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Mangel an gutem Willen? : Viele Meinungen, keine Lösung

Viele Ortskräfte hätten schneller aus Afghanistan evakuiert werden können. Das legen neue Zeugenaussagen im Afghanistan-Untersuchungsausschuss nahe.

23.09.2023
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3 Min

Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat nach der Sommerpause seine Arbeit mit einem zwölfstündigen Befragungsmarathon wieder aufgenommen. Dabei wurde noch einmal deutlich, wie sehr die Interessen verschiedener Ministerien, aber auch einzelner Referate innerhalb der Ministerien, besonders bei der Frage der Ortskräfte-Evakuierung auseinanderklafften, nachdem die USA im Februar 2020 mit den Taliban das sogenannte Doha-Abkommen geschlossen hatten. Es regelte den Rückzug westlicher Truppen aus Afghanistan.

In einigen Ressorts gab es die Überlegung, möglichst viele afghanische Ortskräfte aus dem Land zu fliegen. Andere wiederum hatten mögliche politische Auswirkungen einer Evakuierung vor Augen. Wieder andere pochten darauf, das übliche, aber sehr langwierige Ortskräfteverfahren auch in diesem extremen Notfall einzuhalten. Die Evakuierung der afghanischen Ortskräfte war nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban im August 2021 chaotisch verlaufen.

Sorge um Überlastung des Ortskräfteverfahrens

Ein für das Visaverfahren im Auswärtigen Amt (AA) zuständiger Referatsleiter sagte, seine Abteilung habe frühzeitig versucht, die Evakuierung zu beschleunigen. Man habe schnell nach der Unterzeichnung des Doha-Abkommens gemerkt, dass schon eine leichte Erhöhung bei den Aufnahmeanträgen das Verfahren in große Schwierigkeiten gebracht hätte.

Es seien verschiedene Optionen mit anderen Ressorts diskutiert worden, jedoch habe man sich lange nicht durchsetzen können. Aussagen früherer Zeugen vom Bundesinnenministerium (BMI), das BMI habe keinen Einfluss auf die Prozesse gehabt, wies er zurück: "Um den Prozess zu beschleunigen mussten wir andere Wege nehmen als die klassische Ortskräfteverfahren. Wir haben mehrmals Visa-on-Arrival vorgeschlagen. Das BMI hat abgelehnt. Sie konnten immer Einfluss nehmen." Auch eine Kooperation mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bei der Antragsannahme habe das BMI anfangs abgelehnt.

Was macht der Untersuchungsausschuss Afghanistan?

Der 1. Untersuchungsausschuss wurde vom Deutschen Bundestag am 8. Juli 2022 eingesetzt. Unter dem Vorsitz von Ralf Stegner (SPD) befasst er sich mit den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer betroffener Personen. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit dem 29. Februar 2020 – dem Abschluss des sogenannten Doha-Abkommens zwischen der US-Regierung unter Ex-Präsident Donald Trump und Vertretern der Taliban. Er endet mit der militärischen Evakuierung aus Afghanistan am 30. September 2021.



Doch auch im eigenen Haus habe es unterschiedliche Auffassungen dazu gegeben. Das bestätigte die stellvertretende Referatsleiterin des Länderreferats Afghanistan und Pakistan im AA. Ziel ihrer Abteilung sei gewesen, den innerafghanischen Friedensgesprächen zum Erfolg zu verhelfen, sagte sie. Es sei um ziviles Engagement gegangen. Durch die Annahme, die Partner würden vor Ort bleiben und das Land unterstützen, hätten die afghanische Bevölkerung und die Regierung eine Grundsicherung gegenüber negativen Entwicklungen gehabt. Öffentlichkeitswirksame Maßnahmen wie Charterflüge für Ortskräfte hätten diese Bemühungen untergraben, sagte die Diplomatin.

"Charterflüge wären sehr teuer gewesen"

Ein Oberstleutnant a.D., der im Untersuchungszeitraum als Verbindungsoffizier beim AA gedient hatte, wies darauf hin, dass eine Evakuierung mit Charterflügen für die deutschen Steuerzahler sehr teuer gewesen wäre. Ortskräfte mit einer Aufnahmezusage hätten noch bis Juli 2021 die Möglichkeit gehabt, das Land mit Linienflügen zu verlassen.

"Wenn auf allen Seiten ein bisschen mehr guter Wille vorhanden gewesen wäre, wäre also alles schneller vorangegangen?", fragte schließlich ein Abgeordneter. Der für die Visavergabe zuständige Referent antwortete mit einem schlichten "Ja".