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Bochum setzt auf Branchenvielfalt : Tief im Westen

Die Sonne verstaubt hier schon lange nicht mehr: In Bochum ist der Umbruch von Kohle und Stahl hin zu Zukunftstechnologien besser gelungen als anderswo.

22.08.2022
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3 Min

Wenn Herbert Grönemeyer sein Lied "Bochum" anstimmt, kann er sicher sein, dass sein Publikum schon in der zweiten Zeile lauthals mitsingt: "Tief im Westen / Wo die Sonne verstaubt / Ist es besser / Viel besser, als man glaubt ..." Dieser Song trifft wie kein anderer das Lebensgefühl der Menschen in dieser Region: Es fehlt an Wertschätzung und Zuwendung. Die wirtschaftlichen Leistungen und Technologien der Vergangenheit, die zum Teil das deutsche Wirtschaftswunder erst ermöglicht haben, sind mittlerweile überholt und nicht mehr gewollt. Kohle, Stahl - alles Auslaufmodelle. Und mit diesen Branchen drohen auch die alten Werte auszusterben - das Lob für die harte Arbeit unter Tage, die Kameradschaft mit Kollegen, die oft zu Schicksalsgefährten wurden.

Foto: picture alliance/dpa | Revierfoto

Singt von harter Arbeit und fehlender Wertschätzung: Herbert Grönemeyers Song "Bochum" gilt als eine der Ruhrpott-Hymnen schlechthin.

Klare Luft im Bochum ohne Stahlkraftwerke

Auch wenn manches an der Vergangenheit sicher verklärt wird, verfestigt sich das Gefühl, etwas Besonderes geleistet zu haben. Doch wie so oft: Die Verdienste von früher werden irgendwann immer weniger gewürdigt.

Dafür haben zumindest die Bochumer ihren Herbert. Und der wird nicht müde, die Seele der "Ruhris" zu berühren - ob vor Fußball-Publikum oder bei riesigen OpenAir-Konzerten. "Bochum" geht immer.

Daran ändert auch nichts, dass der Text einiger Überarbeitungen bedürfte. Schon die zweite Zeile ist nicht mehr aktuell - "Wo die Sonne verstaubt". Die Luft ist inzwischen einigermaßen klar - weil es keine Stahlwerke mehr gibt. Aus dem gleichen Grund stimmt auch die Aussage "Du hast'n Pulsschlag aus Stahl / Man hört ihn laut in der Nacht" nicht mehr. Nachts hört man je nach Lage höchstens noch die Autobahnen.

Treiber für den Wandel: Gründung der Ruhr-Universität 

Dass dieser Umbruch - weg von Kohle und Stahl, hin zu Zukunftstechnologien und -branchen - in Bochum besser gelungen ist als anderswo zwischen Lippe und Emscher, hat einen wichtigen Grund: Schon Anfang der 1960er-Jahre wurde in Bochum die Ruhr-Universität gegründet. Eine damals nicht unumstrittene Entscheidung, die jedoch notwendig war, um die wirtschaftlichen und technologischen Herausforderungen bestehen zu können. Johannes Rau, der vor seinen Positionen als Ministerpräsident und Bundespräsident Wissenschaftsminister in NRW war, hat dieses Projekt immer gepusht, wohl wissend, dass man über Tage andere Fähigkeiten braucht als unter Tage. Heute studieren an der Ruhr-Universität 42.600 Studenten in 21 Fakultäten.

Die beiden Innovationszentren in unmittelbarer Nachbarschaft gelten als die großen Treiber des Wandels: das Technologiezentrum Ruhr (TZR) und das Technologiequartier. Sie rekrutieren ihre qualifizierten Mitarbeiter vorzugsweise an der benachbarten Hochschule - und setzen Forschungsergebnisse direkt um in innovative Produkte. So läuft heute das Business.


"Heute setzt die Stadt mehr denn je auf einen Mix aus kleinen und mittleren Betrieben."


Doch es gab noch eine zweite wegweisende Entscheidung: Von der Gelsenkirchener Bergwerks-AG erwarb die Stadt Bochum 1962 das Gelände der Zeche Bruchstraße - für bescheidene 1,4 Millionen D-Mark. Gut angelegtes Geld, denn hier wurden wenig später die Opelwerke Bochum aufgebaut. In den Werken I, II und III haben in Spitzenzeiten über 20.000 Menschen gearbeitet. Es hat im Ruhrgebiet nie wieder eine Ansiedlung in dieser Größenordnung gegeben.

Während in den Anfängen die Jubler in der Überzahl waren ("Ein Glücksfall!"), nahmen um die Jahrtausendwende die Zweifler zu ("Es gibt eine neue Form von Abhängigkeit!"). Und so kam es dann auch: 2014 lief der letzte Wagen vom Band. Entschieden hat eine ferne Konzernzentrale.

Krisensicher durch höhere Branchenvielfalt

Doch durch Rückschläge haben sich die Bochumer noch nie entmutigen lassen. Heute setzt die Stadt mehr denn je auf einen Mix aus kleinen und mittleren Betrieben. Die Idee dahinter: Eine höhere Branchenvielfalt ist einfach krisensicherer.

Hinzu kamen intensive Bemühungen, durch Kultur für Attraktivität zu sorgen: Das Bochumer Schauspielhaus ist nach wie vor eine erste Adresse. Und selbst das Rollschuh-Spektakel "Starlight-Express" in der Jahrhunderthalle, einem alten Industriekomplex, erfreut das Publikum seit 1968.

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Fakt bleibt aber auch in Bochum: Nur ein Teil der Industriebrachen konnte einer Folgenutzung zugeführt werden, ebenso konnte nur ein Teil der verlorenen Arbeitsplätze ersetzt werden. Die Einwohnerzahl sank drastisch - von 405.000 (1993) auf 363.00 (2021). Auch hier stimmt Grönemeyers Lied nicht mehr: "Wer will schon in Düsseldorf wohnen". Nun ja, in der Rhein-Metropole gibt es seit Jahren wieder eine steigende Bevölkerungszahl.