Bergbau auf hoher See : Schatz in der Tiefe
Forscher und Unternehmen interessieren sich für Rohstoffe am Meeresboden. Umweltschützer warnen vor irreparablen Schäden in dem sensiblen Ökosystem der Tiefsee.
Eigentlich sollte ein Erbe Anlass zur Freude sein. Aber die Erfahrung zeigt, der Nachlass wird selten ohne Streitereien verteilt. Das ist erwartungsgemäß nicht anders, wenn über ein Erbe verhandelt wird, das mehrere Tausend Meter unter der Wasseroberfläche liegt und für das es ungefähr acht Milliarden potenzielle Anwärter gibt. Denn wer die Manganknollen, Kobaltkrusten und Massivsulfide der Tiefsee abbauen darf, mit welchen Regeln und ob dieses "Erbe der Menschheit" überhaupt angetastet werden sollte, darüber gibt es heftige Auseinandersetzungen.
Dass in der Tiefsee, weit draußen auf dem Ozean, ein wertvoller Schatz liegt, ist schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Erste Abbaupläne waren in den 1960er und 1970er Jahren so konkret, dass sie den US-Amerikanern 1974 sogar als Feigenblatt dienten, um ein gesunkenes sowjetisches Atom-U-Boot auszuspionieren. Tatsächlich aber gab es damals keine ernsthaften Unternehmungen, den Schatz zu bergen. Er lag schlichtweg zu tief, zu weit weg und in unwirtlichen Gefilden.
Pro Quadratmeter etwa 15 Kilo Manganknollen im größten potenziellen Abbaugebiet
Und heute? Angesichts des enormem technologischen Fortschritts, der geopolitischen Krisen und des Rohstoffbedarfs für die Energiewende stellt sich die Frage nach einer Ausbeutung der Tiefsee-Rohstoffe noch einmal neu. In der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ), dem weltweit größten potenziellen Abbaugebiet im Pazifik, lagern pro Quadratmeter etwa 15 Kilogramm Manganknollen. Interessant daran ist nicht nur das Mangan, das ein Viertel des Gewichts ausmacht, sondern auch die geringeren Anteile an Nickel, Kupfer, Kobalt sowie winzige Mengen an wertvollen Metallen, die für grüne Technologien von Bedeutung sind.
Manganknollen in den Tiefen der Ozeane bergen verschiedene wertvolle Metalle, die für grüne Technologien von Bedeutung sind.
Konservativ geschätzt gehe man davon aus, dass allein in der CCZ dreimal mehr Nickel und fünfmal mehr an Kobalt lagert, als in allen wirtschaftlich abbaubaren Landvorkommen zusammen, heißt es in einem Factsheet des Kieler Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung, Geomar. Allerdings müssten für eine wirtschaftliche Förderung pro Jahr 200 bis 300 Quadratkilometer geerntet werden. Das wäre mindestens die Fläche Stuttgarts.
Abbauregeln für den Tiefseebergbau nötig
Doch für einen Abschied vom fossilen Zeitalter und den Aufbau von regenerativen Energien sowie E-Mobilität könnten die seit Jahrmillionen in der Tiefsee lagernden Rohstoffe wie Kobalt oder Nickel von großer Bedeutung sein. Zudem, argumentieren Befürworter des Tiefseebergbaus, ist der Bergbau an Land ökologisch auch nicht vorteilhaft. Im Gegenteil. Giftige Abraumhalden, vertriebene Bewohner und verseuchtes Wasser gehören in vielen Landminen zum Alltagsgeschäft.
Länder wie Norwegen, China oder Mexiko wollen mit dem Tiefseebergbau daher lieber heute als morgen beginnen. Das kanadische Unternehmen "The Metals Company" (TMC) etwa hat bereits Abbau-Tests durchgeführt. Doch um wirklich loslegen zu können, müsste sich die Internationale Meeresbodenbehörde ISA auf Abbauregeln für den Tiefseebergbau verständigen, wie es im 1982 geschlossenen Internationalen Seerechtsübereinkommen vorgesehen ist. Dafür müssen unzählige Detailfragen geklärt werden: Wie und mit welchen Schutzkonzepten darf abgebaut werden? Wer kommt für Folgeschäden auf? Welche Beträge sind für den Verbrauch des "Menschheitserbes" an die ISA zu zahlen?
Fertigstellung des Regelwerks bis 2025 angestrebt
Unternehmen wie TMC dauern die Verhandlungen zu diesem Regelwerk viel zu lange. Gemeinsam mit dem winzigen Inselstaat Nauru, der für das Unternehmen als obligatorische Partnernation bereitsteht, hat TMC vor zwei Jahren einen ebenso mächtigen wie umstrittenen Hebel des Seerechtsübereinkommens betätigt: Nauru berief sich im Juli 2021 auf die sogenannte "Zwei-Jahres-Regel" und beantragte bei der Internationalen Meeresbodenbehörde ISA, dass die Regeln für den Tiefseebergbau innerhalb von zwei Jahren beschlossen werden müssen.
Die Juli-Sitzung der ISA in Jamaika war nun die erste nach Fristablauf und wurde daher mit Spannung erwartet. Denn schon Anfang 2023 zeichnete sich ab, dass die Regeln nicht innerhalb der Frist fertig sein würden. "Es waren wirklich sehr lange und sehr harte Verhandlungen", berichtet Pradeep Singh vom Potsdamer Research Institute for Sustainability (RIFS), der in Jamaika dabei war. "Ursprünglich gab es einen ersten Entwurf, der den Juli 2024 als feste Frist für ein fertiges Regelwerk vorsah", berichtet er. Doch am Ende einigte man sich auf eine wesentlich weichere Formulierung: Es solle eine Fertigstellung bis 2025 angestrebt werden. TMC gab daraufhin bekannt, einen Abbauantrag dennoch 2024 bei der ISA einreichen zu wollen.
Bundesregierung: Zu wenig Wissen über die Meeresumwelt in der Tiefe
Genehmigen kann die ISA diesen Antrag unter den jetzigen Voraussetzungen nicht, wenngleich die Rechtslage alles andere als klar und der Spielraum für Interpretationen groß ist. Hinzu kommt, dass der Sekretär der ISA, Michael Lodge, als bergbaufreundlich gilt, ebenso wie die Fachkommissionen, in denen das Regelwerk erarbeitet werde soll. Im Rat hingegen, der die Regeln am Ende genehmigen muss, sitzen auch Mitgliedsländer, die ein Moratorium für den Tiefseebergbau fordern - und es wurden zuletzt mehr. Neben Frankreich und Deutschland sprachen sich noch 19 weitere Länder für eine vorsorgliche Pause beim Tiefseebergbau aus - zuletzt sogar Bergbau-Nationen wie Brasilien oder Kanada. Der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Sebastian Unger, wertet das insgesamt als Erfolg: "Es hat bei dieser Sitzung ganz klar kein grünes Licht für den Tiefseebergbau gegeben."
Die Bundesregierung argumentiert wie andere Länder vor allem mit den Schäden, die beim Abbau von Rohstoffen in dem sensiblen Ökosystem der Tiefsee entstehen würden. "Zum einen wissen wir viel zu wenig über die Meeresumwelt in der Tiefsee", sagt Unger. "Zum anderen sehen wir aber bei jenen Lebensräumen, die wir schon besser erforscht haben, große Risiken durch den Bergbau - bis hin zum möglichen Aussterben von Arten." Das europäische Forschungsprojekt "MiningImpact" etwa hatte herausgefunden, dass die ökologische Vielfalt in der Tiefsee vor allem dort besonders hoch ist, wo viele Manganknollen auf dem Meeresboden liegen: Schlangensterne, Seeanemonen, Seeigel, Schwämme oder Seegurken sind hier zu Hause. "Die Spuren des Tiefseebergbaus werden wir auch noch in ein paar Jahrhunderten und Jahrtausenden sehen", sagt Matthias Haeckel vom Geomar. Denn die Uhren ticken in der Tiefsee anders. Es gibt dort Kraken, die vier Jahre ihre Eier bebrüten.
Ungewiss, ob sich Bergbau in der Tiefe lohnt
Auch die Manganknollen wachsen in einer Million Jahre nur wenige Millimeter. Der Mensch mit seinem Wunsch nach schnellem Wachstum könnte hier fehl am Platze sein. Denn erneuerbar oder nachwachsend ist in der Tiefsee - zumindest nach menschlichen Maßstäben - nichts.
"Wir befinden uns in einer Situation, in der wir etwas Schlechtes gegen Schlimmeres eintauschen könnten", warnt die australische Bergbau-Expertin Eleonore Lèbre. "Wenn der Tiefseebergbau plötzlich all diese neuen Metalle auf den Markt bringt, dann sinken die Preise, weil es einfach zu viel Angebot gibt." Eine Mine aber, die kein Geld habe, sei noch schlimmer, weil sie aufhöre, soziale und ökologische Faktoren zu berücksichtigen, meint die Forscherin der Universität Queensland. Noch entscheidender als all die ökologischen oder sozialen Faktoren, entscheidender als die ewig brütende Tiefseekrake, könnte am Ende die Bilanz sein. Denn auch heute noch gibt es Zweifel daran, dass sich der Bergbau in ein paar Tausend Metern Wassertiefe tatsächlich lohnt.
Der Investor und Tiefsee-Abenteurer Victor Vescovo etwa ist skeptisch. Die gut sieben Milliarden Dollar, die TMC an Kosten für den Abbau einplane, seien lächerlich, zitiert Bloomberg Vescovo. Die Aktie des Unternehmen, die nach einem Start von zwölf Euro im Jahr 2021 nun zwischen einem und zwei Euro dümpelt, scheint diese These zu stützen. Zuletzt stieß auch der dänische Reeder-Gigant Maersk seine Anteile an TMC komplett ab.
Öko-Institut: Entscheidung nicht überstürzen
Neben den großen finanziellen Risiken, die ein Abbau birgt, ist auch die Nachfrage nach den Metallen derzeit alles andere als gewiss. Neue Technologien bei der Batterieentwicklung, die mit billigen, allgegenwärtigen Ressourcen wie Eisen, Schwefel oder Natrium auskommen, werden immer ausgereifter.
"Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass die Batterien der Elektroautos ohne Kobalt und Nickel gebaut werden können", sagt Andreas Manhart vom Öko-Institut in Freiburg. "Es gibt uns eigentlich Zeit, in Ruhe darüber nachzudenken, was die Folgen des Abbaus wären und diese Entscheidung nicht zu überstürzen."
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Die Autorin ist Wissenschaftsjournalistin.