Reform der Schuldenbremse : Weniger Schulden, weniger Wachstum
Die Unionsfraktion weist auf steigende Staatsausgaben hin. Doch Deutschlands Wirtschaftskraft schrumpft. Die Wirtschaftsweisen wollen die Schuldenbremse reformieren.
Die deutsche Wirtschaft schrumpft im ersten Quartal 2024 erneut. Diese Meldung kam am Dienstagmorgen vom ifo-Institut, noch bevor der erste Redner der Opposition die Haushaltswoche im Deutschen Bundestag eröffnete. Bereits in der vergangenen Woche hatten die Wirtschaftsforscher aus München ihre Prognose für das Gesamtjahr 2024 reduziert, sie erwarten nun lediglich ein mageres Wachstum in Höhe von 0,7 Prozent. Im Herbst waren es noch 0,9 Prozent.
Wesentlicher Faktor: Der Staat spart. Folglich schrumpft die Wirtschaft. Um 19 Milliarden Euro hat die Ampel-Koalition ihre Ausgabenpläne gekürzt, nachdem das Bundesverfassungsrecht sein Urteil zur Einhaltung der Schuldenbremse des Grundgesetzes gefällt hatte, hat das ifo-Institut berechnet. „Unternehmen und Haushalte werden mehr belastet oder weniger entlastet, und die Staatsausgaben werden gekürzt“, erklärte ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser. Das drückt auf die Konjunktur. Schon für das vergangene Jahr 2023 stellte das Statistische Bundesamt am Dienstag ein schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,3 Prozent fest.
Middelberg kritisiert geringes deutsches Wachstum
Spart die Bundesregierung zu sehr? Aus Sicht der größten Oppositionsfraktion nicht. 477 Milliarden Euro plane der Bund 2024 an Ausgaben, stellte Mathias Middelberg (CDU/CSU-Fraktion) als erster Redner der Haushaltswoche am Dienstagmorgen fest. Das seien 34 Prozent mehr als im letzten Vor-Corona-Haushalt 2019, zugleich sei die Wirtschaftsleistung lediglich um 18,6 Prozent gewachsen. Trotz dieser Zunahme der Staatsausgaben wachse Deutschland vergleichsweise langsam. „Andere haben völlig andere Wachstumserwartungen“, sagte Middelberg, und verwies unter anderem auf die Eurozone, die im Schnitt um ein Prozent wachse.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagt dazu: "Ich spreche nicht von einem Sparhaushalt, sondern von einem Gestaltungshaushalt."
Tatsächlich weist die Weltwirtschaft eine vergleichsweise schwache Dynamik auf. Der Internationale Währungsfonds veröffentlichte am Dienstagnachmittag seine neue Konjunkturprognose und erwartet eine Zunahme der globalen Wirtschaftsleistung von mauen 3,1 Prozent im laufenden Jahr, 0,2 Prozentpunkte weniger als noch im Herbst. Deutschland wächst dabei im internationalen Vergleich relativ schwach. Der IWF kürzte seine Prognose im im Vergleich zum Herbst für die Bundesrepublik für 2024 von 0,9 Prozent auf 0,5 Prozent. Allerdings weist Deutschland auch eine vergleichsweise geringe Neuverschuldung aus. Im Oktober prognostizierte der IWF hier ein Defizit von 1,7 Prozent des BIPs. Zum Vergleich: In den Vereinigten Staaten von Amerika dürfte das Staatsdefizit 2024 laut IWF bei 7,4 Prozent liegen. Im Euroraum liegt das Minus der öffentlichen Hand bei 2,7 Prozent.
IWF erwartet im Vereinten Königreich schwächeres Wachstum als in Deutschland
Für Frankreich wird ein Staatsdefizit von 4,5 Prozent erwartet, dabei dürfte das Wachstum mit 1,0 Prozent jedoch auch höher liegen als in Deutschland. Der internationale Vergleich zeigt: Länder mit einem größeren wirtschaftlichen Dynamik machen deutlich höhere Schulden, mit einer Ausnahme, Großbritannien.
Für das Vereinigte Königreich erwartet der IWF mit 0,6 Prozent ein noch schwächeres Wachstum als für Deutschland. Zugleich liegt die Prognose für das Staatsdefizit dort mit 3,9 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.
Aus Sicht des fraktionslosen Abgeordneten Christian Görke (Die Linke) ist der Bundeshaushalt folglich ein „Belastungshammer“. In der Debatte zum Einzelplan 08 warf er der Regierung vor: „Sie kürzen mit diesem Haushalt in eine Wirtschaftsprüfung hinein. Das ist nicht nur irre, sondern kontraproduktiv.“
Die Grünen zeigen sich dabei durchaus offen für eine Reform der Schuldenbremse. Der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, Sven-Christian Kindler, sagte, der Aufgabe, wie man die Finanzregeln ändern und „Zukunftsinvestitionen“ ermöglichen könnte, müssten sich alle gemeinsam stellen.
Sachverständigenrat fordert Reform der Schuldenbremse
Auch der Sachverständigenrat für Wirtschaftsfragen äußerte sich am Dienstag. In einem Policy-Brief sprechen sich die Wirtschaftsweisen für eine Reform der Schuldenbremse aus. „Sie ermöglicht, zukunftsgerichtete öffentliche Ausgaben zu tätigen“, erläuterte die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer. Der Vorschlag sieht vor, dass der Staat zeitweise mehr Schulden machen darf. „Eine Übergangsregelung würde für zusätzliche fiskalische Spielräume zur Krisenbewältigung sorgen und gleichzeitig verhindern, dass ständig diskutiert wird, Notlagen auszurufen“, erklärte Ratsmitglied Ulrike Malmendier.
Sobald eine Schuldenstandsquote von unter 60 Prozent des BIP erreicht ist, soll der Bund dem Vorschlag zufolge neue Schulden in Höhe von einem Prozent des BIP machen dürfen. Derzeit sieht die Schuldenbremse lediglich 0,35 Prozent an maximaler jährlicher Neuverschuldung vor. Zwischen 60 und 90 Prozent Schuldenstand soll das maximal mögliche Defizit bei 0,5 Prozent liegen.
Ifo-Chef Fuest verteidigt Schuldenbremse
Unter Ökonomen sind Vorschläge für eine Lockerung der Schuldenbremse umstritten. Ifo-Chef Clemens Fuest schreibt in einem noch nicht veröffentlichten Beitrag, dass ihn Forderungen nach einer Abschaffung oder Reform nicht überzeugten. Er verweist unter anderem auf bestehende Möglichkeiten, von der Schuldenbremse abzuweichen, etwa durch die Bildung von Sondervermögen, die allerdings einer Mehrheit von zwei Dritteln im Bundestag bedürfen – eine Hürde, die er als nicht zu hoch einstuft.
Fuest verweist auch auf empirische Studien, denen zufolge Fiskalregeln nicht dafür sorgen, dass der Staat zu wenig investiert. Außerdem zeige sich in Untersuchungen durchaus auch, dass Länder mit Schuldenbremsen in ihrer Verfassung langfristig nicht langsamer wüchsen als solche ohne.
Ohne Reform der Schuldenbremse stellt sich zumindest kurzfristig die Frage, was das für die Konjunktur bedeutet. Kann die Privatwirtschaft in Deutschland ausgleichen, was ein im internationalen Vergleich knausriger Staat spart? Derzeit ist die Stimmung in der Wirtschaft nicht gut: „In nahezu allen Wirtschaftsbereichen klagen die Unternehmen über eine rückläufige Nachfrage“, stellte ifo-Ökonom Wollmershäuser fest. In Industrie und Bauwirtschaft seien „die dicken Auftragspolster abgeschmolzen“.
Lichtblick privater Konsum
Im Wohnungsbau sei eine Stornierungswelle durch das Land geschwappt, nicht zuletzt eine Folge der restriktiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) in ihrem Kampf gegen die Inflation. Die steigenden Zinsen dürften „derzeit ihre volle Wirkung entfalten“, schätzt Wollmershäuser. Er verweist ferner auf Sonderfaktoren, die derzeit die deutsche Wirtschaft belasten, wie der hohe Krankenstand, die Streiks bei der Bahn und der kalte und schneereiche Januar.
Dass die deutsche Wirtschaft 2023 in die Rezession gerutscht ist, liegt für Experten auch an sinkendem Staatskonsum.
Ökonomen erwarten, dass die Wirtschaft 2024 und 2025 wegen des Sparpakets der Ampel-Koalition weniger stark wächst.
Dennoch, das ifo-Institut hatte nicht nur Negatives zu berichten. „Es gibt erste Lichtblicke beim privaten Konsum“, erklärte Wollmershäuser. Es gebe Anzeichen dafür, dass die Deutschen wieder mehr Geld im Einzelhandel und in der Gastronomie lassen. „Hier dürfte sich das Wiedererstarken der Kaufkraft bemerkbar machen, da mittlerweile die Einkommen der privaten Haushalte stärker steigen als die Preise“, heißt es in der Pressemitteilung des ifo-Instituts.