Atomausstieg : Minister dementiert im Bundestag Vorwurf der Täuschung
Nach der Veröffentlichung von internen Vermerken aus dem Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nimmt Robert Habeck im Ausschuss Stellung.
Nach den Vorwürfen der Vetternwirtschaft hat ein weiterer vermeintlicher "Skandal" aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz um den ehemaligen Staatssekretär von Bundesminister Robert Habeck (Bündnis 90/die Grünen), Patrick Graichen, den Bundestag erreicht. Der Vorwurf lautet, die Regierung habe bei den Überlegungen zur Laufzeitverlängerung der drei am Netz verbliebenen Atomkraftwerke für die Entscheidung wichtige Informationen unterschlagen und damit die Debatte politisch manipuliert.
Bundesminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) am Freitagmorgen nach der Sondersitzung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie im Bundestag.
Auslöser war ein Bericht des Magazins "Cicero". Demnach sollen sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr 2022 interne Bedenken zum damals noch für den folgenden Jahreswechsel geplanten Atomausstieg unterdrückt worden sein. Wichtige Informationen hätten Habeck nicht erreicht.
Sondersitzungen derAusschüsse als Reaktion auf die Vorwürfe
"Cicero" hatte zuvor auf die Herausgabe von Unterlagen geklagt, die belegen sollen, dass der Minister eine über die beschlossenen drei Monate hinausgehende Verlängerung des AKW-Betriebs in Deutschland klar abgelehnt hatte, obwohl Fachleute im Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz auch zu anderen Ergebnissen gekommen waren. Als Reaktion auf die Vorwürfe setzten die Ausschüsse für Klimaschutz und Energie und für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz am Freitagmorgen Sondersitzungen an, an denen jeweils die zuständigen Minister Habeck und Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) teilnahmen. Im Ausschuss für Klimaschutz und Energie wurde von den Abgeordneten einstimmig beschlossen, die Sitzung öffentlich abzuhalten, die Sitzung des Umweltausschusses blieb nichtöffentlich.
"Es ist unwahr, dass Vermerke ins Gegenteil verkehrt wurden", sagte Habeck am Freitagmorgen im Bundestag. Die "Bild" hatte am Donnerstag aus Unterlagen zitiert, dass die zuständigen Fachleute im Umweltministerium am 1. März 2022 schrieben, dass ein AKW-Weiterbetrieb mit der "nuklearen Sicherheit" vereinbar sei.
Zwei Tage später habe der Abteilungsleiter Gerrit Niehaus laut dem Springer-Medium den Satz einfach umgedreht: Längere AKW-Laufzeiten seien "aus Gründen der nuklearen Sicherheit" abzulehnen. Danach seien die betreffenden Vermerke an Habecks damaligen Staatssekretär Patrick Graichen gegangen, der sein Fazit - "Eine Laufzeitverlängerung nicht zu empfehlen" - an den Minister weitergegeben habe.
In einigen Medien wurde nun davon gesprochen, Habeck und sein Ministerium hätten beim Atomausstieg "getäuscht". Der Minister sagte im Ausschuss, sein Haus habe immer alle Optionen geprüft, die vorliegenden Informationen seien ständig, bereits vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 und danach, auf die sich ändernden Umstände hin überprüft worden.
Beschaffung neuer Brennelemente hätte 18 Monate gedauert
Vor dem Ausschuss legte Habeck die zeitlichen Abläufe der Gespräche mit den AKW-Betreibern Eon, RWE und EnBW dar, deren einstimmige Analysen damals zu dem Ergebnis gekommen waren, dass die Brennelemente in den Meilern auf absehbare Zeit verbraucht sein würden; eine Beschaffung neuer Brennelemente hätte nach Angaben der Unternehmen 18 Monate gedauert. Ein Weiterbetrieb über den avisierten Streckbetrieb hinaus wäre zu diesem Zeitpunkt nach Einschätzung der Betreiber nicht umsetzbar gewesen, sagte Habeck. Erst später sei dann vom Betreiber Eon die Information gekommen, dass die AKW doch länger im Streckbetrieb laufen könnten. Auf die Frage aus der Unionsfraktion, wann der Minister von dem strittigen Vermerk erfahren habe, antwortet Habeck am Freitag: "Gestern."
Am Donnerstag waren die Vorwürfe durch die Berichterstattung von "Cicero" und "Bild"-Zeitung öffentlich geworden. "Es war ausdrücklich mein Wunsch, alle Varianten des Ausstiegs zu prüfen", so Habeck über die damaligen Beratungen. Das sei auch passiert, es habe in seinem Haus kein Diskussionsverbot gegeben. "Die Akten erzählen, wenn man sie genau und unparteiisch prüft, dass ergebnisoffen diskutiert wurde", sagte der Minister. Die Antwort sei zu dem Zeitpunkt der Entscheidung gewesen, dass die AKW-Betreiber keine Ressourcen haben. Die Frage eines Weiterbetriebes habe deshalb nur eine in der Theorie bleiben können.
Wirtschafts- und Umweltministerium hatten sich im März 2002 in einem Prüfvermerk gegen eine Laufzeitverlängerung ausgesprochen. Beide Ministerien hatten geprüft, ob und inwiefern eine Verlängerung - angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und der aktuell hohen Importabhängigkeit von Russland - zur Energiesicherheit beitragen würde. Später war der Betrieb von drei Atomkraftwerken zur Sicherung der Stromversorgung doch noch bis Mitte April 2023 verlängert worden.
Im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sagte Ministerin Lemke, dass ihr Haus die Verlängerung der Laufzeiten geprüft und mit den Betreibern gesprochen habe, diese Vorgänge seien "transparent" verlaufen. Bei den Beratungen hätten Überlegungen im Vordergrund gestanden, ob der weitere Einsatz von Hochrisikotechnologie vertretbar sei, so Lemke.
Union glaubt, die Entscheidung sei schon vor der Prüfung gefallen
Das Thema schlug am Freitag auch im Plenum auf. "Es wurde vieles in der Debatte um den Ausstieg unzureichend aufklärt, sagte der Unionsabgeordnete Andreas Lenz bei der Debatte zum Solarpaket nach den beiden Sitzungen. "Es dränge sich der Eindruck auf, dass eben keine ergebnisoffene Diskussion erfolgt sei und das Informationen selektiv gewertet worden seien", so Lenz. Es spreche vieles dafür, dass die Entscheidung, die Laufzeiten nicht zu verlängern, schon vorher festgestanden habe.
Die Atomkraft sei kein Rezept für die Energieversorgung Deutschlands, entgegnete die Sozialdemokratin Nina Scheer in ihrer Rede auf Lenz. Doch anscheinend sei die Unionsfraktion der Meinung, die eigentliche Debatte über Solarenergie mit ihren Äußerungen zum Atomkraft-Ausstieg verdrängen zu wollen. Nach Redaktionsschluss diskutierten die Abgeordneten zudem zwei AfD-Anträge zum Ausbau der Kernenergie und zur europäischen Nuklearallianz.