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Interview zur Energiepolitik : "Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien"

Wird der Ausbau erneuerbarer Energien im europäischen Kontext gedacht, dann kann er eine Erfolgsstory werden, meint der FDP-Politiker Konrad Stockmeier.

16.05.2022
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Herr Stockmeier, Deutschland will seine Energieabhängigkeit von Russland möglichst schnell verringern und gleichzeitig den Klimaschutz voranbringen. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt werden, gegenüber jetzt gut 40 Prozent. Gleichzeitig brauchen aber Elektromobilität, Wärmepumpenheizung und elektrifizierte Prozesse in der Industrie mehr Strom. Die Kapazitäten müssen also vervielfacht werden. Kann das denn gelingen?

Konrad Stockmeier: Wir Freien Demokraten stehen klar zur Energiewende, zur Dekarbonisierung unserer Wirtschaft und damit auch unserer Energieerzeugung. Wir sind der festen Überzeugung, dass das marktgängig gelingen kann. Es ist eine große Herausforderung, die unser Land verändern wird und sich da und dort auch ganz konkret auf unsere Lebensweise auswirken wird. Sie ist durch zwei ganz starke Motive getrieben: Zum einen durch die Notwendigkeit, auf den Klimawandel adäquat zu reagieren und ihn einzudämmen. Zum anderen durch die Notwendigkeit, in der Energieversorgung unabhängig zu werden von autoritären Systemen, die uns und unserem freiheitlichen Gesellschaftsmodell gegenüber ein gewisses Erpressungspotenzial in der Hand haben. In dem Zusammenhang möchte ich an die Formulierung von Christian Lindner erinnern, dass es sich bei den regenerativen Energien um Freiheitsenergien handelt. Dabei ist uns Freien Demokraten auch ganz wichtig, dass wir diese Energiewende nicht nur in einem deutschen, sondern mindestens in einem europäischen Kontext denken.

Foto: picture alliance/Geisler-Fotopress | Jean MW/Geisler-Fotopress

Konrad Stockmeier (FDP) ist seit 2021 Abgeordneter im Deutschen Bundestag und Mitglied des Ausschusses für Klimaschutz und Energie.

Was ist darunter zu verstehen?

Konrad Stockmeier: Dass wir bei der Energiewende eng mit unseren Partnern in der EU zusammenarbeiten. Und selbstverständlich muss da an den Grenzen der EU keineswegs Schluss sein. Es ist ein Projekt, das Potenziale birgt, zu deren Realisierung wir auch Partner in anderen Regionen der Erde mit einbinden können und sollten.

Ein wesentlicher Bestandteil des Vorhabens ist der beschleunigte Ausbau der Windenergie. Aber selbst wenn wie geplant die Abstandsregeln gelockert werden, gibt es in unserem dichtbesiedelten Land überhaupt genügend Standorte für die erforderlichen Windstromanlagen?

Konrad Stockmeier: Auch diese Frage will ich nicht alleine im deutschen Kontext beantworten. Für Deutschland ist festzuhalten, dass bei der Energiewende die Bevölkerung mitgenommen werden muss. Das bedeutet auch, dass man Windkraftanlagen nicht beliebig nahe beispielsweise an Wohnbebauung errichtet. Es gehört übrigens auch dazu, dass wir die Errichtung von Onshore-Windanlagen nicht an Standorten übersubventionieren, an denen unter Effizienzgesichtspunkten einfach nicht genügend Wind weht. Wenn man sich mit Akteuren am Markt unterhält, werden ganz andere vielversprechende Möglichkeiten aufgezeigt, wie Offshore-Kapazitäten in der Ostsee in den Gewässern von EU-Partnerstaaten.

Sie denken also nicht nur an deutsche Küsten?

Konrad Stockmeier: Es hört sich an wie Zukunftsmusik, aber es ist sehr viel Dynamik im ganzen energiepolitischen Geschehen. Unter dem Gesichtspunkt, die Partnerschaft mit anderen EU-Ländern zu stärken, unter dem Gesichtspunkt, auch die Integration des EU-Strommarktes weiter voranzutreiben, sollten wir wirklich diesen europäischen Kontext ins Visier nehmen, auch um die Energiewende so kosteneffizient wie möglich zu realisieren. Das birgt auch ganz neue Exportmöglichkeiten für EU-Partnerstaaten, an deren Realisierung diese wirklich interessiert sein könnten. Und ich verweise gerne darauf und bin auch dankbar dafür, dass Robert Habeck als der verantwortliche Minister selbst gesagt hat, es könne nicht darum gehen, dass die Bundesrepublik energieautark wird, sondern dass die Energiewende auch in Kooperation mit unseren Partnern in der EU zu realisieren ist.


„Es ist aus staatspolitischer Verantwortung geboten, sich auf die Maßnahmen zu fokussieren, die wir auch wirklich gemeinsam realisieren können“
Konrad Stockmeier (FDP)

Ein Problem bei der Energiewende sind die Kapazitäten. Derzeitig ist es kaum möglich, kurzfristig Photovoltaik-Anlagen, Wärmepumpen und Ladestationen zu bekommen sowie Handwerker, die sie installieren. Wie soll da eine noch beschleunigte Energiewende auf die Rampe kommen?

Konrad Stockmeier: In der kurzen Frist sind diese Knappheiten tatsächlich vorhanden. Genau deswegen sollte man das ganze Projekt auch nicht überstürzt angehen. Man kann die Produktionskapazitäten und auch die Men-and-Women-Power, um die Anlagen zu installieren, in der kurzen Zeit nicht beliebig erhöhen. In der mittleren und längeren Frist sind Unternehmen und Handwerker aber durchaus so flexibel, auf eine sich ändernde Nachfrage zu reagieren. Wenn wir es nicht überstürzen, nehmen wir vor allem auch Preisdruck aus dem Markt. Wenn sich jetzt zu viel Nachfrage zu schnell entfaltet, wird das gar nicht dazu führen, dass mehr Anlagen installiert werden, sondern nur die Preise für die Anlagen in die Höhe treiben.

Ursprünglich sollte ja vermehrt Gas zur Stromerzeugung eingesetzt werden als Brücke zwischen Atom- und Kohleausstieg und vollständigem Ausbau der Erneuerbaren. Sollten jetzt, nach Putins Großangriff auf die Ukraine, Atom und Kohle doch länger genutzt werden, als Brücke für den Gasausstieg?

Konrad Stockmeier: Bei der Kohleverstromung werden wir einen Anstieg sehen, da hat die Bundesregierung ja bereits erste Maßnahmen in die Wege geleitet. Beim Atomstrom muss man sich unter anderem sehr genau die Beschaffungssituation für Uranerz und auch für Brennelemente ansehen. Die bedeutendsten Anbieter auf diesem Markt sind Russland, Belarus und Kasachstan. Es kann ja niemand ernsthaft beabsichtigen, sich von russischem Gas unabhängiger zu machen, nur um dann abhängig zu werden von Uran und Brennelementen aus Russland und einigen seiner engen Partnerstaaten. Frankreich bezieht erhebliche Anteile seines Urans aus Minen in Afrika, von denen sich etliche in chinesischem Besitz befinden. Da würde man sich auch in neue fragwürdige Abhängigkeiten begeben. Des Weiteren werden als Anbieterländer oft auch Australien und Kanada ins Feld geführt. Da bliebe abzuklären, ob die überhaupt bereit sind, nach Europa zu liefern. Zudem besteht die Aufgabe darin, die Versorgung mit Energie so sicherzustellen und von Russland unabhängig zu werden, dass das in der Ampelkoalition zustimmungsfähig ist. Da sehe ich auf Seiten der Grünen kaum eine Bereitschaft, die Laufzeit der Kernkraftwerke zu verlängern. Insofern ist es aus staatspolitischer Verantwortung geboten, sich auf die Maßnahmen zu fokussieren, die wir auch wirklich gemeinsam realisieren können.

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Noch eine sehr grundsätzliche Frage: Im Erneuerbare Energien Gesetz heißt es, Energiesicherheit sei zu einer Frage der nationalen und europäischen Sicherheit geworden. War sie das nicht eigentlich schon immer, man wollte nur nichts davon wissen?

Konrad Stockmeier: Man wollte auch schon immer was davon wissen. Aber unterschiedliche politische Akteure haben die Frage, wie die Sicherheit der Versorgung Deutschlands mit Energie zu gewährleisten ist, unterschiedlich beantwortet. Ich will mich als Neuling im Parlament nicht so sehr damit beschäftigen, verschiedenen Akteuren Schuld zuzuweisen. Ich denke, für alle, die sich ernsthaft damit befassen, ist jetzt noch einmal schlagartig klar geworden, dass in Zukunft starke Abhängigkeiten von einzelnen Energielieferanten unbedingt zu vermeiden sind. Erneuerbare Energien sind in der Tat Freiheitsenergien. Und wenn wir deren Ausbau nicht deutsch denken, sondern auf Ebene der Europäischen Union vorantreiben und das zusammen mit Partnern auch außerhalb der EU tun, die unsere Werte teilen, kann er eine Erfolgsstory werden. Das bedarf einiger Anstrengungen, aber es ist diese Anstrengungen wert.