zu Öl- und Gasheizungen - Wärmepumpen zum Beispiel.
Experten plädieren für mehr Bemühungen beim Energiesparen
Recht kurz gekommen ist bisher auch das Thema Effizienz, der Versuch, Energie zu sparen. Die Debatte darum, wo die Energie künftig herkommt, überlagert die Einsicht, dass der Kubikmeter Gas, der gar nicht verbraucht wird, der beste Kubikmeter Gas ist. "Grundsätzlich muss eine Lehre für die Politik aus dem nicht hinreichenden Klimaschutztempo und der kritischen Versorgungssituation sein, nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energien noch einmal deutlich zu forcieren", meint zum Beispiel Manfred Fischedick. Der Energieexperte und Professor an der Universität Wuppertal sagt: "Man muss auch die Bemühungen im Bereich Energieeinsparung und Energieeffizienz, vor allem auch Stromeffizienz - dies schließt energiebewusstes Verhalten, das heißt nicht-technische Maßnahmen, mit ein -, stärken, die in den vergangenen Jahren eher stiefmütterlich betrachtet worden sind."