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Konzept für eine nachhaltige Entwicklung : Mehr Tempo bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele gefordert

Schon seit vielen Jahren verfolgt die Politik national wie international ein Handlungskonzept für eine nachhaltige Entwicklung. Es bleibt dennoch viel zu tun.

04.10.2022
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5 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Christophe Gateau

Lautstarke Erinnerung an die 17 Agenda-Ziele : Teilnehmer des "Comedy for future"-Festivals bei einer Demonstration für Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Mai dieses Jahres in Berlin.

Die Anfänge stammen aus dem Jahr 2002: Am 17. April beschloss die damalige rot-grüne Bundesregierung eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Unter dem Titel "Perspektiven für Deutschland" stellte sie ein Handlungskonzept für nachhaltige Entwicklung dar. Die Regierung folgte damit den Vereinten Nationen, die sich schon 1992 zum Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bekannt und beim "Erdgipfel" von Rio de Janeiro ein globales Aktionsprogramm verabschiedet hatten.

Die mehr als 170 Unterzeichnerstaaten der "Agenda 21" - unter ihnen Deutschland - verabredeten sich, das Leitbild national in allen Politikbereichen unter Beteiligung von Gesellschaft und Wirtschaft umzusetzen.

Es darf nur so viel Holz geschlagen werden, wie wieder nachwächst

Was unter Rot-Grün begann, wurde von allen folgenden Bundesregierungen fortgesetzt. Doch was bedeutet nun eigentlich Nachhaltigkeit? Der Begriff geht auf den sächsischen Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz zurück. Vor mehr als dreihundert Jahren stellte er mit Blick auf die Waldbewirtschaftung fest: Es darf nur so viel Holz geschlagen werden, wie durch Aufforstung wieder nachwächst, damit auch späteren Generationen Wald zur Verfügung steht. Die Nachhaltigkeit wurde fortan zum Leitbegriff der deutschen Forstwirtschaft - und inzwischen auch der Politik.

Das Thema erfuhr 2015 einen weiteren Schub. Die Weltgemeinschaft hatte sich auf die Agenda 2030 verständigt, die - anders als frühere Programme zur nachhaltigen Entwicklung - gleichermaßen für Industrieländer, Schwellen- und Entwicklungsländer gilt. 17 Nachhaltigkeitsziele und 169 Unterziele wurden darin formuliert. Zudem hatte sich die Pariser Klimakonferenz auf eine Begrenzung der Erderwärmung geeinigt.

Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie enthält sechs Prinzipien 

Deutschland reagierte darauf mit einer Neuauflage der Strategie, die nun Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) heißt und sechs Nachhaltigkeitsprinzipien enthält. Mit der Übernahme der 17 Agenda 2030-Ziele wurde sie ein Stück weit internationalisiert. Soll heißen: Der Blick richtet sich nicht nur auf Deutschland, sondern auch weltweit auf die Umsetzung dieser Ziele bis 2030. Über Mittel und Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit, so der Gedanke, könne Deutschland schließlich auch international Einfluss auf die Umsetzung der Ziele ausüben.


„Die letzte Weiterentwicklung der Strategie stammt aus dem Jahr 2021.“

Die letzte Weiterentwicklung der DNS stammt aus dem Jahr 2021. Als Steuerungsinstrument enthält die Strategie nun 75 Indikatoren und Ziele in 39 Bereichen. Zusammen bilden sie den Stand der nachhaltigen Entwicklung ab und stellen die Grundlage für das künftige Handeln im Rahmen der Strategie dar. Alle zwei Jahre legt das Statistische Bundesamt als fachlich unabhängige Stelle einen Indikatorenbericht vor.

Indikatorenbericht mit Übersicht im Stil eines Wetterberichts

Dieser präsentiert eine Übersicht im Stil eines Wetterberichts. Eine Sonne bedeutet: Ziel wird (nahezu) erreicht. Der Sonne-Wolken-Mix macht deutlich, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht, das Tempo aber verschärft werden muss. Nur Wolken deuten auf eine deutliche Zielverfehlung hin. Die Gewitterprognose schließlich macht klar: Die Entwicklung geht in die falsche Richtung.

31-mal eitlem Sonnenschein stehen in dem Bericht immerhin sieben Gewitterwarnungen gegenüber. So etwa beim Energieverbrauch im Personen- und Güterverkehr, bei der Angleichung der Quote ausländischer Schulabsolventen an die der deutschen Absolventen, bei den Schulabgängen ohne Abschluss, der Adipositasquote bei Erwachsenen und dem Stickstoffüberschuss der Landwirtschaft.

BUND fordert absolute Ziele zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen

So ist es auch nicht verwunderlich, dass beispielsweise der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) deutlich mehr Tempo bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele einfordert. Die Nachhaltigkeitspolitik stehe im Widerspruch zu dem fortgesetzten Festhalten am Ziel wirtschaftlichen Wachstums, heißt es in einem Positionspapier.

Der BUND fordert absolute Ziele zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und eine Suffizienz-Strategie: "Mehr Lebensqualität und soziale Gerechtigkeit lassen sich sehr gut mit weniger Energie- und Ressourcenverbrauch verbinden." Zentral sei dafür der Abbau aller umweltschädlichen Subventionen.

Erhebliche Defizite in der Verkehrspolitik

Erhebliche Defizite gibt es aus Sicht des Umweltverbandes in der Verkehrspolitik, wo sich die Emissionen seit 1990 nicht verringert hätten. "Will Deutschland die Klimakrise eindämmen, muss der CO2-Ausstoß im Verkehr bis 2030 halbiert werden", fordert er. Der Bau neuer Autobahnen müsse daher gestoppt und die Prioritäten in der Verkehrsplanung entsprechend angepasst werden: Erhalt gehe vor Neubau, Schienenausbau vor Straßenbau.

Die sechs Nachhaltigkeitsprinzipien

☀️ Nachhaltige Entwicklung als Leitprinzip konsequent in allen Bereichen und bei allen Entscheidungen anwenden. 

🌎 Globale Verantwortung übernehmen.

🌲 Die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten.

🔨 Nachhaltiges Wirtschaften stärken.

👯‍♂️ Sozialen Zusammenhalt in der offenen Gesellschaft wahren und verbessern.

📚 Bildung, Wissenschaft und Innovation als Treiber einer nachhaltigen Entwicklung nutzen.



Heike Spielmans, Geschäftsführerin von Venro, dem Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer Nichtregierungsorganisationen, hält es für "dringend an der Zeit, die Agenda 2030 zum Leitprinzip deutscher Politik zu machen". Die negativen Auswirkungen des Regierungshandelns auf die Länder im globalen Süden fänden zu wenig Beachtung.

Diese Effekte müssten aber in der Nachhaltigkeitsstrategie umfassender berücksichtigt werden. "Dafür ist es notwendig, dass die Regierung alle ihre Aktivitäten stringent auf die globalen Nachhaltigkeitsziele ausrichtet."

Armut hat in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht

Wenngleich der Indikatorenbericht 2021 beim Thema Armut ein Sonne-Wolken-Mix verzeichnet, hat die Armut in Deutschland laut Paritätischem Wohlfahrtsverband einen neuen Höchststand erreicht: 13,8 Millionen Menschen seien von ihr betroffen - ein Anteil von 16,6 Prozent an der Gesamtbevölkerung, heißt es im Paritätischen Armutsbericht 2022.

Die Befunde seien erschütternd, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie schlügen inzwischen voll durch, urteilt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Noch nie sei auf der Basis des amtlichen Mikrozensus ein höherer Wert gemessen worden. "Noch nie hat sich die Armut in jüngerer Zeit so rasant ausgebreitet wie während der Pandemie."

Nachhaltigkeitsrat-Vorsitzender: Transformation muss beschleunigt werden

Es bleibt also viel zu tun. Das weiß auch Werner Schnappauf, Vorsitzender des Nachhaltigkeitsrates. Das Gremium berät die Regierung in Fragen der Nachhaltigkeit. Es könne nur in Richtung Transformation gehen, sagte Schnappauf bei einer Sitzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung (PBNE), der im Bundestag über die nachhaltige Wirkung vom Parlament getroffener Entscheidungen wacht.

Durch den Ukraine-Krieg sei noch deutlicher geworden, "dass wir die Transformation beschleunigen müssen, so schnell wie möglich Sonne und Wind in unsere Energieversorgung einbauen müssen und so schnell wie möglich grünen Wasserstoff zur Dekarbonisierung der Industrie einsetzen müssen", sagte Schnappauf.

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Der von ihm geleitete Nachhaltigkeitsrat koordiniert auch das Mitte September ins Leben gerufene "Gemeinschaftswerk Nachhaltigkeit", das eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern ist.

Hoffnung auf mehr Sonne

Dahinter steht die Idee, "dass Fortschritte das Zusammenwirken aller staatlichen und nichtstaatlichen Akteure erfordern", wie Sarah Ryglewski (SPD), Staatsministerin beim Bundeskanzler und seit August auch Leiterin des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung, erläutert. Für den PBNE-Vorsitzenden Helmut Kleebank (SPD) ist die Initiative eine "unglaubliche Chance, die vielen erfolgreichen Projekte zu vernetzen".

Das Motto der Aktion lautet: Und jetzt alle. Bei den nächsten Indikatorenberichten wird sich zeigen, ob dies zu mehr Sonnenschein geführt hat.