Folgen des Krieges für die Energieversorgung : "Wir müssen Putin-frei werden"
Die Union fordert ein Konzept für mehr Unabhängigkeit von russischen Energieimporten. Die Koalition betont, der Weg dahin führe nicht über Atom- oder Kohleenergie.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei seinem Besuch der VNG Gasspeicher. Mit der unterirdischen Wasserstoffspeicherung in Salzkavernen soll ein Speicher für grünen Wasserstoff entstehen.
Wenn die Regierung könnte, wie sie wollte, würde sie vermutlich eher früher als später auf alle Energieimporte aus Russland verzichten. Die Regierung kann aber nicht, wie sie will. Weil Deutschland abhängig ist. Abhängig von russischem Gas, Öl und Kohle. Und weil die Verwerfungen hierzulande verheerend sein könnten, verzichtet Deutschland auf ein Embargo gegen Russland. Der Moment der Einsicht deutscher Politik in die beschränkten eigenen Handlungsmöglichkeiten war der Moment, in dem hierzulande die Erkenntnis wuchs: Energiepolitik ist Sicherheits-, ist Geo-, ist Machtpolitik.
Und weil das so ist, stellte Jens Spahn (CDU) am Donnerstag in der Bundestagsaussprache zum Antrag der CDU/CSU-Fraktion unter dem Titel "Für eine sichere, bezahlbare und souveräne Energieversorgung" fest: "Wir müssen Putin-frei werden" in der Energieversorgung. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine markiere eine außen- und sicherheitspolitische Zeitenwende, er bedeute aber auch eine große energiepolitische Herausforderung: "Sicherheit sowie Souveränität in der Versorgung, Klimaschutz und Kosteneindämmung bei extrem gestiegenen Energiepreisen." In dieser Situation müsse die Regierung schnell handeln, forderte Spahn: "Tun Sie was!"
Union fordert Plan für den Fall eines russischen Lieferstopps
Der Forderungskatalog der Unionsabgeordneten umfasse drei Komponenten, sagte Spahn: Die Zukunft der Gasversorgung, ein Sicherheitskonzept für die Stromversorgung und Maßnahmen zur Abfederung der Kostenexplosion bei den Energiepreisen. Konkret forderte Spahn einen schlüssigen Plan der Bundesregierung, was man tun könne, wenn Russland alle Lieferungen einstelle; wie ein Ende von Gasimporten über die Pipeline Nord Stream 1 ermöglicht werden könne und wie man sich langfristig von Russlands Lieferungen unabhängig machen wolle.

So will die Regierung die extreme Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland überwinden. Erdgas-Versorgung: Die offene Flanke der Versorgung
Deutschland setzt auf russisches Gas. Der größte Speicher gehört dem russischen Konzern Gazprom.

Der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie soll beschleunigt werden, doch es gibt viele Hürden.
Mit Blick auf die Stromversorgung macht sich die Union stark für eine ergebnisoffene und ideologiefreie Prüfung längerer Laufzeiten von Atom- und den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken. Dem erteilte Nina Scheer (SPD) eine Absage. Sie strich heraus, dass aus Sicht der Ampelkoalition die Zukunft nicht der Atom- oder Kohleenergie gehöre, sondern die Erneuerbaren den Weg wiesen in eine günstigere, sicherere und von Russland wie auch ossilen Energieträgern unabhängige Zukunft. "Sie haben in Ihrer Rede kein einziges Mal das Wort erneuerbare Energien in den Mund genommen", warf sie Spahn vor.
Sind Atom und Kohle eine Dauerlösung?
Karsten Hilse (AfD) erklärte, die AfD-Fraktion schließe sich zwar der Forderung nach längeren Laufzeiten für Atom- und Kohlekraftwerke an, aber nicht nur als vorübergehende, sondern als mögliche Dauer-Lösung. Dem vorgelegten Antrag werde man dennoch nicht zustimmen, weil er "jede Menge Klimagedöns" enthalte.
Grünenpolitikerin Julia Verlinden hielt dem früheren Bundesgesundheitsminister Spahn vor, die Vorgängerregierung habe 16 Jahre, genauer: 5168 Tage Zeit gehabt, um Deutschland auf den Weg der Energiesicherheit und -Souveränität zu bringen: "Das haben Sie gründlich versemmelt." Hohe Preise und starke Abhängigkeiten seien das Ergebnis der Politik der vorigen Koalition, die den Ausbau der Windenergie blockiert und die Photovoltaik-Industrie aus dem Land getrieben habe.
„Wir haben uns in der Vergangenheit nicht gut genug auf krisenhafte Situationen vorbereitet.“
Gesine Lötzsch (Linke) warf Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck vor, bei der Entlastung von Bürgern und Bürgerinnen zu wenig von Spielräumen Gebrauch zu machen, die das EU-Recht durchaus eröffne, wie das Abschöpfen übergroßer Unternehmensgewinne oder die Festlegung eines Strompreises in Krisensituationen.
Michael Kruse stellte für die FDP-Fraktion fest, "unsere Wirtschaftspolitik muss in diesen Zeiten Freiheitspolitik sein; unsere Energiepolitik muss Friedenspolitik sein."
Gasspeicher sollen bis auf 90 Prozent zum 1. Dezember 2022 gefüllt werden
Mit Fragen der Energieversorgungssicherheit befasste sich der Bundestag in der vergangen Woche mehrfach. Der Antrag der AfD-Fraktion "Keine Abschaltung von Kernkraftwerken - Erst recht nicht in einer neuen Realität", wurde am Mittwoch erstmals beraten und im Anschluss an den Ausschuss für Energie zur federführenden Beratung überwiesen. Dort wird auch der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP "zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes zur Einführung von Füllstandsvorgaben für Gasspeicheranlagen" weiter beraten, der am Donnerstag nach erster Lesung überwiesen wurde. Bereits in dieser Woche soll die Vorlage beschlossen werden. In der Debatte dazu hatte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) festgestellt: "Wir haben uns in der Vergangenheit nicht gut genug auf krisenhafte Situationen vorbereitet". Das solle sich ändern.
Die von der Ampel-Koalition geplanten neuen Vorgaben sollen die Gasversorgung sichern und Preisausschläge eindämmen. Nach Habecks Vorstellungen sollen sie am 1. Mai in Kraft treten. Konkret soll der sogenannte Marktgebietsverantwortliche, eine Tochtergesellschaft aller Gaspipeline-Betreiber in Deutschland, verpflichtet werden, die Gasspeicher schrittweise bis auf 90 Prozent zum 1. Dezember 2022 zu füllen. Zum 1. August soll der Füllstand 65 Prozent erreichen, zum 1. Oktober 80 Prozent. Nutzer, die ihre gebuchten Speicherkapazitäten nicht nutzen, sollen sie verlieren.
Der russische Staatskonzern Gazprom betreibt über eine Tochtergesellschaft zwei Speicher in Deutschland. Ralph Lenkert von der Linken warf Gazprom eine "hinterhältige Preispolitik" und ein bewusstes Herunterfahren der Füllmengen von Speichern vor dem Winter vor und forderte mehr staatliche Kontrolle im Energiesektor.