Interview zu Bargeld und Digitalwährung : "Die Pläne für die Einführung eines digitalen Euro sind verfrüht"
EU-Kommission und EZB planen eine digitale Form des Euro. Henning Vöpel, Chef der Denkfabrik "Centrum für Europäische Politik", zweifelt am Nutzen des Projekts.
Herr Vöpel, EU-Kommission sowie Europäische Zentralbank (EZB) und Deutsche Bundesbank sprechen sich für die Einführung eines digitalen Euro aus. Der Finanzausschuss des Bundestags hat dazu am Montag eine öffentliche Anhörung durchgeführt. Warum brauchen wir den digitalen Euro?
Henning Vöpel: Das ist die Kardinalfrage. Sie ist nicht so leicht zu beantworten. Nicht wenige Experten sind ja der Meinung, man brauche den digitalen Euro nicht, er bringe keine wirkliche Innovation. Das stimmt wohl auch, wenn man sich die klassischen Funktionen von Geld vor Augen führt: Wertaufbewahrung, Recheneinheit und Zahlungsmittel. All diese Funktionen können Bargeld und die bestehenden privaten digitalen Angebote der Banken erfüllen, wie Überweisungen oder Kreditkarten oder andere digitale Zahlungssysteme.
Welchen Vorteil hätten die Bürger von einem digitalen Euro aus Ihrer Sicht?
Henning Vöpel: Es gibt keinen unmittelbaren Vorteil. Man kann all das, was man mit dem digitalen Euro tun könnte, auch heute schon tun. Die nun von der Kommission und der EZB angetriebene Implementierung eines digitalen Euro ist in erster Linie getrieben von der Aussicht, die Geldpolitik technologisch effizienter umzusetzen und außerdem neue Möglichkeiten zu gewinnen. Mit dem digitalen Euro könnte man zum Beispiel Negativzinsen direkt umsetzen. Die Transmission der Geldpolitik wäre direkter, besser zu kontrollieren und feiner zu steuern. Und man könnte Einfluss gewinnen auf die Zahlungsmärkte und die Geldversorgung, gerade auch vor dem Hintergrund der abnehmenden Bedeutung von Bargeld.
Sollten EU und EZB das Projekt des digitalen Euro nun also stoppen, wenn kein direkter Nutzen ersichtlich ist?
Henning Vöpel: Nicht stoppen, denn es gibt auch eine andere Seite. Weltweit sehen wir, dass sich Zentralbanken mit neuen Technologien befassen. Das betrifft beispielsweise Krypto- und Blockchain-Technologien, die zu entsprechenden digitalen Währungen und Anlagemöglichkeiten führen können. Der europäische Gesetzgeber und die EZB wollen diesen Zug natürlich nicht verpassen, nicht den Anschluss verlieren etwa im Vergleich zu China, wo ein digitaler Renminbi einsatzbereit ist.
Was EU-Kommission und EZB planen
📜 Verordnung vorgeschlagen: Am 28. Juni 2023 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine europäische Verordnung für die Einführung eines digitalen Euro vorgelegt. Gedacht ist der digitale Euro als "Ergänzung zu Bargeld", heißt es auf der Internetseite der EU-Kommission in Deutschland.
💻 Regelwerk wird ausgearbeitet: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im November 2023 damit begonnen, die Grundlagen für eine mögliche Ausgabe eines digitalen Euro zu schaffen. In der Vorbereitungsphase gehe es beispielsweise darum, das Regelwerk für den digitalen Euro zu schaffen..
📲 Funktionsweise unklar: Noch ist nicht ganz klar, wie ein digitaler Euro praktisch funktionieren soll. Wahrscheinlich wäre eine App auf dem Smartphone, die als elektronische Geldbörse fungieren würde.
Der digitale Euro soll es ermöglichen, digital anonym zu bezahlen. Wäre das nicht ein Vorteil?
Henning Vöpel: Ich finde nicht, dass das glaubhaft ist. Die EZB argumentiert, jeder Kunde hätte dann nicht nur ein Konto bei der Geschäftsbank, sondern direkt Zugang zur Zentralbank. Dass die Zentralbank Transaktionen nicht einsehen kann, ist ein technologisch nicht glaubwürdiges Argument. Letztlich ist es nur mit Bargeld möglich, anonym zu bezahlen.
Bei der Anhörung im Finanzausschuss haben Technik-Experten erklärt, dass das sehr wohl möglich sei. Weshalb sehen Sie das anders?
Henning Vöpel: Es mag rein technisch möglich sein, aber das ist nur eine der relevanten Fragen. Wichtiger ist: Würde es auch so umgesetzt werden? Die möglichen Informationen über Transaktionen und potenzielle Eingriffe in Entscheidungen sind meines Erachtens doch erheblich. Es ist potenziell eine Erhöhung der Kontrolle zulasten der Freiheit. Ich wäre vor diesem Hintergrund sehr dafür, die Wahlmöglichkeiten zu erhalten.
Was heißt das für die EZB?
Henning Vöpel: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind Pläne für die Einführung eines digitalen Euro verfrüht. Es ist noch nicht klar, ob ein digitaler Euro in der Zukunft wirklich sinnvoll ist. Ich sehe auch nicht die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür. Aber das Eurosystem sollte trotzdem weiter an dem Thema arbeiten und weiter an technologischen Innovationen forschen.
Weshalb ist das nötig? Im Bereich Blockchain und Krypto-Technologien forschen und entwickeln doch bereits sehr viele private Anbieter.
Henning Vöpel: Die Frage ist, ob das staatliche Hoheitsgebiet der Geldversorgung und der Währungspolitik am Ende in private Hände fallen soll. Blockchain und Krypto-Technologien sind auf jeden Fall eine Möglichkeit, Geld, Transaktion und vor allem auch Privatsphäre institutionell neu zu denken, nämlich in nahezu völliger Abwesenheit des Staates.
Weshalb ist es wichtig, dass das staatliche Hoheitsgebiet der Geldpolitik nicht in private Hände fällt, weder mit Blick auf klassisches analoges noch auf neues digitales Geld?
Henning Vöpel: Das ist eine alte dogmenhistorische Frage: Weshalb sollte das Geldsystem staatlich organisiert sein, und nicht einfach dem freien Markt überlassen werden, wie andere Bereiche der Volkswirtschaft auch? Aus ökonomischer Sicht erwüchsen daraus mehrere Gefahren, beispielsweise ein privates Geldmonopol oder die Gefahr von Liquiditätskrisen. Das Vertrauen in die Stabilität von Geld ist in diesem Sinne ein öffentliches Gut. Deshalb ist Geld ein gesetzliches Zahlungsmittel. Daran geknüpft sind die Aufgaben der Zentralbank, für Preisniveaustabilität zu sorgen und im Falle von Finanzkrisen die Wirtschaft als letzte Instanz mit Liquidität zu versorgen.
Bisher privat entwickelte Kryptowährungen schwanken sehr stark in ihrem Wert. Jamie Dimon, Chef der US-Großbank JP Morgan, sagt, der Bitcoin beispielsweise diene lediglich „Geldwäsche, Betrug, Sexhandel und Steuervermeidung“. Wie sehen Sie das?
Henning Vöpel: Der Bitcoin ist eher etwas für Nerds und Zocker. Ein so volatiles Asset ist sicher nicht geeignet, als Zahlungsmittel zu dienen. Man muss auch sehen, dass diese Krypto-Formen nicht so dezentral sind, wie von ihren Anhängern oftmals behauptet. Dort herrscht eine enorme Zentralisierung. Sie werden oft genutzt, um unbeobachtet Geschäfte zu tätigen, zum Teil auch, um Sanktionen und Regulierung zu umgehen. Aber natürlich muss man die neuen Technologien zu Ende und vor allem in Verbindung mit anderen Innovationen denken, beispielsweise in Bezug auf das Metaverse oder die Tokenisierung von Vermögenswerten.