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Foto: picture-alliance/Flashpic/Jens Krick
Nicht mehr im roten Bereich: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) präsentiert den Jahreswirtschaftsbericht 2023.

Jahreswirtschaftsbericht : Die Wirtschaft grünt

Der Energiepreisschock und die Zinswende sind zwar überstanden. Doch die deutsche Automobilwirtschaft hat Probleme.

30.01.2023
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5 Min

Für Jahre wie 2022 mit Krieg, Inflation, Energieknappheit und steigenden Zinsen und Absturz der Börsen gibt es einen gut zusammenfassenden Begriff: "Annus horribilis" - das Jahr des Schreckens. Doch in diesem Jahr soll alles anders werden: Zwar ist ein Ende des Krieges in der Ukraine bisher nicht in Sicht, aber die Wirtschaft soll wieder wachsen statt schrumpfen, die Preissteigerungen sollen nicht mehr so stark ausfallen und Energie ist zwar teuer, aber ausreichend vorhanden. 

Von Wärmestuben für frierende Bürger sowie Strom- und Gasabschaltungen für die Wirtschaft ist keine Rede mehr. An der Börse, wo bekanntlich die Zukunft gehandelt wird, blieben die Anleger auch nach den Silvesterpartys in Feierstimmung: Der deutsche Aktienindex schoss bereits in den ersten Wochen des Jahres um fast zehn Prozent nach oben.

Wirtschaftsminister Habeck kann wieder Zuversicht verbreiten 

Nach den vielen Enttäuschungen des vergangenen Jahres kann Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in diesen Tagen wieder Zuversicht verbreiten - gestützt von zahlreichen nach oben weisenden Indikatoren wie dem Ifo-Geschäftsklima- und dem GfK-Konsumklima-Index. In seinem Jahreswirtschaftsbericht für 2023 konnte Habeck die roten Zahlen gegen die grünen Werte tauschen, und somit geht das Wirtschaftsministerium für 2023 trotz "Abkühlung infolge des Energiepreisschocks und der Zinswende" von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 0,2 Prozent aus. Das ist noch nicht viel, aber weit mehr als der noch im Oktober erwartete Rückgang um 0,4 Prozent. 2022 war es um 1,9 Prozent gestiegen.


„Die Rezession wird die Wirtschaft voraussichtlich nicht so hart treffen wie noch im vergangenen Jahr befürchtet.“
Helmut Schneeweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes

Für das kommende Jahr wird mit einem Wachstum von 1,8 Prozent gerechnet. Ein früherer Vorgänger von Habeck, Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD), hätte dazu gesagt: Die Pferde saufen wieder. Die Inflation, die vor allem Normalverdiener und Sparer trifft, soll sinken. Nachdem in der Herbstprojektion noch von sieben Prozent ausgegangen war, soll die Preissteigerung laut neuem Jahreswirtschaftsbericht sechs Prozent betragen. 2024 soll die Inflation weiter sinken - nämlich auf 2,8 Prozent. 2022 hatte die Preissteigerung mit 7,9 Prozent einen historischen Höchststand erreicht. 

Vor zu hohen Erwartungen warnt aber die Deutsche Bundesbank: Der Inflationsrückgang "ist im Wesentlichen auf die einmalige Soforthilfe im Dezember zurückzuführen; er dürfte daher temporär sein". Also noch keine Entwarnung an der Inflationsfront.

Warum die deutsche Wirtschaft externen Schocks gut Stand hält

Wer nach den Gründen sucht, warum die deutsche Wirtschaft den externen Schocks so gut Stand gehalten hat, findet zwei Erklärungen: Die Wirtschaft ist überwiegend mittelständisch geprägt und dadurch robuster als internationale Großkonzerne. Die zumeist in Familienbesitz befindlichen Mittelständler trennen sich in Krisen nicht so schnell von Personal und halten mit einer oft guten Eigenkapitalausstattung auch mal Durststrecken durch. Außerdem habe die Regierung "durch ein Bündel kurzfristig umgesetzter Maßnahmen wesentlich dazu beigetragen, eine Gasmangellage in diesem Winter zu vermeiden und die Belastungen im Zuge gestiegener Energiepreise zu begrenzen", so das Wirtschaftsministerium.

Daher war es nicht überraschend, dass das Statistische Bundesamt bereits im vierten Quartal letzten Jahres statt roter Zahlen bei der Wirtschaftsleistung eine Stagnation vermeldete. Davon waren die meisten Ökonomen überrascht worden. Doch jetzt hellt sich auch im Ökonomen-Lager die Stimmung auf. Das Institut für Weltwirtschaft etwa erwartet sogar ein Wachstum von 0,3 Prozent. Helmut Schneeweis, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes erklärt: “Die Rezession wird die Wirtschaft voraussichtlich nicht so hart treffen wie noch im vergangenen Jahr befürchtet.”

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Dank gut gefüllter Auftragsbücher und einer guten Ertragslage sei auch keine Insolvenzwelle zu befürchten. Laut Jahreswirtschaftsbericht investieren Unternehmen wieder verstärkt in moderne Anlagen und Maschinen: Die Ausrüstungsinvestitionen sollen in diesem Jahr um 3,3 Prozent nach einem Vorjahreswachstum um 2,5 Prozent steigen. Habecks Ansatz ist jedoch nicht mehr "blindes Wachstum", sondern die Erneuerung des Wohlstands. Um "eine starke grüne Wirtschaft" aufzubauen, sollen private Investitionen gezielt angereizt werden.

Auch die Bundesbank sieht die Konjunkturaussichten inzwischen heller als noch im vergangenen Jahr: "Die jüngsten Datenveröffentlichungen fielen insgesamt besser aus als in der Dezember-Projektion unterstellt worden war", schreibt die Bundesbank in ihrem neuen Monatsbericht.

Wiederanstieg des Euro-Kurses gegenüber dem Dollar

Geholfen hat zudem der Wiederanstieg des Euro-Kurses gegenüber dem amerikanischen Dollar. Nachdem der Greenback im Sommer 2022 die Parität mit der europäischen Gemeinschaftswährung erreicht hatte, gab der Kurs wieder nach, so dass man jetzt für einen Euro 1,08 bis 1,09 Dollar bekommt. Davon profitieren nicht nur Urlauber, sondern besonders Energiefirmen, die Öl und Gas in Dollar bezahlen müssen.

Allerdings haben sich längst nicht alle Experten den fröhlichen Chorgesängen angeschlossen. "Die deutsche Wirtschaft erhält aktuell viel Gegenwind", schreiben etwa die Volkswirte der Deutschen Industriebank IKB. Sie erwarten auch weitere Zinsanhebungen durch die Europäische Zentralbank und halten eine Rezession für unausweichlich. Mit einer Erholung der Wirtschaft sei frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2023 zu rechnen. Aber immerhin hob auch die IKB ihre Wachstumsprognose von minus 0,8 auf minus 0,2 Prozent an.


„Bis 2030 fehlen dem Bau altersbedingt 120.000 Fachkräfte.“
Zentralverband des deutschen Baugewerbes

Die von der IKB angesprochenen höheren Zinsen verknappen zwar das Geldangebot und drücken somit auf die Inflationsraten, haben aber Begleiterscheinungen, die alles andere als angenehm sind. So können Firmen schlechter Kredite für Investitionen aufnehmen. Und die deutsche Finanzaufsicht Bafin verweist auf ein weiteres Problem: Die stark gestiegenen Zinsen haben zu Verlusten bei den Wertpapierbeständen einiger Banken geführt. "Ein weiterer plötzlicher und starker Zinsanstieg würde manche Institute stark belasten", so die Finanzaufsicht. Betroffen sind kleine und mittlere Sparkassen und Genossenschaftsbanken.

Ford streicht Stellen

Auch die Automobilwirtschaft, immerhin Deutschlands umsatzstärkster Wirtschaftszweig, ist nicht gerade in Partystimmung. Ford, der viertgrößte deutsche Autohersteller, will in den Entwicklungsabteilungen in Köln und Aachen 2.500 der 3.800 Stellen streichen. Schon früher hatte Ford die Schließung seines Werks in Saarlouis bekannt gegeben.

Bei vielen Zulieferbetrieben gehen inzwischen die Lichter aus. Grund sind höhere Energiepreise sowie die Umstellung auf E-Mobilität. So ging der Zulieferbetrieb Borgers aus Nordrhein-Westfalen (6.000 Mitarbeiter) in Konkurs, in Zwickau schließt GKV Driveline (800 Arbeitsplätze) die Tore, und bei Druckguss Dohna in Sachsen verlieren 600 Arbeitnehmer ihren Job. Markus Jerger, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, sagt, dass die kleinen und mittleren Firmen sich nicht mehr halten können, wenn die Großindustrie sich davon macht: "Wenn die Elefanten marschieren, dann trampeln sie auch über den Mittelstand, die Ameisen hinweg, ohne sie zu sehen", sagte er laut "Steingarts Morning Briefing".

Fachkräftesicherung bleibt wesentlicher Faktor für den Standort

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Auch die Bauwirtschaft, traditionell Motor der Konjunktur, will nicht so richtig in die Gänge kommen. Die Gründe sind vielfältig: Drastisch gestiegene Grundstückspreise und Steuern, Verteuerungen beim Baumaterial und Personalmangel. "Bis 2030 fehlen dem Bau altersbedingt 120.000 Fachkräfte", beklagt der Zentralverband des deutschen Baugewerbes. Ähnliches ist aus anderen Branchen zu hören. Auch die Bundesregierung sieht die Fachkräftesicherung als wesentlichen Faktor für den Investitions- und Industriestandort Deutschland an. Daher soll ein modernes Einwanderungsgesetz den Zuzug von Fachkräften stärken. "Auch gilt es, die inländischen Potentiale bei Teilzeit und freiwillig längerer Arbeit im Alter zu heben", so das Wirtschaftsministerium. Es bleibt also für die Politik noch einiges zu tun, damit die Pferde so richtig ans Saufen kommen.