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Ost und West : Wenn die Diagnose "frei, vereint und unvollkommen" lautet

Carsten Schneider, der Beauftragte für Ostdeutschland, legt seinen Bericht zur Entwicklung im Osten vor. Ein Ergebnis: Eine große Mehrheit empfinde kein Wir-Gefühl.

11.10.2024
True 2024-10-11T18:30:27.7200Z
3 Min

Auch 35 Jahre nach dem Mauerfall ist die deutsche Einheit nicht vollendet. Das geht schon aus dem Titel des Berichts hervor, den der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Carsten Schneider (SPD), vorgelegt hat und über den der Bundestag am Donnerstagabend debattierte: “Ost und West. Frei, vereint und unvollkommen.”

Foto: picture alliance / Jochen Eckel

Der Autobauer Tesla hat in Ostdeutschland stark investiert - gegen Widerstände in der Bevölkerung.

Schneider hob in seiner Rede hervor, dass es sich bei seinem Bericht  keineswegs um "Regierungspropaganda" handele. Das werde schon daran deutlich, dass darin auch 20 namhafte Gastautorinnen und -autoren aus dem In- und Ausland ihren ganz persönlichen Blick auf Ost- und Westdeutschland werfen und für ein "Deutschland-Monitoring" 4.000 Menschen aus Ost und West zum Stand der Einheit befragt wurden. 

Ergebnis der Umfrage: Es gibt in diesem Land eine große Mehrheit für die freiheitliche Grundordnung in der Demokratie, aber auch eine große Mehrheit, die kein Wir-Gefühl empfindet. Der Ost-Beauftragte erinnerte im Bundestag an die Anfänge der friedlichen Revolution vor über 35 Jahren in Plauen, Leipzig und Ost-Berlin. "Was für ein Mut gehörte dazu", sagte Schneider. Positiv nannte der Erfurter die Entwicklung der Wirtschaft in Ostdeutschland, die in den letzten zehn Jahren stärker gewachsen sei als die westdeutsche Wirtschaft. Allerdings gebe es weiter "Unterschiede, die ungerecht sind", etwa bei den geringeren Vermögen und den niedrigeren Löhnen im Osten. Diese Differenzen müssten überwunden werden, forderte Schneider.

CDU will Ost-Beauftragten abschaffen

Die Opposition nahm die Debatte über den Bericht zum Anlass, mit der Wirtschaftspolitik der Koalition insgesamt abzurechnen. Für die Union erklärte Sepp Müller aus Sachsen-Anhalt, der vorliegende Bericht für Ostdeutschland solle der letzte dieser Art sein, denn: "Wir brauchen weder einen Ost-Beauftragten noch einen Bericht über Ostdeutschland." Vielmehr sei vor allem die Industriepolitik der Bundesregierung gescheitert: "300.000 Industriearbeitsplätze sind in den letzten drei Jahren weggefallen, die Zahl der Insolvenzen nimmt zu, auch in Ostdeutschland." Demgegenüber verwies der parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen), auf Erfolge bei der Ansiedlung neuer Technologie-Unternehmen in Ostdeutschland und "viele genutzte Chancen". Die Wirtschaft und die Lebensbedingungen im Osten, so Kellner, der die friedliche Revolution als Zwölfjähriger in Jena erlebte, hätten sich spürbar verbessert in den vergangenen 35 Jahren.


Leif-Erik Holm im Portrait
Foto: Abgeordnetenbüro Holm
„Wir werden nie wieder kuschen vor der Obrigkeit.“
Leif-Erik Holm (AfD)

Dem widersprach der AfD-Abgeordnete Leif-Erik Holm vehement. Die "Politik der Ampel" führe das Land "in den Ruin". Gute Wirtschaftspolitik sei der Abbau von Bürokratie und Behörden. Was aber verspreche die Bundesregierung? Die Ansiedlung von Bundesbehörden in Ostdeutschland. Das fordere den Widerspruch der "Ossis" heraus, erklärte der Schweriner: "Wir werden nie wieder kuschen vor der Obrigkeit." Dem Bundeskanzler warf Holm vor, er wolle festlegen, wer in Deutschland rufen dürfe: "Wir sind das Volk." Mit seinen Reden zum Tag der deutschen Einheit spalte Olaf Scholz das Land.

FDP: Reale Herausforderungen werden nicht ausreichend benannt

Für die FDP machte Gerald Ullrich auf Defizite in dem Bericht des Ost-Beauftragten aufmerksam. Es würden einige reale Herausforderungen nicht ausreichend benannt, kritisierte der Abgeordnete aus Thüringen, etwa die wachsende Zahl der zu Pflegenden, auch in ländlichen Regionen Ostdeutschlands: "Darum müssen wir uns kümmern." Die gesellschaftliche Stimmung nach den Landtagswahlen im Osten bezeichnete Ullrich als "aufgeheizt". Von der Union wollte er wissen, ob sich die CDU in Ostdeutschland tatsächlich mit der "kommunistischen Nachfolgeorganisation BSW" verbünden wolle.

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Sören Pellmann von der Gruppe Die Linke zeigte sich von dem Bericht des Ost-Beauftragten tief enttäuscht. Er enthalte nur "blumige Worte, Unkonkretes und heiße Luft". Wer angesichts niedriger Löhne und Renten keine Gleichbehandlung erlebe, könne mit dem Stand der Einheit nicht zufrieden sein. Von 20 Großprojekten in Ostdeutschland, die in dem Bericht aufgeführt seien, sei kein einziges im Bau.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Verena Hubertz knüpfte an den Titel des Ost-Berichts an. "Unvollkommen", so die Abgeordnete aus Rheinland-Pfalz, klinge für sie nicht nach Mängeln oder Fehlern, sondern nach "Antrieb und Motivation". "Unvollkommen" sei das Gegenteil von Sättigung, also gebe es noch Hunger auf mehr. Der Bericht der Bundesregierung für Ostdeutschland wurde an den Wirtschaftsausschuss überwiesen und wird dort nun weiter beraten.