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Gastkommentare : Vorrang für die Bahn? Ein Pro und Contra

Zur Frage, ob die Bahn Vorrang als Verkehrsmittel Nummer Eins haben sollte, beziehen unsere Gastkommentatoren Anja Krüger und Wolfgang Mulke untershiedlich Stellung.

26.06.2023
True 2024-03-05T11:24:37.3600Z
3 Min

Pro

Verkehrsmittel Nummer Eins

Foto: Pascal Beucker
Anja Krüger
schreibt für "die tageszeitung in Berlin.
Foto: Pascal Beucker

Deutschland hat ein Mobilitätsproblem: Straßen und Autobahnen sind verstopft, Züge chronisch unpünktlich und überfüllt, innerdeutsche Flüge angesichts der Klimakrise keine ernsthaft vertretbare Alternative. In dieser Lage hilft nur eines: Eine rasche Generalüberholung der Deutschen Bahn. Dass die Bundesregierung die Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich beschleunigen will, ist für die Schiene ein erster wichtiger Schritt, in Bezug auf die Straße aber kontraproduktiv. Der beschleunigte Autobahn-Ausbau löst die Mobilitätskrise nicht, er verstetigt sie. Mehr Straßen führen zu mehr Pkw- und Lkw-Verkehr. Um Staus zu vermeiden und das Klima zu schützen, müssen mehr Menschen den Zug nehmen und sehr viel mehr Güter auf die Schiene verlagert werden. Einen zügigen Gütertransport zu gewährleisten, ist für ein Industrieland existenziell. Dazu muss das Angebot auf der Schiene zuverlässiger, günstiger und vor allem massiv ausgebaut werden.

Mit einem Weiter-So ist das nicht möglich. Die Deutsche Bahn muss sich neu erfinden. Das kann nur gelingen, wenn die Politik diese Aufgabe ganz oben auf die Prioritätenliste setzt. Ein gemeinsamer Kraftakt ist nötig, bei dem Bund und Länder den Aus- und Umbau der Bahn vorantreiben. Dabei geht es um viel mehr als um mehr Geld: eine neue Logik, bei der der Bahn als Verkehrsmittel Nummer Eins der Vorrang gegeben wird. Ja, neue Schienenprojekte dauern sehr lange. Aber: In ganz Deutschland gibt es tausende Kilometer von Strecken, die in den vergangenen Jahrzehnten stillgelegt wurden. Deren Wiederbelebung ist eine Möglichkeit, die Schieneninfrastruktur vergleichsweise schnell großflächig zu verbessern – wenn Bund und Länder das wollen.

Contra

Die Voraussetzungen fehlen

Foto: Privat
Wolfgang Mulke
ist freier Journalist.
Foto: Privat

Die Diskussionskultur leidet an einem großen Manko. Zu oft wird über ein „entweder – oder“ gestritten, zu wenig ein „sowohl – als auch“ erörtert. Das gilt auch für die Debatte um eine Modernisierung der Bahn. Unbestritten müssen dringend viele Milliarden Euro für die Sanierung des maroden Schienennetzes bereitgestellt werden. Das ist aber kein Grund, andere Teile der Verkehrsinfrastruktur zu vernachlässigen, weil der Slogan vom Vorrang für die Bahn so klimafreundlich klingt. Die Parole suggeriert, dass der Straßenverkehr keine Zukunft mehr hat und daher nicht mehr in dessen Wege investiert werden müsse. Wäre dies so, beginge Deutschland denselben Fehler zum zweiten Mal. Die Folgen der jahrzehntelangen Vernachlässigung der Bahntrassen müssen die Steuerzahler jetzt mit gewaltigem finanziellen Aufwand wieder beseitigen. Auch das Straßennetz ist ein riesiger Kapitalstock des Landes. Ihn nicht zu pflegen, käme einem enormen Vermögensverlust gleich.

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Hinter der gewollten Renaissance der Bahn steht bei vielen Anhängern einer Verkehrswende die Hoffnung, den motorisierten Individualverkehr und den Güterverkehr per Lkw durch Cargozüge und öffentliche Verkehrsmittel zu verdrängen. Die Rechnung wird nicht aufgehen. Dafür fehlen die Voraussetzungen. In ländlichen Regionen fehlt es an Verkehrsangeboten, dem Schienengüterverkehr an Kapazitäten und der Anbindung der letzten Meile. Von den Wünschen einer breiten Masse der Bevölkerung nach mobiler Freiheit ganz zu schweigen. Es wird daher noch lange ein Miteinander verschiedener Verkehrsträger geben und so muss die Diskussion auch geführt werden. Das wäre vernünftig und am Ende auch billiger.