Gastkommentare : Pro und Contra: Stopp für Nord Stream 2?
Sollte Deutschland der Ostseepipeline Nord Stream 2 die Betriebsgenehmigung versagen? Christoph von Marschall hält das für eine gute Idee, Wolfgang Mulke nicht.
Pro
Keine Genehmigung
Die deutsch-russische Gaspipeline belastet die deutsche Europapolitik. Die Mehrheit der EU-Partner lehnt das Projekt ab. Denn die Abhängigkeit von Russland - rund die Hälfte des deutschen Gasverbrauchs - mache die Bundesregierung erpressbar. Die Transportkapazität sei auch ohne die neue Röhre ausreichend. Aus Sicht der Kritiker ist Nord Stream 2 für Moskau ein geostrategischer Hebel, um die Ukraine gefügig zu machen. Sowie Druck auf Deutschland und die EU auszuüben.
Die Grünen haben die Pipeline schon lange bekämpft. Nun werden sie Teil der Regierung. Stoppen lässt sich der Bau nicht mehr. Jetzt geht es um die Betriebsgenehmigung oder deren Verweigerung. Maßgeblich dafür sind auch die Auflagen der EU-Gasrichtlinie. Demnach darf ein Konzern - hier Gazprom - nicht beides zugleich sein: Betreiber und Lieferant. Annalena Baerbock, Noch-Parteichefin und potenzielle Außenministerin, verlangt, dass diese Auflagen bei der Prüfung der Betriebsgenehmigung genau beachtet werden.
Das bedeutet nach heutigem Stand: ein Stopp der Pipeline durch ein Nein zur Inbetriebnahme. Russland und Gazprom zeigen keine Bereitschaft, die Bedingungen zu erfüllen. Offenbar meint Wladimir Putin, er könne die Genehmigung auch ohne Beachtung des Europarechts bekommen. Er übt Druck aus. Oder ist es Zufall, dass strategische Gasspeicher in Deutschland, die Gazprom kürzlich übernommen hat, nicht wie früher üblich gut gefüllt sind? Und dass der Gaspreis steigt, auch weil Russland weniger Gas liefert, als es könnte? Putin nutzt Deutschlands hohe Abhängigkeit von russischem Gas als Hebel, um diese Abhängigkeit noch zu erhöhen. Unter diesen Bedingungen darf Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen.
Contra
Spieß umdrehen
Tatsächlich hat sich Deutschland mit dem Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 in eine schwierige Situation gebracht. Freunde sind verärgert und der Geschäftspartner Russland nutzt seinen Rohstoff Gas, um notfalls mit einer faktischen Erpressung seine geopolitischen Ziele durchzusetzen. Es gibt gute Gründe, das Projekt doch wieder zu begraben. Es gibt aber bessere Gründe, daran festzuhalten.
Rein ökonomische Gründe spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Dennoch wäre es eine grandiose Verschwendung, wenn die fast zehn Milliarden Euro für den Bau und die Finanzierung der Anlage auf dem Meeresgrund versanden sollten. Wichtiger sind die Argumente für die Gaslieferungen aus Russland. Die aktuelle Lage zeigt, wie abhängig Deutschland von den Lieferungen ist. Zu hohe Energiekosten können schnell zu wirtschaftlichen wie politischen Probleme führen und die notwendige Akzeptanz für die Abkehr von der Kohle schmälern. Die Strategie muss also dahin zielen, für die Übergangszeit, in der man noch auf Gas als Energielieferant setzen muss, alternative Beschaffungswege einzurichten, etwa Terminals für Gastransporte aus westlichen Ländern.
Wenn es diese Alternativen gibt, sinkt auch zwangsläufig das politische Erpressungspotenzial Russlands. Das ist eine notwendige Basis für eine langfristige Verbesserung der Beziehungen. Und es muss ein Ziel sein, an die Stelle einer anhaltenden Eskalation der Konflikte zwischen der Supermacht im Osten, seinen Nachbarn und der EU eine verlässliche Koexistenz zu entwickeln. Unabhängig wird Deutschland aber erst, wenn es ausreichend erneuerbare Energien gibt. Bis dahin gibt es keine wirklich saubere Lösung des Problems.