Diskussionen in der EU : Ausstieg mit Hindernissen
Laufzeitverlängerungen und Ängste vor Versorgungslücken prägen in vielen europäischen Ländern den Ausstiegsprozess.
Die einen wollen sie, die anderen versuchen von ihnen loszukommen: Atomkraftwerke (AKW). Insgesamt 72 Anlagen mit 179 Reaktorblöcken in 18 Ländern sind laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) in Europa (inklusive Russland) aktuell in Betrieb. Während Länder wie Frankreich, Finnland oder die Slowakei neue Kernkraftwerke bauen oder bauen wollen, steht bei anderen europäischen Staaten der Kurs auf Ausstieg. Italien (1987) und Litauen (2009) haben ihre Anlagen bereits stillgelegt, Irland (1970) brach aufgrund von massiven Protesten den Bau eines Kernkraftwerks ab. Österreich (1978) schloss seine bereits betriebsfertige Anlage aufgrund eines Volksentscheids gegen die Inbetriebnahme nie an. Neben Deutschland befinden sich drei weitere europäische Länder - Belgien, Schweiz und Spanien - mitten im Ausstieg. Angst vor Versorgungslücken und Laufzeitverlängerungen prägen den Prozess.
Belgien: Alle sieben Reaktoren sollen abgeschaltet werden
Von 2022 bis 2025 sollen alle sieben Reaktoren an den Standorten Doel und Tihange abgeschaltet werden - vorausgesetzt, die Energieversorgung ist sichergestellt. Denn knapp 40 Prozent des Stroms kommen in Belgien nach wie vor aus Kernkraftwerken, obwohl die Regierung bereits im Januar 2003 den Ausstieg aus der Atomkraft einläutete. Per Gesetz wurde damals die Laufzeit der AKW auf 40 Jahre beschränkt und der Bau neuer Werke verboten. Trotz dieser gesetzten Grenze hat Belgien die Laufzeitverlängerung für drei seiner Reaktoren beschlossen, um eine möglichen Versorgungslücke zu verhindern. Bei einer Abschaltung im Jahr 2025 werden sie dann 50 Jahre in Betrieb gewesen sein. Ob auch für die zwei jüngsten Reaktoren eine Laufzeitverlängerung beantragt werden muss oder die Regierung an ihrem festgelegten Zeitplan festhalten kann, soll noch diesen Monat geklärt werden.
Schweiz: Angst vor Versorgungslücke heizt Diskussion um längere Laufzeiten an
Obwohl die Schweizer Reaktoren mit einer durchschnittlichen Laufzeit von 45,5 Jahren zu den ältesten der Welt gehören, beginnt gerade wieder die Debatte, die Anlagen über die angedachte Zeit von 50 Jahren hinaus zu betreiben. Die Angst vor einer Versorgungslücke heizt die Diskussion an, schließlich bezieht die Schweiz noch 37 Prozent ihres Stroms aus atomaren Quellen. Dabei hatte sie ähnlich wie Deutschland die Katastrophe von Fukushima am 11. März 2011 zum Anlass genommen, bei ihrer Energiepolitik umzudenken. Bereits im Mai 2011 sprach der Bundesrat sich für einen langfristigen Atomausstieg aus. Das Vorhaben wurde von Nationalrat und Ständerat noch im selben Jahr bestätigt. Bei einem Referendum im Mai 2017 sprachen sich auch rund 58 Prozent der Bevölkerung dafür aus, keine neuen Atommeiler mehr zu bauen und abgeschaltete AKW nicht zu ersetzen. Ein genaues Ausstiegsdatum findet sich allerdings nicht. Die Kernkraftwerke werden so lange genutzt, wie sie von der Aufsichtsbehörden als sicher eingestuft sind. Der Reaktor in Mühleberg wurde bereits im Dezember 2019 abgeschaltet, vier weitere AKW befinden sich aktuell noch im Betrieb.
Spanien will Atomausstieg bis 2035 abschließen
Rund 20 Prozent des Strombedarfs werden in Spanien durch seine fünf Kernkraftwerke und sieben Reaktoren gedeckt. Die amtierende Energieministerin verkündete 2019, dass ein Atomausstieg bis 2035 abgeschlossen sein soll.
Sollte es dazu kommen, war der Weg dahin ein steiniger. Bereits 2004 und 2008 gehörte ein möglicher Atomausstieg zum Wahlkampf des späteren sozialistischen Ministerpräsidenten Zapatero. Trotzdem setzte seine Regierung aufgrund wachsenden wirtschaftlichen Drucks 2011 ein Moratorium aus, das Atomkraftwerken eine maximale Nutzungsdauer von 40 Jahren erlaubte. Der neue Spielraum wurde rege genutzt. Zuletzt im Mai 2020 wurde die Laufzeit für Spanien ältestes Kernkraftwerk Almaraz um weitere acht Jahre verlängert. Zum Zeitpunkt des Ausstiegs wären die beiden Reaktoren dann 47 und 48 Jahre im Betrieb gewesen.