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Seit April 2019 wird die Grube des ehemaligen Tagebaus Cottbus-Nord mit Spreewasser gefüllt - wenn das Wasser nirgendwo anders dringender benötigt wird. Der entstehende Cottbuser Ostsee soll die Lausitz als Erholungsgebiet bereichern.

Cottbuser Ostsee : Vom Tagebau zum größten künstlichen See Deutschlands

Wo früher einmal Kohle gefördert wurde, soll der größte künstliche See Deutschlands entstehen. Dafür wird viel Wasser benötigt - und das ist knapp in der Region.

09.08.2024
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6 Min

Nach dem Aufstieg von 173 Stufen weht ein frischer Wind auf dem Merzdorfer Aussichtsturm am Stadtrand von Cottbus, im Süden Brandenburgs. Zwei Teenager, die sich ein Wettrennen nach oben geliefert haben, stehen außer Atem auf der Plattform in 31 Metern Höhe. "Hat sich für den Ausblick aber gelohnt", sagt der 15-jährige Tim und lässt den Blick in die Ferne schweifen. Am Horizont drehen sich Windräder, Kühltürme vom Kraftwerk Jänschwalde pusten weißen Rauch in den Himmel. Davor erstreckt sich der zukünftig größte künstliche See Deutschlands: der Cottbuser Ostsee.

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Der über 30 Meter hohe Merzdorfer Aussichtsturm erlaubt einen Blick über die ehemalige Tagebaulandschaft: Im Frühjahr 2021 ist der Cottbuser Ostsee erst spärlich geflutet.

Insgesamt soll der See, der vormals eine Tagebaugrube war, 19 Quadratkilometer groß werden - das entspricht einer Fläche von über 2.600 Fußballfeldern. 80 Prozent des Wassers dafür stammen aus der Spree, der Rest aus dem Grundwasser. Doch es herrscht Streit über das Mammutprojekt; denn die Lausitz gehört zu den trockensten und niederschlagsärmsten Regionen Deutschlands und kämpft mit Wasserknappheit. Großstädte wie Berlin und Cottbus, aber auch der Spreewald konkurrieren um das kostbare Nass.

Bis 2030 soll der Cottbuser Ostsee fertig sein

Die Entwicklung des Cottbuser Ostsees steht zudem für den Umgang mit dem Erbe aus dem Kohlebergbau. Denn hätte es den Merzdorfer Aussichtsturm vor zehn Jahren schon gegeben, wäre der Blick ein ganz anderer gewesen: Damals prägten Bagger und Förderbänder, die Braunkohle aus dem Tagebau abbauten, die Landschaft. Mehr als 30 Jahre lang wurde im Tagebau Cottbus-Nord aus einer Tiefe von 40 Metern Kohle gefördert. Mehr als 220.000 Kohlezüge verließen in der Zeit das Gelände - im Dezember 2015 dann der letzte. Nun soll aus dem ehemaligen Tagebau ein Naherholungsgebiet werden. Dafür wird die Grube seit April 2019 mit Spreewasser geflutet.

Bis 2030 soll der neue See fertig sein, heißt es auf der offiziellen Webseite zum Cottbuser Ostsee, die von der Stadtverwaltung Cottbus und der Deutschen Städte- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft betrieben wird. Rings um den See soll ein komplett neues Stadtquartier mit zahlreichen Sport- und Freizeitangeboten entstehen; Fährhäfen, Badestrände und Ferienanlagen sind bereits in Planung. Die Stadt Cottbus hofft, mit dem Ostsee zukünftig zahlreiche Touristen anzuziehen.

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Erinnert an eine Mondlandschaft: Über 30 Jahre wurde im Tagebau Cottbus-Nord Braunkohle gefördert. 2015 wurde die Kohleförderung eingestellt.

Die Umwandlung des Tagebaus in den Cottbuser Ostsee liegt in der Verantwortung der Leag (Lausitzer Energie AG). Wie viel Wasser der Energiekonzern aus der Spree für die Flutung der Grube entnehmen darf, wird wöchentlich über das länderübergreifende Wassermanagement gesteuert und hängt unter anderem von Niederschlägen oder dem Wasserbedarf der umliegenden Städte ab, erklärt Linda Streller vom Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg. In Trockenperioden, insbesondere im Sommer, wird die Flutung daher immer wieder gestoppt. Es herrscht ein Verteilungskampf um das Spreewasser.

Ministerpräsidenten von Berlin, Brandenburg und Sachsen wollen zusammenarbeiten

Vor allem aus Berlin wird die Sorge vor Wassermangel laut. Rund 70 Prozent des Wassers für die Berliner Bevölkerung stammen aus dem Uferfiltrat der Spree. Die Problematik ist auch in der Politik angekommen: Im Juni dieses Jahres trafen sich Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und die Ministerpräsidenten von Brandenburg, Dietmar Woidke (SPD), und Sachsen, Michael Kretschmer (CDU), zu einem "Wassergipfel", um über das Thema zu diskutieren. Wegner erklärte im Anschluss an das Treffen, dass Trockenphasen und Hitzerekorde in Deutschland zu einem grundlegenden Umdenken im Umgang mit Wasser in der Spreemetropole geführt hätten. "In Berlin spüren wir dies vor allem an der Spree, deren Pegelstand bislang stark von den Einleitungen aus den Tagebauregionen abhängt", so Wegner.


„Ein See, der durch die Verdunstung enorm an Wasser verliert, kann kaum als Wasserspeicher genutzt werden.“
Axel Kruschat, BUND Brandenburg

Mit dem von der Bundesregierung beschlossenen Kohleausstieg bis 2038 wird die Wasserversorgung Berlins weiter gefährdet: Bisher wurden die Tagebaue zum Abbau der Kohle trockengelegt, indem Grundwasser abgepumpt und in die Spree geleitet wurde. Eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA) vom Juni vergangenen Jahres warnte nun: Fallen die Wasser-Einspeisungen mit dem Kohleausstieg weg, könnte die Spree 75 Prozent weniger Wasser führen als bisher.

Das UBA schlägt daher vor, den Cottbuser Ostsee als Wasserspeicher zu nutzen. Ingolf Arnold, ein ehemaliger Bergmann und Wasserexperte, der die Konzeption des Cottbuser Ostsees mit begleitet hat, erklärt, dass zukünftig etwa 178 Millionen Kubikmeter Speicher für die Region gebraucht würden. Derzeit seien mit Talsperren und Bergbaufolgeseen etwa 151 Millionen Kubikmeter vorhanden. Arnold sagt: "Der Cottbuser Ostsee könnte diese Lücke schließen."

Cottbuser Ostsee kann bisher nicht als Wasserspeicher dienen 

Doch ganz so einfach ist die Lösung des Wassermangels in Berlin und Brandenburg nicht. Um den Cottbuser Ostsee als Wasserspeicher nutzen zu können, muss der See nicht nur geflutet werden können. In Trockenperioden müsste er große Mengen Wasser abgeben können, um beispielsweise den Spreewald oder Berlin mit Wasser zu versorgen. "Das ist im Moment nicht gegeben", sagt Arnold. Der Wasserexperte erklärt, dass aus dem derzeitigen Ablassbauwerk des Sees lediglich 0,8 Kubikmeter Wasser pro Sekunde ablaufen können. Um als Wasserspeicher zu dienen und die Spree in Trockenperioden ausreichend speisen zu können, müssten es aber mindestens zwei oder drei Kubikmeter Wasser pro Sekunde sein. Der Ablauf des Sees müsste also von der Leag, die für die Rekultivierung des Tagebaus zuständig ist, noch einmal umgebaut werden.

Die Leag wiederum weist darauf hin, dass die Nutzung des Sees als Wasserspeicher zunächst rechtlich geprüft werden müsse. Thomas Koch, Leiter der Geotechnik bei der Leag, erklärt, dass eine solche speicherwirtschaftliche Nutzung nicht Bestandteil des wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahrens gewesen sei. "Ob diese Option genutzt werden soll, muss durch die brandenburgische Landesregierung entschieden werden", so Koch.

Umweltschützer: Im Sommer verdunstet zu viel Wasser

Umweltschützer kritisieren, dass der See nicht von Anfang an als Wasserspeicher geplant wurde. Axel Kruschat, der Landesgeschäftsführer des BUND Brandenburg, bemängelt: "Der Cottbuser Ostsee wird zu groß und zu flach". Dies birgt die Gefahr, dass im Sommer zu viel Wasser verdunstet. "Ein See, der durch die Verdunstung enorm an Wasser verliert, kann kaum als Wasserspeicher genutzt werden", erklärt Kruschat. Er hätte sich stattdessen einen See mit kleiner Wasseroberfläche und mehr Tiefe gewünscht und kritisiert, dass bei der Planung des Sees wohl hauptsächlich darauf geachtet wurde, die Rekultivierung für die Leag so kostengünstig wie möglich zu gestalten.

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Laut Informationstafeln unterhalb des Aussichtsturms ist der Ostsee mittlerweile zu 61,3 Metern über Normalhöhe gefüllt. Der geplante Zielwasserstand beträgt 62,5 Meter. Viele dächten, der See sei fast fertig, sagt Kruschat. "Doch die Zahl trügt". Vielmehr müsse auf das Volumen des Seewassers geschaut werden und da sei gerade einmal etwas mehr als die Hälfte erreicht. Bei 154 Millionen Kubikmetern Wasser liegt der Füllstand derzeit. Wenn der See einmal fertig ist, soll sein Gesamtvolumen 256 Millionen Kubikmeter betragen.

Sachsen soll bei Wasserknappheit aushelfen

Doch selbst wenn der See eines Tages als Wasserspeicher dienen könnte, wird das Wasser aus der Spree auf Dauer nicht ausreichen, um Berlin und Brandenburg zu versorgen, prognostiziert die Studie des UBA. Daher schlägt das UBA vor: Sachsen soll aushelfen, Wasser von der Neiße oder der Elbe könnte in die Spree geleitet werden.

Dafür müsste ein riesiges Rohrsystem gebaut werden. Umweltvereine wie der BUND sind alarmiert und kritisieren, dass dies neue Probleme schaffen und auch den in der Elbe herrschenden Wassermangel verschärfen würde. Dennoch wird der mögliche Bau eines solchen Elbe-Überleiters derzeit geprüft, heißt es aus dem sächsischen Umweltministerium.

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Sicher ist: Brandenburg, Sachsen und Berlin müssen beim Thema Wasserknappheit weiter zusammenarbeiten. Darüber herrscht unter den Vertretern der Länder Einigkeit. In einer gemeinsamen Erklärung nach dem "Wassergipfel" im vergangenen Juni sprachen sie sich für "ein gemeinsames, schnelles, zielgerichtetes, abgestimmtes und vor allem nachhaltiges Handeln" der Politik, Behörden, Bergbauunternehmen und Gesellschaft aus. Die Vertreter forderten zudem den Bund auf, sich stärker zu engagieren und finanzielle Unterstützung bereitzustellen, um die Problematik der Wasserknappheit wirksam anzugehen.

Der Streit ums Wasser geht weiter

Auch hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Tagebaulandschaften in der Lausitz bleibt die Zusammenarbeit der drei Länder unabdingbar. Denn wenn der Cottbuser Ostsee eines Tages fertig geflutet ist, warten neue Herausforderungen: Die Leag plant auch die übrigen drei aktiven Tagebaue in der Lausitz, Reichwalde, Nochten und Welzow-Süd, nach deren Stilllegung mit Wasser zu füllen. Die Grube des Tagebaus Welzow-Süd könnte mit einer Fläche von etwa 112 Quadratkilometern dann den Cottbuser Ostsee als größten künstlichen See Deutschlands ablösen. Der Streit ums Wasser geht also weiter.

Zurück auf dem Merzdorfer Aussichtsturm hofft Tim, dass er bald im Cottbuser Ostsee schwimmen gehen kann. Das würde seine Heimatstadt noch einmal aufwerten, sagt er. Die Leag hält sich mit konkreten Aussagen zur Fertigstellung des Ostsees jedoch zurück. Wasserexperte Arnold schätzt, dass die Flutung im kommenden Jahr abgeschlossen sein könnte. Doch auch dann ist nicht sicher, wann der See tatsächlich genutzt werden kann. Vorerst steht der Cottbuser Ostsee noch unter Bergbaurecht - wann er zum Schwimmen freigegeben wird, ist nicht absehbar.